Mit freundlichen Grüßen,
Jürgen Pohl (jpo)
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Der Tag der Entscheidung
Am 28.02.2019 wird in Leipzig eine Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht entschieden, die als richtungsweisend für andere Fälle, für den NSU Komplex sein dürften.
Denn es geht um keine geringere Sache, als die Akten des MAD (Militärischer Abschirmdienst) über den verstorbenen Uwe Mundlos. Die Kläger begründen dies mit der Tatsache, dass ein erhebliches öffentliches Interesse besteht.
Das Verteidigungsministerium sieht das natürlich ganz anders, denn es legte Revision ein mit der Begründung, dass man sich nicht an der Aufklärung für die Öffentlichkeit gebunden fühlt.
Zuvor hatte das Oberlandesgericht in NRW das Verteidigungsministerium angewiesen ein Konvolut von 5132 Seiten der Welt Gruppe auszuhändigen. Einschränkungen waren jedoch trotzdem vorhanden, wie z.B. Disziplinarakten und Akten des MAD mussten nicht ausgehändigt werden.
Um genau diese Akten des MADs geht es aber im Wesentlichen. Uwe Mundlos wurde des Öfteren während seines Wehrdienstes vom Geheimdienst befragt. Was genau dieser von dem späteren NSU Mitglied wollte ist bis heute weitgehend unbekannt. Durch Zufall erfuhr der erste NSU Untersuchungsausschuss in Berlin, dass der MAD eine Beobachtungsakte angelegt hatte. Erst Ende August 2012 räumte der Geheimdienst ein, dass es eine solche Akte gegeben hatte. Der Untersuchungsausschuss wie geschrieben wusste von einer solche Akte nichts und reagierte scharf darauf. Denn der Ausschuss wurde in dieser Zeit massiv von den Geheimdiensten hinter die Fichte geführt. Nach dem Motto, was du nicht weißt, werde ich dir auch nicht freiwillig sagen.
Diese Akten haben einen Sprengsatz in sich, denn es würde belegen, dass mutmaßlich der MAD Mundlos als Quelle für sich gewinnen wollte. Der ehemalige MAD Präsident Ulrich Birkenheier wiegelte alles sehr nüchtern ab. Man hätte Mundlos nicht als Quelle gewinnen wollen, sondern wissen wollen, in wieweit sich dieser von der rechten Szene gelöst hätte. Aber welche Anhaltspunkte gab es, das sich Mundlos zwei Jahre vor dem Untertauchen von der Szene gelöst hätte? Mundlos wollte, wie der MAD Präsident sagte, nicht mit dem Abschirmdienst zusammenarbeiten.
Ein langjähriger Freund des Mundlos sagte laut Aktenlage aus, dass Uwe Mundlos des Öfteren zum MAD musste. Denn der MAD behauptete bisher, man hätte den Neonazi erst am Ende seines Dienstes bei der Bundeswehr verhört.
Dieser Schulfreund sagte des Weiteren aus, dass da sich Uwe ja mehrere disziplinarische Verstöße geleistet hatte, er gelegentlich in Arrest gesteckt wurde. Dort soll er Kontakt und Besuch vom Verfassungsschutz bekommen haben. Als man ihn nachfragte sagte der Zeuge, das es nicht Verfassungsschutz gewesen sein könnte, eher der MAD. Denn der Verfassungsschutz hätte keine eigenständige Befragung innerhalb der Kaserne machen dürfen. Dazu wurde er zu internen Dingen in der Rechten Szene befragt, diese dort auch bleiben sollten wie Uwe Mundlos sagt. Auch wurde Uwe nach den Verhören als nicht mehr als so selbstsicher wie vorher beschrieben, wie ein Bundeswehrkamerad angab. Damals, im September 2012 sagte der MAD dem Untersuchungsausschuss, dass man keine Akte Mundlos mehr besitze. Dies ist wiederum auch nicht wahr gewesen. Nun entscheidet es sich, was die Öffentlichkeit in Sachen NSU wissen darf und was nicht. Man muss leider vom Schlimmsten ausgehen, wie bei der Akte, die in Hessen bis ins Jahr 2134 gesperrt wurde. Doch es wäre ein wichtiges Signal für die Hinterbliebenen der Mordserie, dass das Versprechen der Bundeskanzlerin doch noch eingelöst werden kann.
Der Verhandlungstag am 19.05.2015 war an Abwechslung beinahe nicht mehr zu überbieten. Jedoch hat die Öffentlichkeit von den wirklich relevanten Ereignissen dieses Tages so gut wie nichts erfahren. Aber warum hat die Presse an diesem Tag so selektiv berichtet? Dazu wird es vermutlich keine ehrliche Antwort geben. Allerdings macht die selektive Berichterstattung der Platzhirsche, die sich in der weiten Medienlandschaft tummeln, eines deutlich: Die kritische Beobachtung des Prozessgeschehens durch möglichst viele Besucher und unabhängige Blogger sind für die Öffentlichkeit notwendiger denn je. Zumindest dann, wenn über wichtige Fakten, Erkenntnisse oder Ereignisse eines Verhandlungstages von keinem der im NSU-Prozess akkreditierten Journalisten berichtet wird.
Was war geschehen?
Für diesen Tag waren lediglich 2 Zeugen vorgeladen. Am Vormittag sollte ein aus der Schweiz angereister pensionierter Kriminalbeamter der Kantonspolizei Bern über Erkenntnisse zur Lieferung der mutmaßlichen Mordwaffe berichten. Der Nachmittag war für die 2. Einvernahme von Bernd Tödter, ein Neonazi aus Kassel und Gründer der hessischen rechtsradikalen Gruppierung „Sturm 18“ reserviert. Weiterlesen „206. VHT – Tödter und Temme: Unabhängige Blogger und kritische Prozessbesucher notwendiger wie nie zuvor!“
18. Dezember 1998, gegen 18 Uhr, ein Edeka-Markt am Rand von Chemnitz: Die Hauptkassiererin hat eben die Tageseinnahmen eingesammelt, als ein Mann schreit: „Dies ist ein Überfall!“ Zwei Maskierte stehen in dem Markt. Einer bedroht die Kassiererin mit einer Pistole. Sie gibt ihm das Geld, etwa 30.000.- D-Mark. Die zwei flüchten. Dabei schießen sie um sich. Vor dem Oberlandesgericht in München schildert im Juni 2015 ein junger Mann, wie ihm eine Kugel knapp am Kopf vorbeigeflogen ist. Die Täter nehmen den Tod von Passanten in Kauf. Für die Bundesanwaltschaft waren es Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos.
Mit diesem schweren Raub soll die Terrorserie des Nationalsozialistischen Untergrundes, der neun Migranten und eine Polizeibeamtin zum Opfer fielen, begonnen haben. 14 weitere Banküberfälle folgten, bei denen Menschen zum Teil schwer verletzt wurden. Opfer, die kaum bekannt sind. Und noch eine Frage ist ungeklärt: Welches Wissen hatte der Verfassungsschutz über die Raube? Weiterlesen „Wie finanzierte sich die Terrorgruppe des NSU?“
Im Grunde genommen ist alles was in Zusammenhang mit dem ehemaligen V-Mann „Piatto / Piato“, alias Carsten Szczepanski, alias Quelle-Nr. 370 004 langsam – zu langsam – ans Tageslicht kommt haarsträubend. Da wird ein verurteilter Gewaltverbrecher vom Verfassungsschutz als V-Mann angeworben, von diesem bekommt er während er seine Haft absitzt offizielle Aufträge.
Als Gegenleistung bekommt Szczepanski eine VIP-Versorgung in der JVA, Limousinenservice mit freundlichen Chauffeuren vom Verfassungsschutz um seine Aufträge zu erledigen, natürlich auch Geld und recht viele Annehmlichkeiten mehr. [Passage entfernt, da sachlich falsch. Danke an den Hinweisgeber @sahnehOIbchen.] Monatelang wurde seine Existenz vom Verfassungsschutz geleugnet, bis die Beweislage zu erdrückend war. Weiterlesen „VHT 215: Das erbärmliche Schauspiel des Verfassungsschützers R. G.“
Bereits die erste Einvernahme des Zeugen R.G. war eine groteske, erbärmliche Vorstellung. Leider war diese Vorstellung kein fiktionales Schauspiel, dessen Drehbuch bei keiner noch so schlecht inszenierten Gerichtsshow eine Chance auf eine Realisierung gehabt hätte. Wer meinte es kann nicht schlimmer kommen, der sah sich getäuscht: Es kam schlimmer. Viel schlimmer.
An diesem Verhandlungstag erschien der Zeuge R.G. wieder maskiert, völlig unkenntlich, mit eigenem Personenschutz und einem neuen Rechtsbeistand mit einer gewissen Prominenz. Der Rechtsanwalt Butz Peters soll angeblich ein ausgewiesener RAF-Experte sein und hat wohl als Nachfolger von Eduard Zimmermann die ZDF-Sendung „Aktenzeichen xy“ moderiert. Schon diese Konstellation hat ein gewisses „Geschmäckle“.
Das eigentliche Problem ist aber viel tiefschichtiger: Genau die Organisation, die seit dem 04.11.11 immer mehr in die Kritik gerät, hat offenbar eine schier grenzenlose Macht, die sich allen staatsrechtlichen Standards einer zivilisierten Gesellschaft widersetzt. Und dies mit zunehmendem Erfolg und Unterstützung der Bundesregierung. Weiterlesen „VHT 221: Die erbärmlichen Verfassungsschützer aus Brandenburg“
Wir danken Jürgen Pohl(NSU-Prozess-Blog) für das nachfolgende Wortprotokoll des VM-Führers Reiner Görlitz, der den V-Mann CARSTEN SZCZEPANSKI über Jahre als Quelle und Mitarbeiter führte. Die Vernehmung erfolgte am 215. Verhandlungstag vor dem OLG München.
Anmerkung:
Dieses Wortprotokoll zeigt die ungeheure Dreistigkeit der Verfassungsschützer vor dem OLG München auf. Zunächst verstecken sie sich diese sogenannten Verfassungsschützer hinter Perücken, Kapuzen und sonstigen Utensilien. Danach folgt die zumeist eingeschränkte Aussagegenehmigung der zuständigen Innenministerien und als Höhepunkt folgt dann die Arie der Unwissenheit, Vergesslichkeit und sonstiger mentaler Spielereien. Alles dient nur einem Ziel: Verdunklung, Vertuschung und Behinderung der Justiz bei der Aufklärung der Straftaten des NSU und seiner Helfer.
Ganz nach dem Gusto von Klaus-Dieter Fritsche – KDF – dem Geheimdienstkoordinator der Bundesregierung:
“Es dürfen keine Staatsgeheimnisse bekannt werden, die ein Regierungshandeln unterminieren.”
Klaus-Dieter Fritsche – Geheimdienstkoordinator der Bundesregierung und ehemaliger Vize-Präsident des BfV
18.10.2012 – Berlin
Wortprotokoll
zur Einvernahme von…
Ursprünglichen Post anzeigen 5.940 weitere Wörter
Für einen Fortschritt in Sachen Wahrheitsfindung im NSU-Prozess entwickeln sich lügende Zeugen seit Beginn der Verhandlungen zu einem immer größer werdenden Problem. Es ist mehr als offensichtlich, dass Handlungsbedarf besteht, jedoch scheint von keiner Seite der Prozessbeteiligten ein gesteigertes Interesse zu bestehen, diesem Problem Herr zu werden.
Hier zum 1. Teil dieser Mini-Serie mit einem aktuellen Wortprotokoll aus der Vernehmung von Markus F. vom 198. Verhandlungstag. >>
Nach jedem lügenden Zeugen, der ohne Konsequenzen zu spüren davon kommt, wird die Berichterstattung schwieriger. Ganz egal welche Zeugen, ob aus der Nazi-Szene, aus dem Dunstkreis des Verfassungsschutzes oder aus sonst irgendeiner Gruppe. Der Öffentlichkeit sind diese Vorkommnisse nicht mehr zu vermitteln.
Das Resultat: Das Interesse der Öffentlichkeit am NSU-Prozess nimmt mehr und mehr ab und dürfte sich derzeit auf einem negativen Rekordniveau befinden. Das ist eine Katastrophe, die wir bewältigen müssen, ja vielleicht sogar noch abwenden können. Lasst uns zusammen daran arbeiten. Presse, Blogger, Prozessbeobachter und Prozessbeteiligte müssen jetzt an einem Strang ziehen, um die Glaubwürdigkeit im NSU-Prozess wieder herzustellen.
Hier eine sehr kleine – ungeordnete – Zusammenstellung (6 von knapp 200 Verhandlungstagen) mit Beispielen von lügenden Zeugen im NSU-Prozess:
95.VHT – 19. März 2014
Gleich zu Beginn ein eindrucksvolles Beispiel dafür, was passieren kann, wenn die Nebenklage die Lügen der Nazi-Zeugen nicht einfach hinnehmen will.
Carsten R. (36) ist wieder einer dieser unerträglichen Zeugen. Man könnte meinen, er wäre ein kleiner Fisch im undurchdringlichen NSU-Sumpf. Carsten R. hat 1998 unter seinem Namen eine Wohnung in Chemnitz für die untergetauchten Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe angemietet. Deswegen wird er am 19. März 2014 vor dem OLG-München im NSU-Prozess als Zeuge vernommen. […]
Gefühlte 99 % seiner Antworten bestehen aus diesen Floskeln:
“Weiß ich nicht mehr.”
“Ist schon zu lange her.”
“Kann mich nicht mehr erinnern.”
Seine seltenen Antworten, die inhaltlich auf die Frage eingehen, beendet Carsten R. meistens mit einem Nachsatz wie diesem hier: “… kann ich aber nicht genau sagen.”
So läuft die Befragung Stunde um Stunde. Trotzdem ging der Plan von Carsten R. durch geballtes Unwissen, nichtssagenden Antworten und beinharten Lügen möglichst wenig zu einem Erkenntnisgewinn beizutragen nicht ganz auf.
Auf die Frage des Vorsitzenden Richter Götzl warum ausgerechnet er als Wohnungsmieter für die bereits untergetauchten Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe auftreten sollte antwortete Carsten R. in typischer Art und Weise.
Götzl: “Jetzt erzählen Sie doch mal von vorne und der Reihe nach.”
Carsten R.: “Hab ich ja. Die Wohnung wurde eben angemietet.”
Ein Kommentar zur psychischen Verfassung von Götzl erübrigt sich an dieser Stelle.
Götzl: “Mit Personen! Bitte!”
Carsten R.: “Kann mich nicht erinnern. Das habe ich auch bei der Polizei schon gesagt.”
RA Hoffmann: “Haben Sie sich 2011 (Anm.: Am 04.11.2011 wurden Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe enttarnt.) bei der Polizei gemeldet?”
Carsten R.: “Nein.”
RA Hoffmann: “Warum nicht?”
Carsten R.: “Bei mir ging es ja um die Wohnung. Und bei denen um Tötung.”
Das Fragerecht hat nun RAin Pinar: “Ist Ihr ‘Egal sein’ eigentlich grenzenlos?”
Carsten R.: “Ja. Ich hab nicht differenziert, ob die Schokoriegel klauen, oder gerade jemanden umgebracht haben.”
RAin Pinar: “Wie waren Ihre Gedanken, als Sie erfuhren, dass “die 3″ Menschen umgebracht haben?”
Genau an dieser, dieser entscheidenden Stelle, an der die wirkliche Gesinnung des Zeugen ans Licht kommt, grätscht GBA Diemer mitten in die Befragung hinein. Wie immer in solchen Fällen ohne Worterteilung.
Diemer: “Ich beanstande die Frage …”
Diemer wird durch RAin Pinar unterbrochen, schließlich hat sie immer noch das Fragerecht. Sie hat weder erklärt, dass sie keine weiteren Fragen mehr hätte, noch hat irgendjemand GBA Diemer das Wort erteilt.
RAin Pinar: “Ich möchte hier nur auf eine Grundsatzentscheidung zur Beugehaft …”
Bei dem Wort “Beugehaft” wird RAin Pinar das Mikrofon abgedreht. Jedoch ist sie auch ohne Mikrofon zumindest auf der Besuchertribüne noch einigermaßen gut zu verstehen. “Ich lasse mir hier nicht von Ihnen den Mund verbieten.”
Götzl mischt sich nun auch ein: “Frau Anwältin! Bitte mäßigen Sie sich. Das Wort hat jetzt Dr. Diemer. Bitteschön, Herr Diemer! Sie sind dran.”
Aus den Reihen der Nebenklage sind überdeutlich Unmutsbekundungen ob der Entscheidung Götzls vernehmbar.
Götzl versucht den Tumult im Gerichtssaal, der sich auch auf die Tribüne ausgebreitet hat zu ignorieren: “Also bitte Herr Diemer …”
Diemer: “Ich beanstande die Frage. Die Frage hat nichts mit der Sache zu tun. Wir sind hier nicht das Jüngste Gericht, es ist nicht Aufgabe des Zeugen, sich für Einstellungen zu rechtfertigen, sondern Wahrnehmungen zu bekunden.”
Götzl: “Wenn Sie hier so weiter fragen, dann …”
RAin Pinar unterbricht Götzl: “Die Gesinnung dieses Zeugen ist mir wurscht.” (sic!)
Jetzt mischt sich RA Hoffmann in die inzwischen völlig außer Kontrolle geratene Diskussion ein: “Dieser Zeuge hier lügt den ganzen Nachmittag und die Bundesanwaltschaft unterstützt das auch noch.”
Götzl: “Ich lasse mich nicht unterbrechen …”
RAin Pinar: (An Götzl gerichtet.) “Dann sagen Sie doch endlich, was Sie sagen wollen.”
Götzl: “Ich habe Ihnen nicht das Wort erteilt. So! Und damit sich die Prozessbeteiligten wieder sortieren können und zur Besinnung kommen, unterbreche ich jetzt die Verhandlung für 10 Minuten.”
Er knallt einen Aktenordner auf das Pult, und verlässt um 17:20 Uhr ohne ein weiteres Wort zu verlieren den Gerichtssaal.
Eine angeordnete Verhandlungspause von 10 Minuten dauert im OLG-München 20 Minuten. Das war schon immer so, das wird immer so bleiben. In Bayern gehen die Uhren eben anders.
Um 17:40 Uhr erteilt Richter Götzl RAin Pinar das Wort.
RAin Pinar: “Bevor ich unterbrochen werde, stelle ich fest, dass eine Befragung des Zeugen nicht mehr sinnvoll ist. Ich stelle hiermit alle Fragen zurück.”
Die nächste Wortmeldung kommt von RA Kienzle: “Wir möchten uns zur Bemerkung von GBA Diemer zum “Jüngsten Gericht” äußern. Deswegen werden wir alle auf unser Fragerecht verzichten. Dem Zeugen ist überdeutlich klar geworden, dass sein Verhalten von der Bundesanwaltschaft hingenommen wird.”
Richter Götzl versucht noch zu retten, was zu retten ist: “Wir müssen jetzt mit der Befragung des Zeugen fortfahren.”
RA Kienzle: “Wir haben jetzt die Situation, dass die Beanstandung Diemers weiter im Raum steht. Stichwort: ‘Jüngstes Gericht’.”
Götzl: “Die Befragung des Zeugen steht im Vordergrund.”
RA Kienzle: “Das sehe ich anders. Hier steht ausgesprochen im Raum, dass Nebenkläger Fragen im Stil des “Jüngsten Gerichts” stellen.
[…]
RA Stahl: “Also mit wem haben Sie sich als Pärchen ausgegeben? Mit Frau Zschäpe?”
Carsten R.: “Das ist eine reine Vermutung von mir. Bei der Wohnungsübergabe eben. Wissen tu ich es nicht.”
RA Stahl: “Können Sie Böhnhardt und Mundlos unterscheiden?”
Carsten R.: “Nein.”
RA Stahl: “Und jetzt sag ich Ihnen noch was: Vermutlich hat Böhnhardt als Bürge auf dem Mietvertrag unterzeichnet.”
(Absolute Stille im Saal!)
Carsten R. antwortet unbeeindruckt. Dass er gerade überführt wurde, seit Stunden gelogen zu haben, lässt in anscheinend völlig kalt.
Carsten R.: “Kann sein …”
RA Stahl: “Keine weiteren Fragen mehr.”
Auf die Wiedergabe der weiteren Befragung kann getrost verzichtet werden. Carsten R. bleibt hartnäckig bei seinem Antwortverhalten.
Nach fast 5 Stunden grotesker Befragung nimmt um 18:15 das Trauerspiel mit der Entlassung des Zeugen sein Ende.
Fazit der Vernehmung: Es sind immens viele Fragen offengeblieben. Carsten R. weiß definitiv mehr, als er vorgibt zu wissen. Er hat Stunde um Stunde beinhart gelogen. Dies wurde ihm beispielsweise beim Themenkomplex Wohnungsbesichtigung und Mietvertrag eindrucksvoll nachgewiesen. Seine Aussagen, dass er mit Beate Zschäpe als Pärchen auftrat und das Zschäpe die Mitunterzeichnerin des Mietvertrages war, wiederholte er mehrmals. Beide Aussagen waren glatte Lügen, die völlig ohne Konsequenzen blieben.
Eine weitere Einvernahme des Zeugen wäre dringend geboten gewesen. Aber nur unter anderen Voraussetzungen wäre sie auch sinnvoll gewesen. Das Problem ist wieder einmal die Bundesanwaltschaft. Eine Bundesanwaltschaft, die wenig Interesse an einem zusätzlichen Erkenntnisgewinn hat, ist zu kritisieren. Eine Bundesanwaltschaft, die aktiv die Bemühungen zur Aufklärung verhindert, ist inakzeptabel, unzumutbar, eine Verhöhnung aller Opfer, ein Schlag ins Gesicht der Hinterbliebenen und unterstützt direkt den Rechtsextremismus. Zum kompletten Artikel >>
Lügen und Verharmlosen, Teil XII – weitere Vernehmung von Michael Probst
So leugnete er sogar, den Angeklagten André Eminger gekannt zu haben – und das, obwohl seine Ex-Frau bei der Polizei noch von konkreten Geschäftsbeziehungen Emingers zu Probst berichtet hatte und obwohl seine Telefonnummer im Handy-Speicher von Eminger gefunden wurde. Jedenfalls ist die Aussage des Zeugen nicht geeignet, die Angaben des V-Mannes Carsten Szczepanski zu den Unterstützungshandlungen von „B&H“ Sachsen und seiner Exfrau in Frage zu stellen. Nach seiner Zeugenaussage hätte er jedenfalls keine Kenntnis von solchen Unterstützungshandlungen haben können. Dass Szczepanski ihn als „B&H“-Mitglied bezeichnet, kann auch an seiner hervorgehobenen Position als Musikproduzent, Ladenbetreiber, Bandmitglied, Ehemann von Antje Probst und engem Freund von Jan Werner gelegen haben.
Lügen und Verharmlosen VIII – Gewährsperson Andreas Rachhausen
Während der gesamten Vernehmung wurde deutlich, dass Rachhausen log, um seine Rolle im THS und dessen wahre Bedeutung zu verharmlosen.
Thomas Gerlach ist einer der aktivsten Neonazis aus Thüringen. Er leugnet seine ultrarechte Einstellung nicht, sondern er schildert sein krudes Weltbild in geradezu unerträglicher Art und Weise. Gerlach war unter anderem Mitglied beim Thüringer Heimatschutz (THS), also der Organisation aus der vermutlich der NSU hervorgegangen ist. Zudem werden Gerlach engste Verbindungen zu den rechtsextremen und gewaltbereiten Hammerskins nachgesagt. Er sagt am 10.07.2014 bereits zum 2. Mal aus. Seine 1. Vernehmung am 01.07.2014 wurde vom Vorsitzenden Richter Manfred Götzl abrupt unterbrochen.
Hier ein Auszug aus der Befragung vom 10. Juli 2014 vor dem OLG München:
RA Scharmer: „Erkennen Sie jemanden?“
Gerlach: „Ja. Wohlleben.“
Das nächste Foto: Ein Gruppenbild. Alle Personen posieren mit vor dem Oberkörper gekreuzten Armen.
RA Scharmer: „Und ..?“
Gerlach: „Sag ich nichts.“
RA Scharmer: „Wer darf dieses Symbol machen?“
Gerlach: „Möchte ich nichts dazu sagen.“
RA Scharmer: „Ist Wohlleben dabei?“
Gerlach: „Sag ich nichts.“
RA Scharmer: „Eminger?“
Gerlach: „Sag ich nichts.“
RA Scharmer: „Was ist ‘NOM’? ‘National Officers Meeting’?“
Gerlach: „Sag ich nichts.“
RA Scharmer: „2011?“
Gerlach: „Sag ich nichts.“
RA Scharmer: „Wer darf da hin?“
Gerlach: „Sag ich nichts.“
RA Scharmer: „Welche Hammerskin-Gruppen gibt es?“
Gerlach: „Sag ich nichts.“
RA Scharmer: „Wer ist verantwortlich?“
Gerlach: „Sag ich nichts.“
[…]
RA Scharmer: „…“ (Wird von Gerlach unterbrochen.)
Gerlach: „Können Sie die Fragen nicht hintereinanderstellen? Dann brauch ich nur einmal zu antworten.“
Die Gesichtsfarbe von Richter Götzl wechselt nach dieser Frechheit in ein bedrohlich wirkendes dunkelrot: „Jetzt werden Sie mal nicht unverschämt!“ Die Wände des Gerichtssaals scheinen zu beben.
RA Scharmer bleibt unbeeindruckt und macht weiter: „Sagt Ihnen der Begriff ‘Fourteen Words’ etwas?“
[…]
Gerlach ist der erste Zeuge aus der Naziszene, der aus seiner Gesinnung keinen Hehl machte. Er hat es geschafft, minutenlang über den drohenden Volkstod zu schwadronieren. Er konnte sogar ausführlichst seine extrem rassistischen „Lösungsansätze“ zur Verhinderung des Volkstodes darlegen. Niemand hat ihn dabei unterbrochen. Gerlach verhielt sich den Verfahrensbeteiligten und sogar dem Gericht gegenüber extrem respektlos. Eingegriffen hat niemand. Anwälte der Nebenklage werden vom Vorsitzenden Richter Götzl regelmäßig bloßgestellt, gemaßregelt und „zusammengefaltet“, wenn Sie beispielsweise nicht sofort die korrekte Fundstelle einer Akte benennen können.
Gerlach dagegen wurde mit Milde behandelt, er wurde geradezu verhätschelt. Zum kompletten Artikel >>
Wie Carsten R. ist auch Thomas R. einer dieser extrem unangenehmen Zeugen aus dem unüberschaubaren Unterstützernetzwerk des so genannten NSU.
Thomas R. soll Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe nach ihrem Untertauchen im Jahr 1998 für ungefähr 14 Tage in seiner Wohnung im sächsischen Chemnitz aufgenommen haben. Auch war Thomas R. in der rechtsextremen Szene zumindest zu Beginn der neunziger Jahre höchst aktiv. Vor allem als Mitveranstalter rechtsradikaler Konzerte fiel Thomas R. auf. Deshalb sollte er im NSU-Prozess vor dem OLG München aussagen.
Viele Zeugen aus dem Umfeld “der Drei” sind in den vergangenen 100 Prozesstagen durch unverhohlen vorgetäuschte Erinnerungslücken, plötzlichem Gedächtnisverlust oder wegen Falschaussagen, vulgo Lügen in denkwürdiger Erinnerung geblieben. Bis zum 100. Prozesstag blieb dieses Verhalten völlig ungeahndet aber nicht unbeachtet.
Am heutigen symbolträchtigen 100. Prozesstag wollte der Vorsitzende Richter Götzl offenbar ein Zeichen setzen. Während der Vernehmung des Thomas R. war im Gerichtssaal plötzlich das Wort “Ordnungsmittel” vernehmbar. Soweit nichts ungewöhnliches. Die Vertreter der Nebenklage führten diesen Begriff schon öfters ins Felde. Ordnungsgeld oder Beugehaft gehören untrennbar zu dieser Vokabel und sind auch schon öfters während der Hauptverhandlung gefallen. Aber eben niemals von Götzl selbst. Ein derartiges Ansinnen der Nebenklage wurde bisher ausnahmslos von der Generalbundesanwaltschaft oder vom Senat rigoros abgeschmettert.
Heute war alles anders: Der Vorsitzende Richter Manfred Götzl höchstpersönlich sprach das Wort “Ordnungsmittel” aus eigenem Antrieb und ohne dass von irgendeiner Seite ein entsprechender Antrag gestellt wurde, von selbst aus.
Hier ein kurzer Ausschnitt aus der Vernehmung von Thomas R.
Götzl: “Wer gehörte aus Chemnitz dazu?”
Thomas R.: “Bin zu Veranstaltung hin, das war es dann auch schon …”
Götzl: “Ich fragte nach Leuten, mit denen Sie zu tun hatten.”
Thomas R.: “Das will und muss ich hier nicht sagen.”
Götzl: “Doch!”
Thomas R.: “Will nicht.”
Und hier ein Beispiel aus dem Bereich Verfassungsschutz:
Der vom Landesamt für Verfassungsschutz bestellte “Zeugenbeistand” für den ehemaligen V-Mann Benjamin G. Rechtsanwalt Volker Hoffmann hat am 64. Prozesstag im NSU-Prozess offenbar unwahr ausgesagt. Diesen Verdacht legt zumindest eine Meldung der Frankfurter Rundschau vom 06.12.13 nahe. Demnach hatte laut Frankfurter Rundschau ein Sprecher des hessischen Verfassungsschutzes bestätigt, dass RA Hoffmann vom hessischen Verfassungsschutz nicht nur für die Vernehmung von Benjamin G. am 04.12.13 vor dem OLG München bestellt und bezahlt wurde, sondern auch für eine Vernehmung von G. durch das BKA im Jahr 2012.
Der hessische Verfassungsschutz hat bestätigt, dass er beim Rechtsterrorismus-Verfahren in München den Anwalt für einen früheren Zuträger aus der rechtsextremen Szene bezahlt hat. Auch bei der Vernehmung durch das Bundeskriminalamt im Jahr 2012 habe die Behörde den Rechtsanwalt Volker Hoffmann für den früheren Rechtsextremisten Benjamin G. entlohnt, sagte ein Sprecher des Verfassungsschutzes der Frankfurter Rundschau am Donnerstag.
Genau diese Vernehmung vom 26.04.12 war unter anderem ein Thema im NSU-Prozess am 04.12.13. Auf die Frage von Nebenklageanwalt Bliwier, ob G. sich an diese Vernehmung erinnere, antwortet dieser nach mehreren Nachfragen mit “nein”. Auch RA Hoffmann hat laut meiner Mitschrift der Vernehmung keine Erinnerung mehr an die Befragung durch das BKA: Schenkt man der Meldung der Frankfurter Rundschau glauben, dann hat RA Hoffmann eindeutig vor dem OLG München gelogen.
Hier die entsprechende Passage der Verhandlung am 04.12.13:
Bliwier macht einen weiteren Vorhalt aus dem Vernehmungsprotokoll des BKA vom 26.04.2012: “Sie hatten damals folgendes ausgesagt: ‘Danach hatte ich bis zum 23.04.2012 mit dem LfV überhaupt keinen Kontakt mehr. An diesem Tag bin ich von zwei Mitarbeitern aufgesucht worden, die mich auf die heute stattfindende Vernehmung ansprachen.’ Haben Sie das verstanden?”
– Stille –
Richter Götzl erklärt in einfachen Worten die Frage nochmals.
– Stille –
Bliwier: “Herr G., hat Ihr Zeugenbeistand die Vernehmung vom 26.04.2012 in seinen Akten?”
– Stille –
Bliwier: “Kennen Sie diese Vernehmung?”
G.: “Ich hab hier keine Zettel.”
Bliwier: “Ob Sie die Vernehmung überhaupt kennen…”
Hoffmann: “Wir haben keinerlei Protokolle bekommen.”
Bliwier: “Nochmal: ‘Danach hatte ich bis zum 23.04.2012 mit dem LfV überhaupt keinen Kontakt mehr. An diesem Tag bin ich von zwei Mitarbeitern aufgesucht worden, die mich auf die heute stattfindende Vernehmung ansprachen.’ Erinnern Sie sich?”
G.: “Nein.”
Wie lange noch? Wie lange will der Senat seine Haltung beibehalten? Seit fast zwei Jahren wird im Saal 101 am OLG München versucht, den Angeklagten ihre Beteiligung am NSU-Terror nachzuweisen. Seit ebenfalls zwei Jahren können Prozessbeobachter ein bemerkenswertes Phänomen beobachten: Es wird gelogen. Es wird dermaßen hemmungslos gelogen, dass sich die Balken biegen.
Die für jeden offenkundige Lüge hat einen festen Platz vor dem 6. Strafsenat unter dem Vorsitz von Richter Manfred Götzl gefunden. Konsequenzen gab es selbst für die dreistesten lügenden Zeugen bis jetzt nicht. Die Neonazi-Szene hat dies längst erkannt und lässt die aus ihren Reihen vorgeladenen Zeugen offenbar nicht mal mehr durch ihre Szeneanwälte auf die Verhandlungen vorbereiten. In Szene-Kreisen wird der NSU-Prozess inzwischen „OLG-Stadl“ genannt.
Ist wieder ein lügender Nazi-Zeuge vorgeladen und führt das Gericht mit angeblichen Erinnerungslücken und grotesken Falschaussagen vor, dann lässt sich ein weiteres Phänomen beobachten:
Die Diskussionen in den kurzen Verhandlungspausen oder am Ende eines Prozesstages zwischen Prozessbeobachtern, der Presse und den Anwälten der Nebenklage lassen eines deutlich erkennen: Es hat sich Frust ausgebreitet. Wurden anfangs noch Stimmen laut, dass Götzl dieser Lügerei endlich einen Riegel vorschieben solle, so hört man in den letzten Tagen vorwiegend sarkastische Bemerkungen.
Diese lügenden Nazi-Zeugen sind schon lange kein Aufreger mehr. Irgendwann hat sich die fatale Erkenntnis breit gemacht, man könne daran ja sowieso nichts ändern. Ganz egal wer: Ob Prozessbeobachter, Journalisten aber auch die Anwälte der Nebenklage scheinen den Kampf gegen die Lüge im NSU-Prozess aufgegeben zu haben. Sie flüchten sich immer öfter in juristische Spitzfindigkeiten, falls sie von einem neu hinzugekommenen Prozessbeobachter deswegen angesprochen werden. Bei diesen Gesprächen zeigt sich überdeutlich, dass die Angesprochenen selbst nicht mehr glauben, was sie da sagen und am liebsten vor Scham in den Erdboden versinken möchten. Der Prozessbeobachter bleibt rat- und fassungslos zurück, versteht die Welt nicht mehr und verliert mit jedem weiteren Prozessbesuch, bei dem wieder ein lügender Nazi-Zeuge sein krudes Weltbild und haarsträubende Lügengeschichten auf großer Bühne vortragen darf, den letzten Glauben an eine gerechte und unabhängige Justiz.
Ein Teil der Antwort ist einfach: Die Angeklagten sind es nicht. Warum? Sie sagen nichts. Gar nichts. Das betrifft übrigens nicht nur Beate Zschäpe. Lediglich einer der Angeklagten hat bis jetzt eine Aussage gemacht. Im Allgemeinen wird diese als weitgehend glaubwürdig eingeschätzt.
Ausnahmslos gelogen haben:
Alle Zeugen aus der Rechten Szene, die zum Umfeld von Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe aussagen sollten.
Ebenfalls ohne Ausnahme gelogen haben:
Alle bisher geladenen V-Männer vom Verfassungsschutz. Prominente Beispiele: Tino Brandt, Carsten Szczepanski, Benjamin Gärtner.
Ein besonders dreister Lügner:
Der ehemalige V-Mann-Führer Andreas Temme ist ebenfalls vom Verfassungsschutz.
Weiter beim Verfassungsschutz:
Der Zeugenbeistand RA Volker Hoffmann, der dem V-Mann Benjamin Gärtner vom Landesamt für Verfassungsschutz zugeteilt wurde, hat nachweislich während der Vernehmung von Gärtner gelogen. Mehrmals. Damals war ich einer der fassungslosen Prozessbeobachter, als ich mir nach dem Verhandlungstag erklären lassen musste, dass Hoffmann in seiner Funktion als Zeugenbeistand nicht verpflichtet wäre, die Wahrheit zu sagen.
Es kommt noch schlimmer:
Nicht nur Verfassungsschutz, Zeugen aus der rechten Szene, sondern auch Zeugen aus den Reihen der Polizei stehen zumindest schwer im Verdacht vor Gericht gelogen zu haben.
Der 6. Strafsenat muss eine 180 Grad Kehrtwende machen, um die Glaubwürdigkeit des Gerichts zu retten und um den ungeheuren Ausmaßen der Verbrechen, die hier aufgeklärt werden sollen, gerecht zu werden. Jede Lüge ohne Konsequenz ist ein Schlag ins Gesicht der Opfer und deren Familien.
Die Presse berichtet immer weniger über die Aussagen der lügenden Nazi-Zeugen. Das muss aufhören. Und zwar sofort! Einige große Redaktionen berichten gar nicht mehr über die Lügner. Das ist der völlig falsche Weg und auch einer der Gründe dafür, dass die Situation jetzt so ist, wie sie ist. Zugegeben: Es ist schwer, mühsam, beinahe unmöglich und unbefriedigend darüber zu berichten. Das Argument einiger Journalisten, dass es bei diesen Aussagen nichts substanzielles zu berichten gibt, ist in sich richtig. Trotzdem ist es im Grundsatz völlig falsch. Denn hier ist die Lüge ohne Konsequenz die Substanz, über die berichtet werden muss. Und zwar pingelig genau, am besten mit den entsprechenden Fakten unterlegt. Jede ungeahndete Lüge vor Gericht muss der Öffentlichkeit präsentiert werden. Und jede dieser Lügen muss wie auf dem Seziertisch auseinandergenommen und mit Gegenbeweisen als solche identifiziert werden. Nach jedem Lügner vor Gericht muss die Frage nach den Konsequenzen gestellt werden. Immer wieder. Auch wir Blogger sind hier in der Pflicht. Auch deswegen dieser Artikel.
Am 198. VHT sagte unter anderem Markus F. als Zeuge aus. Er sollte unter anderem Erkenntnisse aus dem Umfeld von Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe aus der Zeit kurz vor deren Abtauchen in den Untergrund liefern. Nach seiner Aussage wurde ich von einer Prozessbesucherin, einer älteren Dame, geistig sehr jung geblieben, angesprochen: „Und was passiert jetzt mit dem Zeugen? Der hat doch von Anfang bis Ende gelogen. Wird der jetzt festgenommen? Gibt es da keine Konsequenzen?“ Ich muss gestehen, ich habe mich geschämt, als ich der Dame sagen musste, dass Markus F. vermutlich mit keinen Konsequenzen rechnen muss und jetzt auf dem Weg nach Hause ist.
Um 14:10 Uhr beginnt die Vernehmung des Zeugen Markus F., Textilreiniger aus Chemnitz. Er soll zum Umfeld von Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe aussagen. Nach der üblichen Belehrung durch Richter Götzl beginnt dieser mit seiner 1. Frage zum Mitangeklagten Ralf Wohlleben.
Götzl: „Zu dem Herrn Wohlleben. Was können Sie mir da sagen?“
F.: „Nichts.“
Götzl: „Sie kennen Wohlleben nicht ..?“
F.: „Nein.“
Götzl: „Kennen Sie denn die Beate Zschäpe?“
F.: „Nicht, dass ich wüsste.“
Götzl: „Was bedeutet das?“
F.: „Könnte sein. Vor 1998. Danach bin ich verhaftet worden.“
Götzl: (Schweigen)
F.: „Kann nix sagen. Ist so lange her.“
Götzl: „Können Sie das zeitlich Einordnen? Im Zusammenhang mit dem Kennenlernen von Zschäpe und …“
F.: (unterbricht Götzl) „… keine Ahnung.“
Götzl: „Lassen Sie mich aussprechen! Was hat 1998 mit Zschäpe zu tun?“
F.: „Kann weder ja noch nein sagen. Weil ich da in Haft war. Danach hatte ich mit Szene nix zu tun.“
Götzl: „Und was war vor 1998? In Bezug auf Szene?“
F.: „Viel getrunken, rumgeprügelt. Viel hatte ich damit nicht zu tun, weder mit dem politischen noch sonst was.?
Götzl: „Welche Personen bringen Sie mit der Rechten Szene in Verbindung? Vor 1998?“
F.: „Niemand spezielles.“
Götzl: „Ja, das sind doch einige Leute.“
F.: „Weiß nicht. Keine Erinnerung.“
Götzl: (deutlich lauter) „Herr F., Sie sind nicht glaubwürdig.“
F.: „Wenn ich es nicht weiß. Kann ja nicht irgendeinen Namen sagen.“
Götzl: „Glaube Ihnen nicht.“
F.: „Soll ich lügen?“
Götzl: „Nein. Aber auch ein Schweigen kann eine Falschaussage sein.“
F.: „Ja …“
Götzl: „Also getrunken, geprügelt? Aber keine Kontakte?“
F.: „…“
Götzl: „Szene bedeutet Kontakt mit Leuten.“
F.: „Ja, in der Wendezeit. Gab Links und Rechts. Bin da irgendwie reingeschlittert.“
Götzl: „Wo haben Sie sich aufgehalten?“
F.: „Von 1991 bis 1994 in Stuttgart, wegen meiner Lehre. Dann Chemnitz.“
Götzl: „Was haben Sie in Stuttgart gemacht?“
F.: „Lehre.“
Götzl: „Nur Stuttgart?“
F.: „Auch Ludwigsburg.“
Götzl: „Mit wem Kontakt?“
[…]
Götzl: „Kennen Sie Mundlos?“
F.: „Nee!“
Götzl: „Böhnhardt?“
F.: „Nein.“
Götzl: „André Eminger?“
F.: „Nö.“
Götzl: „Holger Gerlach?“
F.: „Nein.“
Götzl: „Schulze?“
F.: „Nein.“
Götzl: „Gab es mal Besuch aus Stuttgart oder Ludwigsburg in Chemnitz?“
F.: „Nicht mit mir in Verbindung.“
Götzl: „Natürlich mit Ihnen in Verbindung!“
F.: „…“
Götzl: „Also Sie sind 1994 wieder nach Chemnitz. Was haben Sie da gemacht?“
F.: „Gearbeitet. Bei Vater in Textilreinigung. Bis heute.“
Götzl: „Und Ihre Tätigkeit in der Szene?“
F.: „Hab dort keine Tätigkeit gehabt.“
(RA Heer ermahnt den Zeugen deutlicher zu sprechen)
F.: „Keine spezielle Tätigkeit in Szene gehabt!“ (besonders laut)
[…]
Und in diesem Stil zog sich die weitere Vernehmung hin. Selbst bei Vorhalten aus Vernehmungen von ihm bekannten Personen aus der Rechten Szene kann sich Markus F. entweder an nichts erinnern oder leugnet, diese Personen zu kennen. Schließlich werden ihm mehrere Fotos vorgelegt. Darunter sind Fotos, die F. eindeutig mit Mundlos und Zschäpe zeigen. Bei diesen Fotos erkennt er sich zwar selbst, sonst meist aber keine der anderen Personen.
Eine Rechtsanwältin der Nebenklage stellt F. unter anderem diese Frage: „Haben Sie Tattoos?“
F.: „Nein.“
Für jeden im Gerichtssaal ist am linken Unterarm in der Nähe des Handgelenks eine große Tätowierung zu sehen. Jedoch erhebt niemand wegen dieser beinharten, mehr als offensichtlichen Lüge Einspruch. Innerhalb von 5 Minuten hätte das Gericht bei diesem einfachsten Beispiel Markus F. eine Falschaussage nachweisen können. Aber: Es ist nichts passiert.
Die nächste Frage verpufft deswegen völlig wirkungslos: „Tragen Sie auf Ihrer Brust einen tätowierten Rudolf Heß Schriftzug?
Die Antwort des Zeugen F. ist daher nicht überraschend: „Nein.“
Während einer Prozesspause unterhielt ich mich bei einem Espresso mit einem Anwalt der Nebenklage über das Problem „Lügen ohne Konsequenzen.“ Nach kurzer Zeit sprudelte es förmlich aus ihm heraus. Der ganze aufgestaute Frust entlud sich. Es war offensichtlich: Hier läuft etwas grundlegend schief. Und: Er machte mich auf eine interessante Geschichte aufmerksam:
Das immer öfter vorgebrachte Argument, dass es bei Falschaussagen auch ohne Vereidigung kaum Möglichkeiten gibt, dies zu ahnden ist falsch. Dies dokumentiert der Fall eines Polizisten aus Rosenheim, der vor dem NSU-Untersuchungsausschuss Bayern eine Aussage machte, die so gar nicht in das offizielle Bild passte. Die Staatsanwaltschaft wurde hier überraschend schnell aktiv: Wegen einer Falschaussage! Vermutlich war die Falschaussage aber gar keine solche.
Die Mitglieder des Untersuchungsausschuss „Rechtsterrorismus in Bayern – NSU“ haben sich zur 28. Sitzung versammelt. Die Zeugenbefragung wird durch den Vorsitzenden Franz Schindler (SPD) geleitet, der den heutigen ersten Zeugen KHK Konrad Pitz von der KPI Rosenheim befragt.
Zeuge Konrad Pitz: Und dass es eine kriminelle Vereinigung oder terroristische Vereinigung gebe, auf jeden Fall rechtsradikal. Das muss zumindest gefallen sein: NSU. Ich habe mir das also besonders gemerkt, weil diese NSU war für mich so eine Brücke: NSU und dann das NSU-Fahrrad, also das ist das einzige Fahrrad der Welt, das mit Kardanantrieb ist, und deshalb konnte ich mir eben das so gut merken. Die sagten dann eben Nationalsozialistischer – – Wie heißt der?
Vorsitzender Franz Schindler (SPD): Gut. Jetzt sagen Sie uns mal, wann war die Besprechung, und wer war da dabei?
Zeuge Konrad Pitz: Ich kann Ihnen das Datum nicht mehr sagen.
Vorsitzender Franz Schindler (SPD):Ungefähr.
Zeuge Konrad Pitz: Es war die Verabschiedung vom SoKo-Leiter Geier, der dann die SoKo „Peggy II“ weiterführte. Das kann ich Ihnen sagen. Ein genaues Datum nicht mehr.
Vorsitzender Franz Schindler (SPD): Das deutet im Ergebnis, wenn das stimmt, was Sie sagen, dass das etwa im Jahr 2007 gewesen sein müsste, oder?
Zeuge Konrad Pitz: Ja.
Damit war die Katze aus dem Sack: Ein Zeuge aus Polizeikreisen sagt, dass ihm der Begriff „NSU“ bereits im Jahr 2007 im Zusammenhang mit Rechtsextremismus geläufig war. Also 4 Jahre bevor die Abkürzung „NSU“ durch das Auffliegen des Nationalsozialistischen Untergrunds bekannt wurde.
An diesem Tag ist im „NSU-Untersuchungsausschuss Bayern“ eine Bombe geplatzt. Und kaum jemand hat es interessiert. Diese Aussage passte so überhaupt nicht zur offiziellen Version, auf dessen Grundlage der NSU-Prozess aufbaut.
Nur die Staatsanwaltschaft München I sah offenbar dunkle Wolken am Horizont aufziehen und versuchte das Schlimmste zu verhindern.
In der Süddeutschen Zeitung erschien am 05. Dezember 2014 ein Artikel, der sich mit der Aussage von KHK Pitz und deren Folgen befasste:
Brisante Erinnerungen
Die Erinnerung von Konrad Pitz ist deswegen so brisant, weil die Polizei bisher unisonso erklärt, sie habe bei ihren Ermittlungen nicht an eine rechtsradikale Terrorgruppe denken können. Weil so etwas außerhalb jeglicher Vorstellung lag. […] Quelle: Süddeutsche Zeitung vom 05.12.14
Nazi-Zeugen, die sich im NSU-Prozess vor dem OLG München immer dreister benahmen waren bereits im Dezember 2014 zu einem Problem geworden, welches am besten niemals hochkochen sollte.
Die Staatsanwaltschaft München I reagierte rasch und klagte Kommissar Pitz wegen uneidlicher Falschaussage an. „Bei Aussagedelikten verstehen wir keinen Spaß“, sagt der Sprecher der Staatsanwaltschaft München I, Thomas Steinkraus-Koch. Eine Aussage vor dem Untersuchungsausschuss gilt wie eine Aussage vor Gericht und auf Lügen steht eine Strafe von drei Monaten bis fünf Jahre. […] Quelle: Süddeutsche Zeitung vom 05.12.14
Und es wird in der Justiz doch mit zweierlei Maß gemessen. Und zwar wasserdicht beweisbar. Warum dies unbedingt bei der Aufarbeitung der NSU-Verbrechen so offensichtlich geschieht, könnte man entweder mit grenzenloser Dummheit oder durch Panikreaktionen erklären. Ob Dummheit oder Panik: Die Institution, die das eine oder andere Kriterium erfüllt, muss eine gewisse Macht haben, um derartige Verfahren anzustoßen oder zu verhindern.
Kein Verfahren gegen rechtsradikale Szenezeugen.
Doch im Gegensatz zu Kommissar Pitz werden die Lügner vor Gericht bisher nicht verfolgt, es ist kein Verfahren gegen die rechtsradikalen Szenezeugen anhängig. […] Die Staatsanwaltschaft München I beruft sich darauf, man warte erst die Beweisaufnahme und die Bewertung durch das Gericht ab. Quelle: Süddeutsche Zeitung vom 05.12.14
Ob und wie das OLG München gegen lügende Verfassungsschützer vorgehen wird? Es bleibt spannend.
Hier zum 2. Teil der Mini-Serie: „Lügende Nazi-Zeugen sind der Öffentlichkeit nicht vermittelbar.“ >>
Auch wenn die Auswirkungen des Nagelbombenanschlags verheerend waren. Es war sicher nicht das gewünschte Ergebnis, dass sich die Attentäter erhofft hatten. Zugegeben: Angesichts der grausamen Opferbilanz mag dieser Satz zynisch anmuten.
Trotzdem muss dieser Umstand geklärt werden, er ist wie viele andere Indizien ein wichtiges Puzzleteil, das vielleicht die Hintergründe des Anschlags vom 9. Juni 2004 aufklären könnte.
Ein weiterer Aspekt:
Der Anschlag hätte ein weit schlimmeres, schier unglaubliches Massaker auslösen können. Indizien dazu gibt es genügend. Nachgeprüft wurden sie bis heute nicht.
Die Konstruktion der Sprengvorrichtung konnte nur einem Zweck dienen: Das Töten von Menschen. Dabei war es den Bombenlegern völlig gleichgültig, ob das Leben von Babys, Kindern, Frauen, Männern, Alten, Jungen, Einheimischen oder Migranten, egal welcher Herkunft geopfert wird. Nach dem Platzieren der Bombe hatten die Täter keine Möglichkeit mehr, die Auswirkungen der Explosion entscheidend zu beeinflussen. Nur der Zufall entschied über Leben und Tod.
Die Ermittler fanden Bauteile, Splitter und Nägel des Sprengsatzes in einem Umkreis von bis zu 250 Metern um den Detonationsort herum. Mindestens 22 Menschen, die sich zufällig im Umkreis der Bombe aufhielten, wurden zum Teil lebensgefährlich verletzt. Viele leiden noch heute an den Spätfolgen. Dass durch die enorme Sprengwirkung niemand ums Leben kam, ist ein wahres Wunder. Eine andere Erklärung gibt es nicht.
Trotz der erheblichen Auswirkungen der Explosion musste in den letzten Minuten und Sekunden vor der Zündung der Bombe von irgendjemandem aus dem Kreis der Attentäter ein Fehler gemacht worden sein. Die Auswahl des Detonationsortes scheint einer dieser Fehler zu ein. Eine Erklärung dafür existiert bis heute nicht. Dabei könnten viele Indizien einen oder mehrere Fehler der Attentäter belegen und erklären.
Es erscheint auf den ersten Blick banal: Die Methode der Wahl um der Aufklärung aller dem NSU zugeschriebenen Verbrechen näher zu kommen, ist die Suche nach Fehlern.
Man kann mit Sicherheit davon ausgehen, dass bei all den Morden, Raubüberfällen und Bombenanschlägen, die sich über Jahre hinzogen, massenhaft Fehler gemacht wurden. Die gerne erzählte Geschichte, dass die mutmaßlichen Bombenleger Böhnhardt und Mundlos jahrelang ein perfektes Verbrechen nach dem anderen quasi am Fließband produzierten ist falsch. Diese Version ist sogar grundlegend falsch. Sie muss falsch sein, denn das perfekte Verbrechen gibt es nicht. Denkt man – wie hier beim Nagelbombenanschlag – einmal oder zweimal um die Ecke, dann fallen sofort Ungereimtheiten auf. Es muss nicht immer der Verfassungsschutz bei diesen Merkwürdigkeiten seine Finger im Spiel gehabt haben, es kann sich auch um einen banalen Fehler, eine kleine Unaufmerksamkeit bei der Planung oder Durchführung eines Verbrechen handeln. Fehler, die so unbedeutend erscheinen, dass sie nicht mal von den Tätern selbst bemerkt wurden.
Diese Fehler warten nur darauf, endlich gefunden zu werden.
Beim Anschlag in der Keupstraße geschah während der simplen Platzierung der Bombe vermutlich ein kleiner Fehler, der gravierende Auswirkungen hatte. Das frustrierende im konkreten Fall Keupstraße ist jedoch: Den Ermittlungsbehörden ist es offenbar noch nicht einmal aufgefallen, dass die enorme theoretische Sprengkraft der Nagelbombe bei Weitem nicht mit den verursachten Schäden in Einklang zu bringen ist.
Die Bombenkonstruktion:
Eine handelsübliche 5-Liter-Butangasflasche aus Stahl mit einer Wanddicke von 2 Millimetern, 26 Zentimeter hoch, Durchmesser 20,5 Zentimeter, Leergewicht ca. 1,7 Kilogramm.
Der Transport der Bombe:
In einem Hartschalenkoffer, einem sogenannten TopCase, Modell K 9400 der Firma KAPPA, Gewicht etwa 4 Kilogramm. Alles wurde auf einem Fahrrad aus einem Sonderangebot von Aldi befestigt.
Füllung der Gasflasche:
5,5 Kilogramm Schwarzpulver, eingebettet in etwa 800 Nägel, jeder davon 10 Zentimeter lang, 5 Millimeter dick, und ca. 11 Gramm schwer. Insgesamt 8,8 Kilogramm Nägel vermuten die Ermittler. Diese Nägel werden umgangssprachlich als Zimmermannsnägel bezeichnet. Zusätzlich befanden sich diverse elektronische Bauteile zur Zündung der Sprengvorrichtung und Watte als Sicherung vor einer unabsichtlichen Detonation durch einen Stoß gegen die Bombe.
Gesamtgewicht:
Inklusive der Fahrradhalterung dürfte die Nagelbombe etwa 20 Kilogramm schwer gewesen sein.
Woher hatten die Attentäter die Bauteile?
Abgesehen vom Schwarzpulver sind sämtliche Bauteile der Nagelbombe problemlos in jedem gut sortierten Baumarkt zu beschaffen. Vermutlich wäre an der Kasse niemand misstrauisch geworden. Selbst dann nicht, wenn die Bombenbauer alle Bauteile auf einem einzigen Einkaufswagen transportiert hätten.
Die Sprengvorrichtung wurde auf dem schmalen Gehweg vor dem Anwesen Keupstraße 29 – einem Frisörladen – deponiert. Durch die Tatortuntersuchung ließ sich leicht feststellen, dass der Sprengsatz zwischen der Hauswand und einem in direkter Nähe geparkten 3er-BMW explodierte. Dies belegen unter anderem Beschmauchungen, die an der Hauswand bis in eine Höhe von etwa 3 Metern reichen. Das explodierte Schwarzpulver verursachte eine mindestens 2 Meter hohe Stichflamme. Dies konnte auch durch Zeugenaussagen bestätigt werden.
Vermutlich war eine Glühwendel aus einer Taschen- oder Fahrradlampe das zentrale Element der Zündvorrichtung. Per Funkfernsteuerung setzten die Attentäter die Glühwendel für kurze Zeit unter Strom, was zur Explosion der 5,5 Kilogramm Schwarzpulver führte. In Sekundenbruchteilen entstanden so 1800 Liter Gas, welches mit einer Temperatur von 2000°C den Sprengsatz mit einer Stichflamme und ungeheurer Wucht auseinanderriss. Neben den Splittern schossen die Nägel mit einer Geschwindigkeit von mindestens 770 km/h vom Explosionsort davon. Die Bodenplatte der Gasflasche wurde abgesprengt, schleuderte mit einer immensen Geschwindigkeit durch die Luft und schlug 45 Meter vom Explosionsort entfernt auf dem Asphalt auf.
Gegenüber der Hauswand befand sich in einem Abstand von etwa 1,5 Metern ein geparkter durch die Detonation zerstörter 3er-BMW. Dadurch wurde ein erheblicher Teil der Druckwelle, der Bombensplitter und der Nägel nach oben und in Längsrichtung in beide Richtungen des Gehweges geschleudert. Der Fehler war hier also eine bedeutende Abschirmung der Druckwelle durch falsches Platzieren der Bombe, was mit Sicherheit Menschenleben gerettet hat. Extrem unwahrscheinlich, dass dies so beabsichtigt war.
Es existieren seit geraumer Zeit Aussagen von Opfern, Augenzeugen und Anwohnern der Keupstraße, dass ein mit Gasflaschen beladener Kleintransporter eine Rolle beim Nagelbombenanschlag gespielt haben soll. Der Plan könnte wie folgt gewesen sein:
Offenbar wurden die vielen Geschäfte und Restaurants der Keupstraße täglich mit Gasflaschen beliefert. Eine Zeugin hat ausgesagt, dass ein Kleintransporter diese Gasflaschen auslieferte. Dies ist absolut glaubwürdig, da in den engen Straßen ein großer LKW, der auch größere Gasflaschen ausliefern könnte, enorme Schwierigkeiten hätte, die Geschäfte zu erreichen.
Der Kleintransporter mit der Gasflaschenlieferung.
Die gleiche Zeugin hat auch berichtet, dass sich der Gasflaschenlieferant mit seinem Transporter normalerweise jeden Nachmittag genau zum Zeitpunkt des Nagelbombenanschlags in unmittelbarer Nähe des Detonationsortes befand. Nur an diesem 9. Juni 2004 hätte der Lieferant ausnahmsweise bereits am Vormittag die Keupstraße beliefert. Diese Aussage konnte oder wollte bis jetzt noch niemand bestätigen oder widerlegen.
Ein weiterer Zeuge berichtete, dass er öfters den Fahrer des Gastransporters „geschimpft“ hätte, nicht zu viele Gasflaschen auf einmal zu laden, da er Angst vor einer Explosion der Gasladung hatte.
Vermutlich hätte die explodierte Nagelbombe dazu dienen sollen, eine noch wesentlich größere Detonation auszulösen. Die Explosion eines mit Gasflaschen voll beladenen Transporters hätte unzählige Todesopfer gefordert, die Anzahl der schwerstverletzten Opfer hätte die Kapazität sämtlicher Krankenhäuser im Großraum Köln gesprengt. Die Keupstraße wäre in einem Umkreis von Hunderten Metern in Schutt und Asche gelegt worden.
Der „Sprinter“ auf der anderen Straßenseite.
Ein weiterer Zeuge berichtet von einem schwarzen Mercedes-Kleintransporter („Sprinter“), der auf der anderen Straßenseite exakt gegenüber des Sprengsatzes geparkt war. Die Entfernung zwischen Nagelbombe und Kleintransporter: Etwa 6 Meter. Der Zeuge berichtet weiter, dass die Karosserie auf der Fahrerseite durch unzählige Splitter und Nägel erheblich beschädigt war. Einige Nägel hätten auch das Karosserieblech durchschlagen.
Nagelbombe hatte genug Energie, um eine weitere Katastrophe auszulösen.
Die Aussagen des Sprengstoffspezialisten Dr. Möller vom BKA Wiesbaden beim NSU-Prozess vor dem OLG München am 11. Februar 2015 lassen folgendes Szenario zumindest nicht als unmöglich erscheinen: Hätte der oben bereits erwähnte 3er-BMW nicht die Druckwelle, Splitter und Nägel zur gegenüberliegenden Straßenseite zu einem großen Teil abgeschirmt, dann hätte die Sprengenergie ausreichen können, um Gasflaschen in diesem „Sprinter“ zur Detonation zu bringen.
Existierte der Plan, oder verhinderte ein Fehler die Umsetzung?
Ein perfider Plan, von dem niemand weiß, ob er tatsächlich existierte. Jedoch: Sollte die tägliche Gasflaschenlieferung Bestandteil der Anschlagsplanung gewesen sein, so hat wieder ein Fehler der Attentäter dazu geführt, dass das Ziel so viele Menschen wie möglich zu töten nicht erreicht wurde.
Einige der oben genannten zitierten Aussagen können im Video weiter unten in Auszügen angehört werden.
Zur Ausstellungseröffnung „Die Opfer des NSU“ im Stuttgarter Rathaus am 16. März 2015 hielten der Oberbürgermeister von Stuttgart Fritz Kuhn, Gabriele Metzner von der Initiative “Keupstraße ist überall” und Janka Kluge von der „Initiative NSU-Aufklärung“ jeweils einen Vortrag.
Ein ungeheurer Verdacht tut sich auf.
Von besonderer Relevanz sind hier die Ausführungen von Gabriele Metzner, die aus einem Interview mit einer jungen Frau zitiert. Diese Frau erlebte den Anschlag aus unmittelbarer Nähe, sie befand sich zum Zeitpunkt der Detonation direkt neben dem Frisörladen vor dem das Fahrrad mit der Nagelbombe abgestellt war. Sekunden nach der Explosion sah die Frau wie direkt vor ihr etwas auf den Boden fiel. Es war das Fahrrad auf dem die Bombe montiert war. Sie überlebte den Anschlag schwer verletzt und muss seitdem immer noch mit gravierenden Einschränkungen ihrer Lebensqualität umgehen.
Hier das Video mit dem kompletten Vortrag von Frau Gabriele Metzner. Die Ausführungen zum Interview mit der jungen Frau beginnen ab Timecode 12:45.
Die brisanten Passagen finden sich als Transkript hier:
„Eine junge Frau – Interview 10. März 2014: Ich lebe seit 34 Jahren in Deutschland. Ich bin als Kind her gekommen, habe die Schule besucht, eine Ausbildung gemacht und geheiratet. Deutschland und insbesondere Köln war erst meine zweite Heimat. Inzwischen ist es meine erste Heimat geworden, hier fühle ich mich wohl. Wie habe ich den Bombenanschlag erlebt? Es fällt mir jedes mal schwer, davon zu erzählen, denn jedes mal erlebe ich den Tag aufs neue. Es war am späten Nachmittag, das Wetter war schön und sommerlich.
An diesem Tag haben wir Glück im Unglück gehabt. Denn um die Uhrzeit des Anschlags kam eigentlich immer ein Transporter mit Gasflaschen, der vielleicht auch einkalkuliert war, der die Restaurants und Konditoreien belieferte. Genau an die Stelle, wo es passiert ist. An diesem Tag ist der Transporter aber Ausnahmsweise schon am Vormittag gekommen, sonst wäre es schlimm ausgegangen.
Dann hätten wir auch Tote gehabt – nicht nur Verletzte. Deswegen sage ich immer noch: Wir hatten Glück im Unglück. Aber diesen Tag will ich nicht noch einmal erleben.“
Im Anschluss ab Timecode 16:00 Auszüge eines weiteren Interviews mit einem Augenzeugen des Attentats. Dieser Zeuge interpretiert die Detonation im ersten Moment – wie viele andere Zeugen auch – als die Explosion einer Gasflasche. Er berichtet von einem schwarzen Mercedes Kastenwagen („Sprinter“) der auf der anderen Straßenseite genau gegenüber des Detonationsortes stand. Die Fahrerseite des Transporters soll durch die herumfliegenden Nägel erheblich beschädigt worden sein, zudem hätten sehr viele Nägel die Karosserie komplett durchschlagen.
Auch hier die brisanten Passagen als Transkript hier (Timecode 16:00):
„Ein anderer Mensch in der Keupstraße. Ich bin 57 Jahre alt und arbeite seit 19 Jahren auf der Keupstraße. Ja, das war natürlich ein sehr schlimmer Tag. Ich saß vor meinem Laden auf einem kleinen Hocker, da an dem Tag schönes Wetter war. Plötzlich gab es einen Knall und im ersten Augenblick hab ich nicht daran gedacht, dass es eine Bombe hätte sein können. Ich habe mich auf den Boden geschmissen, aber dann habe ich gesehen, dass ich drei Nägel in meinen Körper bekommen habe. Ich wusste nicht, was das war. Ich habe gedacht, dass vielleicht eine Gasflasche hochgegangen ist. Ich bin dann aufgestanden und hab geguckt, die Leute liefen blutverschmiert herum, das war schrecklich.
Vor dem Laden stand ein so hoher Kastenbus. Direkt vor dem Friseurgeschäft. Darüber denke ich noch öfter nach. So ein Glück, dass der Bus da gestanden hat. Der Bus war voll von Nägeln. Hunderte Nägel sind in den Bus geflogen. Wenn der Bus nicht da gestanden hätte, wären alle diese Nägel hier auf die Menschen geschossen. Ich glaube, dann hätte es auch Tote gegeben. Aber dieser Bus hat sehr viel abgehalten. Die hatten ja geplant, dass es viele Tote hätte geben sollen. Es waren richtig große und stabile Nägel. Ich habe auch Glück gehabt – natürlich. Ich habe ja gesessen. Wenn ich gestanden hätte, wäre es noch schlimmer gewesen. Über meinem Kopf war so ein Regenablaufrohr. Da ist einer reingegangen: Direkt durch! Und ich habe mich nachher davor gestellt und es war genau in Kopfhöhe. Ich habe wirklich Glück gehabt.“
Mit großem Dank an Stefan für die Recherche-Hilfe!
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