NSU-Prozesstag 88: Von Wohnmobilen und Geschäftsreisen an merkwürdigen Terminen.

Frau H. ist die erste Zeugin des Tages. Bei ihrer Einvernahme geht es um die Anmietungen verschiedener Wohnmobile in ihrer Caravanverleih-Firma in Chemnitz. Zu den Merkwürdigkeiten, die sich im Zusammenhang mit dem Mordfall Kiesewetter ergeben, wurde die Zeugin aber nicht befragt.

Götzl: „Frau H., es geht uns um die Wohnmobil-Vermietungen an den Herrn G.. Erzählen Sie doch einfach mal mit Ihren eigenen Worten etwas dazu.“

H.: „Wir haben durch die Ermittlungen der Polizei erfahren, dass dieser Herr G. bei uns jahrelang Reisemobile gemietet hat. Der war für uns ein völlig unauffälliger, schüchterner Mann. Wir hätten nie erwartet, dass er so einen Hintergrund hat. Es waren ganz unterschiedliche Fahrzeuge, er kam immer alleine und machte einen zurückhaltenden Eindruck, es gab nie etwas zu beanstanden.

Götzl: „Können Sie sein Aussehen beschreiben?“

H.: „Er hatte etwas weniger Haare, sein Alter hätte ich auf etwa 30 Jahre geschätzt, normale Größe, schlank. Nichts Auffälliges.

Götzl: „Hatte er eine Brille?“

H.: „Brille? Glaub ich nicht.“

Götzl: „Wie viele Anmietungen gab es?“

H.: „Waren schon über mehrere Jahre, schätzungsweise 5 oder 6 Jahre. Ich will mich da aber nicht festlegen. Es waren immer kürzere Anmietungen, wenn ich mich recht entsinne.“

Götzl: „Wie liefen die Vermietungen ab?“

H.: „Es war genauso wie bei jedem anderem Mieter: Vertrag gemacht, Fahrzeug bezahlt, dann Inspektion des Fahrzeugs. Den Personalausweis und den Führerschein im Computer hinterlegt und dann kann der Kunde los.“

Götzl: „Gab es mal Verlängerungen der Mietzeit?“

H.: „Weiß ich nicht, kann ich mich nicht entsinnen. Verlängerungen kommen eher weniger vor. Da wird eine Nachzahlung geleistet von der Kaution nehme ich mal an.“

Götzl: „Genügt da telefonischer Kontakt?“

H.: „Ja. Nachzahlung dann bei der Rückgabe. Kaution wird nur in der Kasse hinterlegt, nicht gebucht. Für jedes Fahrzeug. Das war schon immer so. Wir haben dann ein Buch und da quittiert uns der Kunde, dass er die Kaution zurück erhalten hat.“

Götzl: „Sie sind ja bei der Polizei befragt worden. Sind Ihnen Lichtbilder vorgelegt worden?“

H.: „Ja.“

Götzl: „Haben Sie da G. erkannt?“

H.: „Ich denke ja.“

Richter Götzl bittet die Zeugin H. nach vorne an den Richtertisch. Dort werden ihr 3 Seiten mit Fotos verschiedener Personen vorgelegt. Die Zeugin H. zieht 3 Fotos der Wahllichtbildvorlage mit männlichen Personen in die engere Auswahl. Von diesen 3 ist einer Uwe Mundlos. Auf Vorlage mit Frauen erkennt sie sofort Beate Zschäpe. „Das ist Frau Zschäpe, die kenne ich aus dem Fernsehen“, sagt die Zeugin.

Götzl: „Wissen Sie, woher G. kam? Was machte er beruflich?“

H.: „Nein, ich weiß nur, dass er von außerhalb, also nicht aus Chemnitz kam. Beruflich? Weiß ich nicht. Er war sehr schweigsam und zurückhaltend.“

Götzl zitiert aus einer früheren polizeilichen Vernehmung der Zeugin: „Frage: Haben Sie Kundendaten im Computer? Antwort: „2011 hatten wir noch, 2010 auch. Ja, ich habe Namen, Anschrift und Telefonnummer.“

Götzl: „Ich finde hier den Holger G., Hannover, mit Telefonnummer, Geburtsdatum und Führerscheinklasse 3.“

H.: „Wenn das da steht, dann war das so.“

Götzl: „Können Sie sagen, wie oft der G. bei Ihnen war?“

H.: „Schätze so 1-2 mal pro Jahr.“

Götzl: „Seit wann?“

H.: „Da habe ich keine Erinnerung mehr.“

Götzl zitiert wieder aus der Vernehmung: „Etwa 1 mal im Jahr, ungefähr seit 2007.“

Götzl: „Wie groß war denn der G.?“

H.: „Schätze so 1,70 – 1,80 Meter, normal eben.“

Götzl schlägt wieder einen seiner berüchtigten Haken. Eine Taktik, die schon bei so mancher Vernehmung Licht ins Dunkle brachte: „Hatte er eine Brille auf?“

Die Antwort der Zeugin unterscheidet sich doch etwas von der ersten Version: „Vielleicht hat er mal eine Brille aufgehabt.“

Götzl: „Sprach G. irgendeinen Dialekt?“

H.: „Nein. Ganz normales Deutsch ohne Akzent.“

Götzl: „Beschreiben Sie doch mal die Vorgänge, wenn ein Fahrzeug zurückgebracht wird.“

H.: „Dann kontrolliert jemand, ob alles ganz ist und ob das Fahrzeug sauber ist. Ein Mitarbeiter kontrolliert das alles, dann wird es sauber gemacht und alles durchgecheckt. Manchmal rollt es am gleichen Tag wieder.“

Götzl: „Die Vermietung? Wer hat das gemacht?“

H.: „Ich, mein Sohn oder ein Mitarbeiter, wir müssen da schon flexibel sein.“

Götzl: „Und 2007? Bei der Anmietung von G.?“

H.: „Ich weiß, es ist ermittelt worden, dass das Fahrzeug recht spät wiedergekommen ist, wir mussten das Fahrzeug schnell sauber machen, weil der nächste Mieter schon gewartet hat. Nach meiner Erinnerung ist das Fahrzeug unsauber und schmutzig wiedergekommen. Es musste gesäubert werden. Ich selber hätte mich daran gar nicht mehr erinnert, das ist im Laufe der Ermittlungen herausgekommen. Ich weiß, dass mein Sohn unglücklicherweise an diesem Tag auch unterwegs war, an dem Tag als das Wohnmobil zurückgekommen ist.“

Götzl: „An dem Tag als das Wohnmobil zurückgekommen ist?“

H.: „Ja, das muss … Na, eben, dass meinem Sohn unterstellt wurde, dass da ein Zusammenhang bestehen könnte und da verwahre ich mich dagegen. Wir kaufen ja auch Fahrzeuge und bereiten die auf und verkaufen die wieder. Und da war er eben unterwegs um eines zu kaufen und da ist ihm dann unterstellt worden, dass er in Zusammenhang mit dieser Terrorgruppe … Aber da verwahre ich mich dagegen. Weil mein Sohn eben auch in diese Richtung unterwegs war.“

Götzl: „Und wie kam es zur Verlängerung der Mietzeit?“

H.: „Weiß ich nicht mehr.“

Wieder bittet Götzl die Zeugin nach vorne an den Richtertisch um sich den Mietvertrag erläutern zu lassen.

H.: „Das ist von uns ein Vertrag, der über den Computer ausgedruckt wurde. Er hat also am 16.04.2007 die 500 € Kaution hinterlegt und 300 € angezahlt. Und da steht seine Handynummer.“

Götzl: „Was bedeutet ‚Flash 08‘?“

H.: „Das ist die Typbezeichnung.“

Götzl: „Und die Mietzeit?“

H.: „Vom 16.04.2007, bis 19.04.2007. Bezahlt am Abreisetag.“

Götzl: „Ist das Ihre Handschrift?“

H.: „Ja.“

Götzl legt ein weiteres Dokument vor.

H.: „Ja, das ist er Mietvertrag dazu. Ist zu dieser Anmietung am 16.04.2007 erstellt worden.“

Götzl: „Ist das Ihre Unterschrift?“

H.: „Ja.“

Götzl: „Und da?“ (Götzl deutet auf ein Feld mit der Bezeichnung „Unterschrift Mieter“.)

H.: „Normalerweise müsste der Mieter da unterschreiben, aber vermutlich hat der das falsche Exemplar mitgenommen, da ist das wohl vertauscht worden.“

Götzl: „Hatten sie mal einen Kunden namens André E.?“

H.: „Nein … Nein.“

Götzl: „Wann wurde das Fahrzeug weiter vermietet? Haben Sie dazu eine Erinnerung?“

H.: „Ich selber nicht, aber es ist wohl gleich weiter vermietet worden. Das kam damals bei den Ermittlungen raus.“

Götzl zitiert aus der passenden Aktenfundstelle: „Ab 27.04.2007 wieder vermietet.“

Götzl: „Hatten Sie damals den Computer vor sich und die Daten daraus entnommen?“

H.: „Ja, ja.“

Wieder wechselt Götzl ohne Vorwarnung das Thema: „Mit welchem Fahrzeug kam G. eigentlich zu Ihnen?“

H.: „G. kam nie mit einem Fahrzeug. Wir haben nie ein Fahrzeug gesehen.“

– Lange Pause –

Götzl: „Wenn jetzt eine Verlängerung erfolgt ist? Wie war das mit der Buchhaltung?“

H.: „Das ist nicht immer im Computer eingegeben worden. Manchmal wurde das mit der Kaution verrechnet.“

Götzl: „Haben Sie eine Erinnerung an Ihre 2. Vernehmung vom 22.12.2011? Insbesondere im Zusammenhang mit einem zeitlichen Ereignis?“

H.: „Nein …?“

Götzl zitiert aus der Vernehmung: „Feststellung des Wohnmobils bei der Ringalarmfahndung am 25.04.2007 in Oberstenfeld?“

Götzl: „Kommt da eine Erinnerung?“

H.: “ Nein …“

Götzl: „Wurden Fahrzeuge auch mal ohne Quittung verliehen?“

H.: „Wenn mal ein Kunde einen Tag länger mietet und einen Schein auf den Tisch legt, dann geht der schon mal in die Kaffeekasse. Aber hier ist der Zeitraum zu lang, das ist sicher über die Kaution abgerechnet worden.“

Götzl mit einem weiteren Vorhalt aus den Ermittlungsakten: „Geschäftsreise am 25.04.2007 von ‚KlaBa‘ nach Tübingen und zurück nach Chemnitz ..?“

H.: „Ich weiß, da war was. Kann mich aber an Details nicht erinnern.“

Götzl: „Was bedeutet ‚KlaBa‘?“

H.: „Klaffenbach.“

Götzl: „Ist also Ihr Wohnort?“

H.: „Ja.“

Götzl: „Waren bei der Geschäftsreise nur Ihr Sohn oder weitere Personen dabei?“

H.: „Kann ich nicht mehr genau sagen.“

Götzl holt die Zeugin nochmals an den Richtertisch. Abermals wird ein Mietvertrag vorgezeigt.

H.: „Noch ein Mietvertrag von mir. Aber ein alter, der nicht über den Computer gelaufen ist.“

Götzl deutet auf den Punkt ‚Mieter‘: „Hier steht: André E.!“

H.: „Dann hat er also doch … Ich würde ihnen gerne helfen aber das ist zu lange her.“

Götzl legt einen weiteren Mietvertrag vor. „Ist das Ihre Unterschrift?“

H.: „Das ist meine.“

Götzl deutet wieder auf den Punkt ‚Mieter‘: „Wieder André E. als Mieter ..?“

H.: „Wie gesagt: Ich kann mir nicht alle Mieter merken. Das sind zu viele.“

Götzl: „Aber diese Unterschrift da ..?“

H.: „Ja, das ist meine …“

Warum Richter Götzl ausgerechnet an dieser entscheidenden Stelle zu einer Pause aufruft, ist nur eines von vielen Mysterien in diesem Prozess.

Nach der Pause will Götzl mehr über das Wohnmobil vom Typ „Flash 08“ wissen, dass in bemerkenswerter zeitlicher und örtlicher Nähe zum Mord in Heilbronn an der Polizistin Kiesewetter bei der Ringalarmfahndung auffiel: „Können Sie sich an das Kennzeichen erinnern?“

H.: „Nein, daran kann ich mich nicht erinnern.“

Götzl: „Also das Kennzeichen war ‚C-PW 87‘. Kommt da jetzt eine Erinnerung?“

H.: „Nein …“

Damit ist Richter Götzl mit seiner Befragung durch. Das Fragerecht hat nun OStain Anette Greger von der Bundesanwaltschaft: „Müssen die Mieter Dokumente vorlegen, um sich auszuweisen?“

H.: „Führerschein und Personalausweis.“

Greger: „Jedes Mal?“

H.: „Jedes Mal.“

Greger: „Und wie war das im Fall G.? Haben Sie dazu noch Erinnerungen?“

H.: „Nein, gar keine.“

Greger: „Wird das dokumentiert? Also die Nummer des Personalausweises beispielsweise?“

H.: „Jetzt ja. Mit dem neuem Computer-Programm. Damals nicht.“

Die Bundesanwaltschaft hat keine weiteren Fragen mehr. Warum die gesamte Nebenklage auf eine weitere Befragung verzichtet, ist ebenfalls nicht nachvollziehbar, Frau H. wird jedenfalls um 11:05 Uhr als Zeugin entlassen.

Dabei hätten weitere Nachfragen zur Geschäftsreise des Sohnes der Zeugin (Alexander H.) nach Tübingen am 25.04.2007 durchaus Brisantes zutage fördern können.

Denn: An diesem Tag wurde gegen 14:00 Uhr die Polizistin Michèle Kiesewetter in Heilbronn erschossen. Und: Fährt man von Chemnitz nach Tübingen, dann führt die kürzeste Route sehr nahe an Heilbronn vorbei. Auf dieser Route liegt die kürzeste Entfernung zum Tatort auf der Heilbronner Theresienwiese bei etwa 8 Kilometern Luftlinie. Alexander H. war also mit einer extrem hohen Wahrscheinlichkeit zur Tatzeit in unmittelbarer Nähe des Tatorts.

Alexander H. wurde am 12.11.2013 als Zeuge im NSU-Prozess vor dem OLG München vernommen. Dort wurde er auf seine Geschäftsreise vom 25.04.2007 angesprochen. Die Stuttgarter Nachrichten vom 15.01.2014 schreiben dazu Folgendes:

„Caravanverleiher Alexander H. hielt sich am Mordtag ebenfalls im Raum Heilbronn auf. Nachforschungen der Polizei belegen, dass er durchaus zur Tatzeit am Tatort gewesen sein könnte. Bei seiner Vernehmung vor dem OLG München verwickelte er sich in massive Widersprüche, als der Mord thematisiert wurde. Von dem umfangreichen Polizeieinsatz in der Stadt will er nichts bemerkt haben. Fragen zu seiner politischen Einstellung beantwortete er ausweichend.“

Quelle: >> 

Die Merkwürdigkeiten im Zusammenhang mit H. nehmen aber kein Ende. Es gibt Hinweise, die darauf deuten könnten, dass Alexander H. auch am 19.04.2007 auf einer Geschäftsreise war. Die Reiseroute: Wieder von Chemnitz aus in Richtung Südwesten. Am 19.04.2007 endete auch der Mietvertrag für das Wohnmobil C-PW 87, der dann bis zum 25.04.2007 verlängert wurde. H. war also immer dann auf Geschäftsreise, als das Wohnmobil, das unter dem Namen G. angemietet wurde, zurückgegeben werden sollte. Der eigentliche Mieter war Uwe Böhnhardt. Vermutlich sollte die Aktion gegen Kiesewetter ursprünglich am 19.04.2007 starten. Was zur Änderung der Planung für den Mordanschlag geführt haben könnte, ist sicher eine Recherche wert.

Damit nicht genug: Wie die „Stuttgarter Nachrichten“ weiter schreiben, hat sich Alexander H. auch bei den Morden an Mehmet Kubasik und Halit Yozgat in sowohl zeitlich und örtlich bemerkenswerter Nähe der Tatorte befunden.

„Ein weiterer Zufall: Ein Jahr vor dem Heilbronner Mord war Alexander H. auch in der Nähe eines weiteren Tatortes der mutmaßlichen NSU-Mordserie. Abhörprotokolle und das Foto einer Radarfalle beweisen, dass H. sich am 4. April 2006 in der Nähe von Dortmund aufhielt. Um 12.54 Uhr rief er von dort aus seinen Caravanverleih in Chemnitz an. 60 Kilometer entfernt wurde zu dieser Zeit Mehmet Kubasik getötet. Die Telefonüberwachung beweist zudem, dass sich H. an diesem Tag besonders lange im Raum Kassel aufhielt. Dort wurde, 48 Stunden später, Halit Yozgat in seinem Internetcafé ermordet. Auch diese Morde rechnet der Generalstaatsanwalt dem NSU zu.“

Quelle: >> 

Die Zeugin H. hätte dazu vielleicht etwas sagen können. Gefragt wurde sie aber nicht.

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