VHT 198: Wie man die lügenden Nazi-Zeugen festnageln kann!

Wie lange noch? Wie lange will der Senat seine Haltung beibehalten? Seit fast zwei Jahren wird im Saal 101 am OLG München versucht, den Angeklagten ihre Beteiligung am NSU-Terror nachzuweisen. Seit ebenfalls zwei Jahren können Prozessbeobachter ein bemerkenswertes Phänomen beobachten: Es wird gelogen. Es wird dermaßen hemmungslos gelogen, dass sich die Balken biegen.

Szene-Jargon: „OLG-Stadl“

Die für jeden offenkundige Lüge hat einen festen Platz vor dem 6. Strafsenat unter dem Vorsitz von Richter Manfred Götzl gefunden. Konsequenzen gab es selbst für die dreistesten lügenden Zeugen bis jetzt nicht. Die Neonazi-Szene hat dies längst erkannt und lässt die aus ihren Reihen vorgeladenen Zeugen offenbar nicht mal mehr durch ihre Szeneanwälte auf die Verhandlungen vorbereiten. In Szene-Kreisen wird der NSU-Prozess inzwischen „OLG-Stadl“ genannt.

Frustrierte Journalisten, frustrierte Nebenklage.

Ist wieder ein lügender Nazi-Zeuge vorgeladen und führt das Gericht mit angeblichen Erinnerungslücken und grotesken Falschaussagen vor, dann lässt sich ein weiteres Phänomen beobachten:

Die Diskussionen in den kurzen Verhandlungspausen oder am Ende eines Prozesstages zwischen Prozessbeobachtern, der Presse und den Anwälten der Nebenklage lassen eines deutlich erkennen: Es hat sich Frust ausgebreitet. Wurden anfangs noch Stimmen laut, dass Götzl dieser Lügerei endlich einen Riegel vorschieben solle, so hört man in den letzten Tagen vorwiegend sarkastische Bemerkungen.

Man kann ja sowieso nichts ändern. Oder etwa doch?

Diese lügenden Nazi-Zeugen sind schon lange kein Aufreger mehr. Irgendwann hat sich die fatale Erkenntnis breit gemacht, man könne daran ja sowieso nichts ändern. Ganz egal wer: Ob Prozessbeobachter, Journalisten aber auch die Anwälte der Nebenklage scheinen den Kampf gegen die Lüge im NSU-Prozess aufgegeben zu haben. Sie flüchten sich immer öfter in juristische Spitzfindigkeiten, falls sie von einem neu hinzugekommenen Prozessbeobachter deswegen angesprochen werden. Bei diesen Gesprächen zeigt sich überdeutlich, dass die Angesprochenen selbst nicht mehr glauben, was sie da sagen und am liebsten vor Scham in den Erdboden versinken möchten. Der Prozessbeobachter bleibt rat- und fassungslos zurück, versteht die Welt nicht mehr und verliert mit jedem weiteren Prozessbesuch, bei dem wieder ein lügender Nazi-Zeuge sein krudes Weltbild und haarsträubende Lügengeschichten auf großer Bühne vortragen darf, den letzten Glauben an eine gerechte und unabhängige Justiz.

Wer lügt im Prozess und warum?

Ein Teil der Antwort ist einfach: Die Angeklagten sind es nicht. Warum? Sie sagen nichts. Gar nichts. Das betrifft übrigens nicht nur Beate Zschäpe. Lediglich einer der Angeklagten hat bis jetzt eine Aussage gemacht. Im Allgemeinen wird diese als weitgehend glaubwürdig eingeschätzt.

Ausnahmslos gelogen haben:
Alle Zeugen aus der Rechten Szene, die zum Umfeld von Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe aussagen sollten.

Ebenfalls ohne Ausnahme gelogen haben:
Alle bisher geladenen V-Männer vom Verfassungsschutz. Prominente Beispiele: Tino Brandt, Carsten Szczepanski, Benjamin Gärtner.

Ein besonders dreister Lügner:
Der ehemalige V-Mann-Führer Andreas Temme ist ebenfalls vom Verfassungsschutz.

Weiter beim Verfassungsschutz:
Der Zeugenbeistand RA Volker Hoffmann, der dem V-Mann Benjamin Gärtner vom Landesamt für Verfassungsschutz zugeteilt wurde, hat nachweislich während der Vernehmung von Gärtner gelogen. Mehrmals. Damals war ich einer der fassungslosen Prozessbeobachter, als ich mir nach dem Verhandlungstag erklären lassen musste, dass Hoffmann in seiner Funktion als Zeugenbeistand nicht verpflichtet wäre, die Wahrheit zu sagen.

Es kommt noch schlimmer:
Nicht nur Verfassungsschutz, Zeugen aus der rechten Szene, sondern auch Zeugen aus den Reihen der Polizei stehen zumindest schwer im Verdacht vor Gericht gelogen zu haben.

Es geht so nicht weiter:

Der 6. Strafsenat muss eine 180 Grad Kehrtwende machen, um die Glaubwürdigkeit des Gerichts zu retten und um den ungeheuren Ausmaßen der Verbrechen, die hier aufgeklärt werden sollen, gerecht zu werden. Jede Lüge ohne Konsequenz ist ein Schlag ins Gesicht der Opfer und deren Familien.

Den Fokus auf die lügenden Nazi-Zeugen richten und sie der Lüge überführen!

Die Presse berichtet immer weniger über die Aussagen der lügenden Nazi-Zeugen. Das muss aufhören. Und zwar sofort! Einige große Redaktionen berichten gar nicht mehr über die Lügner. Das ist der völlig falsche Weg und auch einer der Gründe dafür, dass die Situation jetzt so ist, wie sie ist. Zugegeben: Es ist schwer, mühsam, beinahe unmöglich und unbefriedigend darüber zu berichten. Das Argument einiger Journalisten, dass es bei diesen Aussagen nichts substanzielles zu berichten gibt, ist in sich richtig. Trotzdem ist es im Grundsatz völlig falsch. Denn hier ist die Lüge ohne Konsequenz die Substanz, über die berichtet werden muss. Und zwar pingelig genau, am besten mit den entsprechenden Fakten unterlegt. Jede ungeahndete Lüge vor Gericht muss der Öffentlichkeit präsentiert werden. Und jede dieser Lügen muss wie auf dem Seziertisch auseinandergenommen und mit Gegenbeweisen als solche identifiziert werden. Nach jedem Lügner vor Gericht muss die Frage nach den Konsequenzen gestellt werden. Immer wieder. Auch wir Blogger sind hier in der Pflicht. Auch deswegen dieser Artikel.

Für diesen Artikel gibt es mehrere Gründe:

Am 198. VHT sagte unter anderem Markus F. als Zeuge aus. Er sollte unter anderem Erkenntnisse aus dem Umfeld von Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe aus der Zeit kurz vor deren Abtauchen in den Untergrund liefern. Nach seiner Aussage wurde ich von einer Prozessbesucherin, einer älteren Dame, geistig sehr jung geblieben, angesprochen: „Und was passiert jetzt mit dem Zeugen? Der hat doch von Anfang bis Ende gelogen. Wird der jetzt festgenommen? Gibt es da keine Konsequenzen?“ Ich muss gestehen, ich habe mich geschämt, als ich der Dame sagen musste, dass Markus F. vermutlich mit keinen Konsequenzen rechnen muss und jetzt auf dem Weg nach Hause ist.

Hier – in Auszügen – das Wortprotokoll der Zeugenvernehmung von Markus F.

Um 14:10 Uhr beginnt die Vernehmung des Zeugen Markus F., Textilreiniger aus Chemnitz. Er soll zum Umfeld von Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe aussagen. Nach der üblichen Belehrung durch Richter Götzl beginnt dieser mit seiner 1. Frage zum Mitangeklagten Ralf Wohlleben.

Götzl: „Zu dem Herrn Wohlleben. Was können Sie mir da sagen?“

F.: „Nichts.“

Götzl: „Sie kennen Wohlleben nicht ..?“

F.: „Nein.“

Götzl: „Kennen Sie denn die Beate Zschäpe?“

F.: „Nicht, dass ich wüsste.“

Götzl: „Was bedeutet das?“

F.: „Könnte sein. Vor 1998. Danach bin ich verhaftet worden.“

Götzl: (Schweigen)

F.: „Kann nix sagen. Ist so lange her.“

Götzl: „Können Sie das zeitlich Einordnen? Im Zusammenhang mit dem Kennenlernen von Zschäpe und …“

F.: (unterbricht Götzl) „… keine Ahnung.“

Götzl: „Lassen Sie mich aussprechen! Was hat 1998 mit Zschäpe zu tun?“

F.: „Kann weder ja noch nein sagen. Weil ich da in Haft war. Danach hatte ich mit Szene nix zu tun.“

Götzl: „Und was war vor 1998? In Bezug auf Szene?“

F.: „Viel getrunken, rumgeprügelt. Viel hatte ich damit nicht zu tun, weder mit dem politischen noch sonst was.?

Götzl: „Welche Personen bringen Sie mit der Rechten Szene in Verbindung? Vor 1998?“

F.: „Niemand spezielles.“

Götzl: „Ja, das sind doch einige Leute.“

F.: „Weiß nicht. Keine Erinnerung.“

Götzl: (deutlich lauter) „Herr F., Sie sind nicht glaubwürdig.“

F.: „Wenn ich es nicht weiß. Kann ja nicht irgendeinen Namen sagen.“

Götzl: „Glaube Ihnen nicht.“

F.: „Soll ich lügen?“

Götzl: „Nein. Aber auch ein Schweigen kann eine Falschaussage sein.“

F.: „Ja …“

Götzl: „Also getrunken, geprügelt? Aber keine Kontakte?“

F.: „…“

Götzl: „Szene bedeutet Kontakt mit Leuten.“

F.: „Ja, in der Wendezeit. Gab Links und Rechts. Bin da irgendwie reingeschlittert.“

Götzl: „Wo haben Sie sich aufgehalten?“

F.: „Von 1991 bis 1994 in Stuttgart, wegen meiner Lehre. Dann Chemnitz.“

Götzl: „Was haben Sie in Stuttgart gemacht?“

F.: „Lehre.“

Götzl: „Nur Stuttgart?“

F.: „Auch Ludwigsburg.“

Götzl: „Mit wem Kontakt?“

[…]

Götzl: „Kennen Sie Mundlos?“

F.: „Nee!“

Götzl: „Böhnhardt?“

F.: „Nein.“

Götzl: „André Eminger?“

F.: „Nö.“

Götzl: „Holger Gerlach?“

F.: „Nein.“

Götzl: „Schulze?“

F.: „Nein.“

Götzl: „Gab es mal Besuch aus Stuttgart oder Ludwigsburg in Chemnitz?“

F.: „Nicht mit mir in Verbindung.“

Götzl: „Natürlich mit Ihnen in Verbindung!“

F.: „…“

Götzl: „Also Sie sind 1994 wieder nach Chemnitz. Was haben Sie da gemacht?“

F.: „Gearbeitet. Bei Vater in Textilreinigung. Bis heute.“

Götzl: „Und Ihre Tätigkeit in der Szene?“

F.: „Hab dort keine Tätigkeit gehabt.“

(RA Heer ermahnt den Zeugen deutlicher zu sprechen)

F.: „Keine spezielle Tätigkeit in Szene gehabt!“ (besonders laut)

[…]

Und in diesem Stil zog sich die weitere Vernehmung hin. Selbst bei Vorhalten aus Vernehmungen von ihm bekannten Personen aus der Rechten Szene kann sich Markus F. entweder an nichts erinnern oder leugnet, diese Personen zu kennen. Schließlich werden ihm mehrere Fotos vorgelegt. Darunter sind Fotos, die F. eindeutig mit Mundlos und Zschäpe zeigen. Bei diesen Fotos erkennt er sich zwar selbst, sonst meist aber keine der anderen Personen.

Eine Rechtsanwältin der Nebenklage stellt F. unter anderem diese Frage: „Haben Sie Tattoos?“

F.: „Nein.“

Für jeden im Gerichtssaal ist am linken Unterarm in der Nähe des Handgelenks eine große Tätowierung zu sehen. Jedoch erhebt niemand wegen dieser beinharten, mehr als offensichtlichen Lüge Einspruch. Innerhalb von 5 Minuten hätte das Gericht bei diesem einfachsten Beispiel Markus F. eine Falschaussage nachweisen können. Aber: Es ist nichts passiert.

Die nächste Frage verpufft deswegen völlig wirkungslos: „Tragen Sie auf Ihrer Brust einen tätowierten Rudolf Heß Schriftzug?

Die Antwort des Zeugen F. ist daher nicht überraschend: „Nein.“

Während einer Prozesspause unterhielt ich mich bei einem Espresso mit einem Anwalt der Nebenklage über das Problem „Lügen ohne Konsequenzen.“ Nach kurzer Zeit sprudelte es förmlich aus ihm heraus. Der ganze aufgestaute Frust entlud sich. Es war offensichtlich: Hier läuft etwas grundlegend schief. Und: Er machte mich auf eine interessante Geschichte aufmerksam:

Falschaussage: Wenn man will geht es auch anders.

Das immer öfter vorgebrachte Argument, dass es bei Falschaussagen auch ohne Vereidigung kaum Möglichkeiten gibt, dies zu ahnden ist falsch. Dies dokumentiert der Fall eines Polizisten aus Rosenheim, der vor dem NSU-Untersuchungsausschuss Bayern eine Aussage machte, die so gar nicht in das offizielle Bild passte. Die Staatsanwaltschaft wurde hier überraschend schnell aktiv: Wegen einer Falschaussage! Vermutlich war die Falschaussage aber gar keine solche.


 

Bayerischer Landtag, Dienstag, 18.Juni 2013, ca. 13:00 Uhr:

Die Mitglieder des Untersuchungsausschuss „Rechtsterrorismus in Bayern – NSU“ haben sich zur 28. Sitzung versammelt. Die Zeugenbefragung wird durch den Vorsitzenden Franz Schindler (SPD) geleitet, der den heutigen ersten Zeugen KHK Konrad Pitz von der KPI Rosenheim befragt.

Zeuge Konrad Pitz: Und dass es eine kriminelle Vereinigung oder terroristische Vereinigung gebe, auf jeden Fall rechtsradikal. Das muss zumindest gefallen sein: NSU. Ich habe mir das also besonders gemerkt, weil diese NSU war für mich so eine Brücke: NSU und dann das NSU-Fahrrad, also das ist das einzige Fahrrad der Welt, das mit Kardanantrieb ist, und deshalb konnte ich mir eben das so gut merken. Die sagten dann eben Nationalsozialistischer – – Wie heißt der?

Vorsitzender Franz Schindler (SPD): Gut. Jetzt sagen Sie uns mal, wann war die Besprechung, und wer war da dabei?

Zeuge Konrad Pitz: Ich kann Ihnen das Datum nicht mehr sagen.

Vorsitzender Franz Schindler (SPD):Ungefähr.

Zeuge Konrad Pitz: Es war die Verabschiedung vom SoKo-Leiter Geier, der dann die SoKo „Peggy II“ weiterführte. Das kann ich Ihnen sagen. Ein genaues Datum nicht mehr.

Vorsitzender Franz Schindler (SPD): Das deutet im Ergebnis, wenn das stimmt, was Sie sagen, dass das etwa im Jahr 2007 gewesen sein müsste, oder?

Zeuge Konrad Pitz: Ja.

Damit war die Katze aus dem Sack: Ein Zeuge aus Polizeikreisen sagt, dass ihm der Begriff „NSU“ bereits im Jahr 2007 im Zusammenhang mit Rechtsextremismus geläufig war. Also 4 Jahre bevor die Abkürzung „NSU“ durch das Auffliegen des Nationalsozialistischen Untergrunds bekannt wurde.

An diesem Tag ist im „NSU-Untersuchungsausschuss Bayern“ eine Bombe geplatzt. Und kaum jemand hat es interessiert. Diese Aussage passte so überhaupt nicht zur offiziellen Version, auf dessen Grundlage der NSU-Prozess aufbaut.

Nur die Staatsanwaltschaft München I sah offenbar dunkle Wolken am Horizont aufziehen und versuchte das Schlimmste zu verhindern.

In der Süddeutschen Zeitung erschien am 05. Dezember 2014 ein Artikel, der sich mit der Aussage von KHK Pitz und deren Folgen befasste:

Brisante Erinnerungen
Die Erinnerung von Konrad Pitz ist deswegen so brisant, weil die Polizei bisher unisonso erklärt, sie habe bei ihren Ermittlungen nicht an eine rechtsradikale Terrorgruppe denken können. Weil so etwas außerhalb jeglicher Vorstellung lag. […] Quelle: Süddeutsche Zeitung vom 05.12.14

Nazi-Zeugen, die sich im NSU-Prozess vor dem OLG München immer dreister benahmen waren bereits im Dezember 2014 zu einem Problem geworden, welches am besten niemals hochkochen sollte.

Die Staatsanwaltschaft München I reagierte rasch und klagte Kommissar Pitz wegen uneidlicher Falschaussage an. „Bei Aussagedelikten verstehen wir keinen Spaß“, sagt der Sprecher der Staatsanwaltschaft München I, Thomas Steinkraus-Koch. Eine Aussage vor dem Untersuchungsausschuss gilt wie eine Aussage vor Gericht und auf Lügen steht eine Strafe von drei Monaten bis fünf Jahre. […] Quelle: Süddeutsche Zeitung vom 05.12.14

Und es wird in der Justiz doch mit zweierlei Maß gemessen. Und zwar wasserdicht beweisbar. Warum dies unbedingt bei der Aufarbeitung der NSU-Verbrechen so offensichtlich geschieht, könnte man entweder mit grenzenloser Dummheit oder durch Panikreaktionen erklären. Ob Dummheit oder Panik: Die Institution, die das eine oder andere Kriterium erfüllt, muss eine gewisse Macht haben, um derartige Verfahren anzustoßen oder zu verhindern. 

Kein Verfahren gegen rechtsradikale Szenezeugen.
Doch im Gegensatz zu Kommissar Pitz werden die Lügner vor Gericht bisher nicht verfolgt, es ist kein Verfahren gegen die rechtsradikalen Szenezeugen anhängig. […] Die Staatsanwaltschaft München I beruft sich darauf, man warte erst die Beweisaufnahme und die Bewertung durch das Gericht ab. Quelle: Süddeutsche Zeitung vom 05.12.14

Ob und wie das OLG München gegen lügende Verfassungsschützer vorgehen wird? Es bleibt spannend.

Hier zum 2. Teil der Mini-Serie:  „Lügende Nazi-Zeugen sind der Öffentlichkeit nicht vermittelbar.“ >>

Der ausgefallene 189. Prozesstag – in Bildern

München, 03.03.2015 – Ein Häuflein Neonazis protestiert gegen den NSU-Prozess, etwa 100 Gegendemonstranten sorgen dafür, dass die Redner nur von ihren eigenen Kumpanen gehört werden. Dass so viele Menschen am frühen Morgen bei schneidender Kälte den Weg zum OLG-München fanden, um dem Kreisvorsitzenden der Partei „Die Rechte“ Philipp Hasselbach den Vormittag zu vermiesen, gebührt Respekt. Viele Gegendemonstranten kamen vor ihrem Arbeitsbeginn vorbei und machten ihrem Ärger Luft. Mit Erfolg: Hasselbachs „Veranstaltung“ geriet zur Lachnummer und verpuffte unter dem kalten weiß-blauen Himmel der Münchner Innenstadt ohne nennenswerte Rückstände.

Die Hauptangeklagte Beate Zschäpe sorgte derweilen wegen Erkrankung dafür, dass der 189. Verhandlungstag abgesagt wird.

Und um den Wahnsinn noch gebührend abzurunden: Ein abstruser Auftritt einer Handvoll verspäteter Geburtstagsgäste, die Wohlleben ihre Aufwartung machen wollten.

Inhaltlich gibt es nichts zu berichten, deswegen heute zur Abwechslung einige Fotos dieses seltsamen Tages.

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Mittendrin, statt nur dabei – fatalist-Mitstreiter im NSU-Prozess aufgetaucht!

Wie sich eine Person aus dem Dunstkreis um den NSU-Aktenleaker fatalist auf der Besuchertribüne im NSU-Prozess selbst enttarnte und einige Gedanken  zu Thomas Mosers lesenswerten Artikel:

„Operation Internet? – Die Fatalist-Gruppe betreibt mehr Desinformation als Information beim Thema NSU“

(Link zu friedensblick.de)

Thomas Moser:
[,,,] Das Wahre ist das Transportmittel für das Unwahre. Es geht dem Verbreiter aber um das Unwahre, das sein zersetzendes Gift freisetzen soll. „Desinformation“ ist nur ein anderer Begriff für „Zersetzung“. Desinformation ist Auftrag und originäres Handwerkszeug aller Nachrichtendienste. Sie versuchen fremde Nachrichten zu generieren und eigene zu kontaminieren. Wie die Stasi so der Verfassungsschutz.
Damit kommen wir zur Gruppe „Fatalist-Arbeitskreis NSU“, die seit einigen Jahren im Internet aktiv ist, zunächst nur unter dem Label „Fatalist“, inzwischen als die bezeichnete Gruppe. Sie postet auf allen möglichen Blogs, betreibt ihre eigenen Webseiten und spuckt Informationen zum Thema „Nationalsozialistischer Untergrund“ fast im Stundentakt aus und gibt vor, Widersprüche aufdecken zu wollen. Daß darunter immer wieder welche sind, die wahr sind und stimmen, ist nicht das Entscheidende. Das Entscheidende sind die unwahren Informationen. Die Fatalistgruppe ist nicht danach zu beurteilen, was sie an Wahrhaftigem abliefert, sondern an Unwahrhaftigem.
[…]

Dass Thomas Moser fatalist mit seinem Netzwerk in die Nähe der Geheimdienste im Allgemeinen und speziell dem Verfassungsschutz bringt ist nur auf den ersten Blick ein Widerspruch. Bereits seine erste These, nämlich wie fatalist mit seltsamen Blogbeiträgen die Phantombilder zum Mordfall Kiesewetter in ein dubioses Licht rückte und damit dem Verfassungsschutz in die Tasche spielte, ohne dass seine Leserschaft auch nur den geringsten Verdacht hegte, bestätigen Mosers Theorie.

Thomas Moser:
[…] Bemerkenswert dann: Die Bilder ziehen ja die Täterschaft der beiden Uwes in Zweifel. Etwas, was die Fatalistgruppe selber ebenfalls tut und was ihr folglich ins Konzept passen müßte. Doch offensichtlich gibt es noch höhere Interessen, als das NSU-Trio zu entlasten. Vielleicht V-Leute oder Hauptamtliche zu schützen?

Die 14 Phantombilder sind – natürlich – nicht gefälscht. Viele Personen, die mit den Akten zu tun haben, wissen das: Opferanwälte und Abgeordnete zum Beispiel. Phantombild Nr. 14 wurde im Gerichtssaal in München gezeigt. Ich und andere Journalisten haben uns außerdem bei unseren Recherchen von heilbronner Zeugen bestätigen lassen, daß die vorliegenden Phantomzeichnungen tatsächlich aufgrund ihrer Angaben gefertigt wurden und also „echt“ sind. Dennoch hielt die Fatalistgruppe bis zum Sommer 2014 ihre mutwillige Behauptung aufrecht, die Bilder seien gefälscht. Sie tat das in einer Penetranz, die in mir einen Verdacht weckte: Von den Bildern muß offensichtlich eine wichtige Erkenntnis ausgehen, eine Wahrheit. Zeigen sie tatsächlich Personen, die mit der Tat in Zusammenhang stehen? […]

Liest man die frühen Veröffentlichungen von fatalist zu diesem Themenkomplex mit Mosers Theorie im Hinterkopf, so wächst recht schnell die Erkenntnis das fatalist folgenden Verdacht bereits im Keim zu ersticken versuchte:

Thomas Moser:
[…] War also ein V-Mann am Anschlagstag am Anschlagsort in Heilbronn, obendrein in Begleitung von drei anderen Männern?

Wieder zur Fatalistgruppe: Im Frühjahr 2014 wurden ihr nach eigenen Angaben Ermittlungsunterlagen des NSU-Komplexes zugespielt. Zunächst mit Ausnahme der Heilbronn-Akten. Gleichzeitig muß vom Absender eine Vorauswahl getroffen worden sein. Denn „Fatalist“ hat einschlägige Stellen veröffentlicht, auf die sie in einem Aktenmeer mit mehreren 100 000 Seiten unmöglich innerhalb weniger Tage durch eigene Lektüre gestoßen sein kann.
[…]

Ein besonders widerwärtiges Kapitel der gesamten Mord- und Anschlagserie, die dem NSU zugeschrieben wird, ist die Rolle der Ermittler. In allen Fällen wurden die Opferfamilien immer wieder verdächtigt, irgendwie an dem Mord beteiligt gewesen zu sein und zwar jahrelang. Diese traumatisierten Familien sahen sich plötzlich peniblen Ermittlungen gegen sie ausgesetzt. Sie wurden damit konfrontiert, dass ein Familienmitglied entweder ein Kleinkrimineller ist oder tief in die Strukturen der Organisierten Kriminalität verstrickt sein soll. Die Konsequenz daraus: Immer neue Vernehmungen, immer neue, völlig aus der Luft gegriffene Anschuldigungen, der Verlust des Freundeskreises, Familienangehörige und Nachbarn, die sich abwendeten. Damit nicht genug: Durch die falschen Verdächtigungen setzt sich die übliche Abwärtsspirale unaufhaltsam in Gang. Die Gesundheit ist nach jahrelangen Vernehmungen ruiniert, der Arbeitsplatz ist dahin. In Kurzform: Das Leben ist ruiniert. Die Verdächtigungen haben sich allesamt als haltlos erwiesen, einige wenige Ermittler haben sich bei den Familien entschuldigt. Die Presse hat dieses üble Spiel unreflektiert mitgespielt. Ebenfalls jahrelang. Entschuldigungen gab es von dieser Seite – wenn überhaupt – nur halbherzig.

fatalist setzt dieses unwürdige Treiben auch knapp 3 Jahre nach dem Auffliegen des NSU weiter fort:

Thomas Moser:
[…] Doch die Fatalistgruppe spielt im Frühjahr 2014 dieses alte und häßliche Spiel noch einmal und bezichtigt die Opfer, in kriminelle Machenschaften verstrickt zu sein. Das betrifft auch den Nagelbombenanschlag in Köln vom Juni 2004. Die Opfer, zum Teil schwer verletzt, werden von „Fatalist“ beleidigt, u.a. aufgrund ihrer Nationalität. Wie die Polizei im Jahr 2004 so beschuldigt er im Jahr 2014 die Opfer, Teil der Kriminalität gewesen zu sein. Die Beobachtung eines Anwohners, unmittelbar nach dem Anschlag zwei bewaffnete Männer, allem Anschein nach Beamte, in der Straße gesehen zu haben, macht „Fatalist“ lächerlich und bezeichnet sie als „Märchen“. Damit schützt er die – mutmaßlich verstrickten – Sicherheitsorgane.
Noch deutlicher bei Mord Nummer neun in Kassel im April 2006, ebenfalls einem Schlüssel zum NSU-Komplex. Der Verfassungsschutzbeamte Temme war zu Tatzeit am Tatort. Er hat möglicherweise sogar mit den tödlichen Schüssen zu tun. Das LfV Hessen hält bis heute Informationen zu dem Mord zurück. Die Bundesanwaltschaft hält 70 Temme-Ordner zu dem Fall zurück. Und die ach so aufklärende Fatalistgruppe? Tut alles ab und erklärt, Temme sei nicht wichtig. Eine deutlichere Entlastung des Verfassungsschutzes kann es nicht geben.
[…]

In Sachen Temme liefen fatalist und seine Kumpane „publizistisch“ förmlich zu Hochform auf. Kaum ein Artikel, der die Vernehmungen von Andreas Temme vor dem OLG München wiedergab, fand Gnade vor ihnen. fatalist, der sich in der Zwischenzeit als oberster Kritiker in Sachen NSU-Prozessberichterstattung gerierte, veröffentlichte in seinem Blog einen Verriss nach dem anderen. Ob es sich dabei um Zusammenfassungen oder um Wortprotokolle der Temme-Vernehmung handelte: Für fatalist machte das keinen Unterschied. Temme sei nicht relevant, seine Einvernahme sei reine Zeitverschwendung, so der Tenor des „einzig wahren Aufklärers“ fatalist. Ein Abgleich dieser Äußerungen mit den Begründungen der Bundesanwaltschaft, die regelmäßig Anträge der Nebenklage zur Beiziehung der Temme-Akten abschmettert, ergibt eine beinahe wortgetreue Übereinstimmung. Zufall? Kann sein. Es fällt jedoch schwer an einen weiteren Zufall zu glauben, wenn die Geisteshaltung von Bundesanwaltschaft und fatalist in der Causa Temme dermaßen deckungsgleich ist.

Dass fatalist offenbar sehr mächtige Freunde in Deutschland hat, offenbart die Reportage des von mir hoch geschätzten Clemens Riha, die am 17.12.2014 im Sender 3SAT in der Sendung Kulturzeit ausgestrahlt wurde. Hier nur ein Zitat aus dem sehenswerten Beitrag: (Ab Minute 07:50)

„Der Vorsitzende des Innenausschusses Wolfgang Bosbach (CDU) hat dem selbsternannten ‚Arbeitskreis NSU‘ nicht nur geantwortet. Er forderte vom Generalbundesanwalt selbst Akten an, um sie mit denen aus dem Internet zu vergleichen. Doch den Parlamentariern wurde die Einsicht verweigert.“

Ein Generalbundesanwalt verweigert also dem Vorsitzenden des Innenausschusses des Deutschen Bundestages Einsicht in die vertraulichen NSU-Ermittlungsakten, die seit geraumer Zeit dank fatalist tonnenweise für jedermann einsehbar sind. Bosbach hatte die Akteneinsicht beantragt, um zu ermitteln, ob das Aktenmaterial von fatalist authentisch ist. Mehr wollte Bosbach nicht, aber selbst das ist ihm verwehrt worden. fatalist muss (!) sehr mächtige Verbündete haben.

Thomas Moser:
[…] Ist diese Gruppe ein Instrument des Absenders der Ermittlungsunterlagen – oder sogar Teil davon? Denn das, was wirklich von Interesse ist, das ist dieser Aktenabsender. Und deshalb muß sich der Innenausschuß und das Parlamentarische Kontrollgremium des Bundestages für den Vorgang interessieren – aber nicht wegen der „Fatalistgruppe“. […]

Weitere Indizien, dass fatalist möglicherweise nicht nur in Sachen Temme mit der Bundesanwaltschaft an einem Strang zieht, beschreibt Moser eindrucksvoll in seinem Text:

Thomas Moser:
[…] Offensichtlich hält die Fatalistgruppe die Öffentlichkeit für komplett blöd. Doch damit entblödet sie sich selber. Mehr noch: Sie muß inzwischen regelrecht panisch sein. Denn sie merkt nicht einmal, daß sie dieses Merkmal der Bilder (möglicherweise Osteuropäer), das ja ebenfalls die Täterschaft der NSU-Uwes in Zweifel zieht, selbst wieder verwirft. Indem sie nämlich gleichzeitig unverändert behauptet, die Bilder hätten keine Relevanz. Dazu paßt nun, Achtung, die finale Konsequenz, die „Fatalist“ zieht: Er erklärt, es sei richtig gewesen, daß der Staatsanwalt von Heilbronn die Veröffentlichung der Bilder untersagte. Und es sei richtig, daß die Bundesanwaltschaft die heilbronner Zeugen, nach deren Angaben die Bilder erstellt wurden, nicht als Zeugen beim Prozeß in München hören wolle.

Danke, für so viel Selbstentlarvung. Die sogenannte Aufklärertruppe steht auf Seiten der Vertuscher.

[…]

Drei Hauptmotive sind sichtbar geworden, denen die „Fatalistgruppe“ folgt: Das Schlechtmachen der türkischen und griechischen Opfer; die Entlastung der Neonaziszene und speziell des NSU-Trios; die Entlastung des Verfassungsschutzes. Das ist ein Spiegelbild des NSU-Komplexes. „Fatalist“, so sieht es aus, ist Teil des Komplexes, eine Operation, ein Echtzeit-Verwirrungsmanöver.

Merke: Die Unwahrheit wird mittels der Wahrheit transportiert.

Thomas Moser

(mit Anmerkungen von Jürgen Pohl)

Und jetzt kommen wir zur Auflösung der Überschrift: (Mittendrin, statt nur dabei – fatalist-Mitstreiter im NSU-Prozess aufgetaucht!)

Am 171. Prozesstag, den 16.12.2014 besuchte ein Mitstreiter (Pseudonym „Neptun“) von fatalist den NSU-Prozess als Zuhörer. Er saß auf der Besuchertribüne des OLG München und zwar in unmittelbarer Nähe von Thomas Moser und meiner Wenigkeit. Warum ich das weiß? Diese Person aus dem Dunstkreis um fatalist hat ein Gespräch zwischen mir und Thomas Moser mitgehört und teilweise als Kommentar in fatalists Blog veröffentlicht. Kommentare lesen sich wesentlich interessanter, wenn man die Person kennt, die sie verfasst hat. Hier der besagte Kommentar mit dem Prädikat nicht lesenswert.

Screenshot: (Textversion ganz unten)

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Neptun
Dezember 16, 2014 um 22:35
Grüß Gott, fatalist.
Heute wieder München, ging nur bis kurz vor 15 Uhr und Donnerstag fällt
mal wieder aus.
Und sogleich in die Fahrscheinkontrolle geraten. Wer fuhr ohne
Fahrschein? Ich will nicht rassistisch sein, aber typisch ist das schon.
Auf unsere Kosten leben und dann Schwarz fahren.
Mein Hotelzimmer ist dreckig… und die 10 Stunden Fahrt im Nachtzug waren
anstrengend.

Ich weiß, Du hältst davon nichts, aber bei meinem Glück, ich sage es
Dir. Habe die halbe Nacht nicht geschlafen, weil ich auf eine Frau
getroffen bin, die sich als Medium ausgab… dazu am Ende mehr

Befragt wurde Michael Probst und ich dachte, heute ging es um Carsten
Schultze. Für den Kandidaten S. war ein Richter da, 51 jährig, Dr. Ralf
Bünger vom BHG. Er schwallte nur runter, was wir alle schon wissen, wie,
wo, welche Waffe, mit Schalldämpfer, worüber er sích gewundert hat.

Ach vorher noch, Gisela war auch da. Eigentlich habe ich mir
vorgenommen, der Frau meine Meinung zu geigen, dachte mir aber, nee, das
verkraftet ihr schwacher Selbstwert nicht.
Dann wieder eine Schulklasse, Linke, Arbeitslose und Rentner und auch
drei männliche Menschen, denen ich die Adresse zu diesem Blog gegeben habe.

Der Moser ist ein seltendämliches Arschloch. Habe nur mit halbem Ohr
hingehört, aber es ging um Sex mit Kindern/ Jugendlichen und dass
Schwule ja gar nicht trauen sich zu outen… so ein Schwachsinn.. egal.

Probst wurde zweimal befragt. Er kannte die Drei und die anderen
Angeklagten nicht. Zum Schluss wurde ein Bild eingeblendet, worauf Antje
Probst, seine Ex, die wieder ihren Mädchennamen angenommen hat und nun
Böhm heißt und der er scheinbar noch nachtrauert, eine Alina (ein
kleines voluminöses Ding) und ach Wunder Mundlos und Zschäpe zu sehen
waren. Um sich das Bild anzusehen, setzte Beate extra ihre Brille auf.
Sie ist schon ein heißer Feger und hat es nicht verdient eingesperrt zu
sein.
Hatte Böhm nicht gesagt, dass sie die Drei nicht kannte? Das ist Big Shit!

Wie vor zwei Wochen ging es um Starke und Jan Werner, Piatto, um B&H,
Probsts Label, Vertrieb und blabla. Echt, nur blabla. Sein sächsisch
noch dazu… ich wurde auch heute wieder gefragt, ob ich aus Sachsen oder
Thüringen komme. Ich sollte an meiner Linken Optik arbeiten.

Ich muss was essen, deswegen komme ich zum Schluss. Das Medium kannte
angeblich den Fall nicht. Ich fragte sie, ob M und B V-Männer waren.
Leider Gottes bejahte sie das und ich fragte, wer die Beiden umgebracht
hat. Sie sprach von DREI MÄnnern, einer von der Sprache her eindeutig
Ausländer, aber dann scheinbar doch alle Drei Ausländer.
Sie sagte, die Beiden hätten sich überall Feinde gemacht, weil sie
überall spitzelten.

Natürlich war meine Frage auch, ob Beate auch gespitzelt hat. Sie sagte
Nein, sie hatte nur den falschen Umgang.
Okay, das können meine Gedanken gewesen sein, die sie “empfangen” hat,
aber sie sagte auch, dass meine Briefe an Beate nicht ankommen, weil sie
nicht weitergeleitet werden. Das glaube ich unbesehen.
Sie sagte auch, dass sich Beate verändert hat, sie war mal ein
lebenslustiger Mensch und sie tut jetzt nur noch stark nach Außen, aber
im Innern sieht es anders aus.

Sie sagte auch, ich soll weitermachen. Natürlich mache ich weiter und
lege mich weiterhin mit Idioten an. Wisst Ihr wie scheiße es ist, ganz
allein mit so einer Meinung zu sein, wie ich sie habe? Nämlich dass
Beate unschuldig ist und ein charakterstarker Mensch!
Was solls, die glotzen eh immer alle blöde, egal ob ich den Mund
aufmache oder nicht. Ich bin mutiger. Die fühlen sich nur in der Herde
stark.

Da gibt es ein Zitat, kann ich nicht ganz wiedergeben: Die Menschen
denken in Herden und werden verrückt dabei…

Später mehr, mehr Namen.

 

Video vom NSU-Prozesstag 128: Aussage Tino Brandt + Zschäpe misstraut ihren Verteidigern.

Am 128. Verhandlungstag im NSU-Prozess ließ Beate Zschäpe über einen Mittelsmann dem Strafsenat am OLG München ausrichten, dass sie ihren 3 Pflichtverteidigern nicht mehr vertraut. Diese Entscheidung traf Zschäpe im unmittelbaren Anschluss nach der Befragung des Neonazis Tino Brandt durch ihre Verteidiger. Tino Brandt, Kopf des Thüringer Heimatschutz (THS), stellvertretender Landesvorsitzender der NPD in Thüringen, bis zu seiner Enttarnung hochbezahlter V-Mann des Landesamtes für Verfassungsschutz Thüringen und guter Bekannter von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt scheint bei seiner Aussage am 128. Verhandlungstag bei Zschäpe einen bleibenden Eindruck hinterlassen zu haben. Wie mit Mundlos und Böhnhardt auch pflegte Brandt auch regelmäßige Kontakte mit Zschäpe.

Hinweis: Dieses Video ist mein „Erstlingswerk“. Deswegen bitte ich um Nachsicht. Die nächsten werden (vielleicht) besser!

Tino Brandt sitzt wegen des Verdachts auf Kindesmissbrauch derzeit in U-Haft. Zu seiner Einvernahme wurde Brandt mit Handschellen gefesselt vorgeführt.


Hier ein Auszug aus der Vernehmung durch Zschäpe-Verteidiger Rechtsanwalt Wolfgang Stahl:

RA Stahl: „Sie antworteten auf die Frage des Herrn Vorsitzenden auf die Frage zur Vollmacht von Frau Zschäpe an RA Eisenecker: ‚Die wollten nach Hause in sozialverträglicher Art.‘ Woher hatten Sie dies Information?“

Brandt: „War ja in unserem eigenen Interesse. Mit ’sozialverträglich‘ meine ich keine 10 Jahre Haft oder so etwas wegen dem Garagenfund. Sie wollten heim, im Vorfeld sollte durch vernünftigen RA den man kennt, auf den man sich verlassen kann sollte das ausgelotet werden, ob das möglich ist mit einer Strafe von 1 bis 2 Jahren oder ohne Haft.“

RA Stahl: „Nochmal: Diese Informationen? Woher? Wer hat Ihnen das gesagt?“

Brandt: „Ich denke, ich habe ein Gespräch mit Ralf Wohlleben geführt. Er war ja mein Ansprechpartner. Eisenecker hat mich ja selbst in mehreren Fällen vertreten, daher hatte ich Kontakt zu ihm. Bei Sitzungen und Prozessen hab ich ihn meist gesehen, deshalb der Kontakt über mich. Eisenecker war ja in Mecklenburg-Vorpommern.“

RA Stahl: „Wie ist der Kontakt zu Eisenecker genau entstanden?“

Brandt: „Keine Erinnerung.“

RA Stahl: „Wie lange waren Sie im politisch rechten Flügel aktiv? Bis 2001, bis zu Ihrer Enttarnung?“

Brandt: „Ja, bis Mitte 2001.“

RA Stahl: „In der ländlichen Region in der Sie politisch aktiv waren? Ich fang mal anders an. Wen gab es denn dort sonst noch?“

Brandt: „Nordhausen, Mühlhausen, Blood & Honour, den Kreis um Michael See. Aber die meisten Aktionen hat der THS durchgeführt. Die politischen Aktionen, das war vom THS.“

RA Stahl: „Inwieweit waren Sie über Aktionen informiert?“

Brandt: „In Thüringen war ich im großen und ganzen informiert. Was Blood & Honour gemacht hat, nicht unbedingt.“

RA Stahl: „Wussten Sie von terroristischen Aktionen?“

Brandt: „Von terroristischen Aktionen war nie was bekannt. Es gab Blood & Honour, die eigene Konzerte gemacht haben, die wir auch besucht haben. Aber die politische Arbeit, die haben wir vom THS gemacht. Also Zeitung, Flugblätter und Aktionen. Die haben wir gemacht.“

RA Stahl: „Sie waren also informiert über Aktionen, die die Rechte Idee nach vorne bringt?“

Brandt: „In den NPD Landesvorstandssitzungen, auch beim THS gab es Kadersitzungen, wo man sich politisch abgestimmt hat.“

RA Stahl: „Ist dort auch über die Idee zu rechten Terrorzellen oder rechte Terrorakte überlegt worden?“

Brandt: „Nein. Wir haben eigentlich immer den Weg der Politik zu gehen versucht. Auch mit Demos versucht, die sind meist verboten worden durch den Freistaat Thüringen, mit wilden Begründungen. Natürlich gab es auch mal Sachbeschädigungen, etwa durch Aufkleber kleben und so. Aber das war der normale politische Weg, unsere Zielsetzung.“

RA Stahl: „Eigentlich politisch? Und nicht doch auch uneigentlich?“

Brandt: „Natürlich ist es bei den Skins in Sonneberg mal zu Körperverletzungsdelikten gekommen. Discoschlägereien und so was.“

RA Stahl: „Ich meine terroristische Aktivitäten?“

Brandt: „Nein. Gab es nicht.“

RA Stahl: „Gestern sagten Sie: Zschäpe war keine dumme Hausfrau. Hatte Zschäpe eigene Ideen entwickelt in Diskussionen? Was haben Sie da konkret in Erinnerung?

Brandt: „Eigene Ideen politischer Art nicht. Sie war ja nicht bei politischen Grundsatzdiskussionen dabei. Eher Diskussionen über Germanentum oder so. Grundsatzdiskussionen fanden damals als Beate neu war noch nicht statt. Später dann mit Kapke Themen mit sozialrevolutionärer Ausrichtung und nationaler Ausrichtung. Aber mit Beate noch nicht.“


 

Der Beginn der Verhandlung nach der Mittagspause wurde mehrfach verschoben. Ein Grund dafür wird nicht genannt. Auf der Besuchertribüne schießen derweil die Spekulationen ins Kraut. Zschäpe sei wieder einmal krank, so wird gemunkelt. Was dann aber geschieht, damit hat niemand, aber wirklich niemand gerechnet:

Der Vorsitzende Richter Manfred Götzl verkündete das „Misstrauensvotum“ nach der Mittagspause. Die Nachricht schlug buchstäblich ein, wie eine Bombe. Der Verhandlungstag wurde abgebrochen, der darauffolgende abgesagt. Auch an diesem Tag war Tino Brandt als Zeuge vorgeladen.

Dem Anschein nach waren sämtliche Prozessbeteiligte, Prozessbeobachter und Pressevertreter von dieser Nachricht völlig überrascht. Auch die Zschäpe-Verteidiger RAin Sturm, RA Stahl und RA Heer schienen von dem entzogenen Vertrauen völlig unvorbereitet getroffen worden zu ein. Die Vertreter der Bundesanwaltschaft schienen nicht minder überrascht.

Was Zschäpe dazu bewogen hat ist zur Stunde (22.07.2014, 07:00 Uhr) noch völlig unklar.

 

 

 

 

 

NSU-Prozesstag 95: Wenn das Jüngste Gericht ganz alt aussieht. Ein Trauerspiel.

Carsten R. (36) ist wieder einer dieser unerträglichen Zeugen. Man könnte meinen, er wäre ein kleiner Fisch im undurchdringlichen NSU-Sumpf. Carsten R. hat 1998 unter seinem Namen eine Wohnung in Chemnitz für die untergetauchten Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe angemietet. Deswegen wird er am 19. März 2014 vor dem OLG-München im NSU-Prozess als Zeuge vernommen. Das Trauerspiel beginnt um 13:30 Uhr mit der Feststellung seiner Personalien.

Heute wohnt der ehemalige Chemnitzer in München. Als seinen Beruf gibt er „Personaler“ an, verbessert sich aber sogleich. „Personalsachbearbeiter“ sei die korrekte Berufsbezeichnung.

Gefühlte 99 % seiner Antworten bestehen aus diesen Floskeln:

  • „Weiß ich nicht mehr.“
  • „Ist schon zu lange her.“
  • „Kann mich nicht mehr erinnern.“

Seine seltenen Antworten, die inhaltlich auf die Frage eingehen, beendet Carsten R. meistens mit einem Nachsatz wie diesem hier: „… kann ich aber nicht genau sagen.“

So läuft die Befragung Stunde um Stunde. Trotzdem ging der Plan von Carsten R. durch geballtes Unwissen, nichtssagenden Antworten und beinharten Lügen möglichst wenig zu einem Erkenntnisgewinn beizutragen nicht ganz auf.

Auf die Frage des Vorsitzenden Richter Götzl warum ausgerechnet er als Wohnungsmieter für die bereits untergetauchten Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe auftreten sollte antwortete Carsten R. in typischer Art und Weise.

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Bild oben: Vorsitzender Richter Manfred Götzl

Carsten R.: „Man ist an mich herangetreten, ob ich die Wohnung nicht mieten möchte. Ich hab mit einer Maklerin dann eine Wohnungsbesichtigung gemacht.“

Mit so einem allgemeinen Geschwurbel gibt sich ein Richter Götzl natürlich nicht zufrieden. Er hakt sofort nach. Die Vernehmung läuft zu diesem Zeitpunkt maximal 10 Minuten. Bereits jetzt ist für Götzl-Kenner deutlich erkennbar, in welcher Gemütslage sich der Vorsitzende Richter befindet. Nämlich in einer für den Zeugen äußerst bedenklichen.

Im Gegensatz zu anderen Zeugen aus der Naziszene scheint Carsten R. schlecht gebrieft worden zu sein. Oder er hat die Anweisungen, die er – von wem auch immer – zur Vorbereitung seiner Einvernahme nicht verstanden. Der Gesamteindruck von Carsten R. legt letztere Annahme zumindest sehr nahe.

Merklich gereizt fragt Götzl also nach: „Sie sprechen immer von ‚man‘ und ‚wurde‘. Ich erwarte von Ihnen genauere Antworten.“ Götzls Lautstärke nimmt in direkter Korrelation mit der Satzlänge merklich zu.

Carsten R.: „Ich weiß nicht mehr, wer an mich herangetreten ist und wer bei der Wohnungsübergabe dabei war.“

(Gelächter im Saal)

Im Laufe der Vernehmung wird sich herausstellen, dass Carsten R. sehr wohl weiß, wer ihn zur Anmietung der Wohnung überredet hat. Später will Carsten R. sich auch noch daran erinnern können, mit wem er die Wohnung besichtigt hat. Beate Zschäpe soll es gewesen sein, die er bei der Maklerin als seine Freundin vorgestellt hätte, um kein Aufsehen zu erregen. Zschäpe soll auch die Mitunterzeichnerin des Mietvertrages gewesen sein, so sagte Carsten R. Stunden später.

Carsten R. konnte mit seiner letzten Antwort Götzl offensichtlich nicht zufriedenstellen. Götzl ringt wieder deutlich um seine Fassung, scheinbar mit Erfolg. Bemerkenswert ruhig führt er die Befragung weiter.

Götzl: „Jetzt erzählen Sie doch mal von vorne und der Reihe nach.“

Carsten R.: „Hab ich ja. Die Wohnung wurde eben angemietet.“

Ein Kommentar zur psychischen Verfassung von Götzl erübrigt sich an dieser Stelle.

Götzl: „Mit Personen! Bitte!“

Carsten R.: „Kann mich nicht erinnern. Das habe ich auch bei der Polizei schon gesagt.“

Die Vernehmung des Carsten R. durch Richter Götzl lief mehrere Stunden in genau dieser Art und Weise ab. Der Zeuge R. kann oder will sich nicht erinnern. Inhaltliche Antworten sind dermaßen dahingeschwurbelt und mit Nachsätzen relativiert, dass sie völlig wertlos sind.

Zwar wurde Götzl während der Befragung immer wieder laut und stellte seine Fragen aggressiver. Konsequenzen für das Aussageverhalten von Carsten R. stellte Götzl jedoch wieder nicht in Aussicht.

Etwa vier Stunden später wurde es für Carsten R. dann doch etwas ungemütlicher.

Nebenklageanwalt RA Hoffmann kommt gleich mit seiner ersten Frage auf den eigentlichen Kern der Sache.

RA Hoffmann: „Was hat die von Ihnen angesprochene Kameradschaft dazu beigetragen, drei Leute, die von der Polizei gesucht wurden, zu verstecken?“

Carsten R.: „Kameradschaft ist das Gleiche wie Freundschaft.“

RA Hoffmann: „Sie hatten ja nur 2 Freunde. Und zwar den Ro. und den Ho.?“

Carsten R.: „Ist beim Militär nicht anders.“

RA Hoffmann: „Beim Militär ist man in einer Einheit. In welcher Einheit waren Sie denn mit denen?“

RA Stahl beanstandet die Frage, Götzl lässt sie zu.

Carsten R.: „Beim Militär kenne ich die Leute ja auch nicht und lasse mein Leben für die Kameradschaft.“

RA Hoffmann: „Was war dann Ihre Gemeinsamkeit?“

Carsten R.: „Ja, beim …“

(Wird von RA Hoffmann unterbrochen)

RA Hoffmann: „Etwa rechtes Gedankengut?“

Carsten R.: „Ja. Zum Beispiel das Asylrecht.“

RA Hoffmann: „Die Bindung in der Kameradschaft war also der Kampf gegen das Asylrecht?

Carsten R.: „Nein. Man hat mir gesagt, dass die 3 aus rechter Szene kommen.“

RA Hoffmann: Nach 2 bis 3 Jahren gab es Fahndungsaufrufe mit Bildern von den 3. Haben Sie das mitgekriegt?“

Carsten R.: „Nein.“

RA Hoffmann: „Haben Sie sich gar keine Gedanken darüber gemacht?“

Carsten R.: „Nein. Das war mir egal“

RA Hoffmann: „Haben Sie sich 2011 (Anm.: Am 04.11.2011 wurden Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe enttarnt.) bei der Polizei gemeldet?“

Carsten R.: „Nein.“

RA Hoffmann: „Warum nicht?“

Carsten R.: „Bei mir ging es ja um die Wohnung. Und bei denen um Tötung.“

Das Fragerecht hat nun RAin Pinar: „Ist Ihr ‚Egal sein‘ eigentlich grenzenlos?“

Carsten R.: „Ja. Ich hab nicht differenziert, ob die Schokoriegel klauen, oder gerade jemanden umgebracht haben.“

RAin Pinar: „Wie waren Ihre Gedanken, als Sie erfuhren, dass „die 3″ Menschen umgebracht haben?“

Genau an dieser, dieser entscheidenden Stelle, an der die wirkliche Gesinnung des Zeugen ans Licht kommt, grätscht GBA Diemer mitten in die Befragung hinein. Wie immer in solchen Fällen ohne Worterteilung.

Diemer: „Ich beanstande die Frage …“

GBA Diemer Foto: J.Pohl
GBA Diemer Foto: J.Pohl

Diemer wird durch RAin Pinar unterbrochen, schließlich hat sie immer noch das Fragerecht. Sie hat weder erklärt, dass sie keine weiteren Fragen mehr hätte, noch hat irgendjemand GBA Diemer das Wort erteilt.

RAin Pinar: „Ich möchte hier nur auf eine Grundsatzentscheidung zur Beugehaft …“

Bei dem Wort „Beugehaft“ wird RAin Pinar das Mikrofon abgedreht. Jedoch ist sie auch ohne Mikrofon zumindest auf der Besuchertribüne noch einigermaßen gut zu verstehen. „Ich lasse mir hier nicht von Ihnen den Mund verbieten.“

Götzl mischt sich nun auch ein: „Frau Anwältin! Bitte mäßigen Sie sich. Das Wort hat jetzt Dr. Diemer. Bitteschön, Herr Diemer! Sie sind dran.“

Aus den Reihen der Nebenklage sind überdeutlich Unmutsbekundungen ob der Entscheidung Götzls vernehmbar.

Götzl versucht den Tumult im Gerichtssaal, der sich auch auf die Tribüne ausgebreitet hat zu ignorieren: „Also bitte Herr Diemer …“

Diemer: „Ich beanstande die Frage. Die Frage hat nichts mit der Sache zu tun. Wir sind hier nicht das Jüngste Gericht, es ist nicht Aufgabe des Zeugen, sich für Einstellungen zu rechtfertigen, sondern Wahrnehmungen zu bekunden.“

Götzl: „Wenn Sie hier so weiter fragen, dann …“

RAin Pinar unterbricht Götzl: „Die Gesinnung dieses Zeugen ist mir wurscht.“ (sic!)

Jetzt mischt sich RA Hoffmann in die inzwischen völlig außer Kontrolle geratene Diskussion ein: „Dieser Zeuge hier lügt den ganzen Nachmittag und die Bundesanwaltschaft unterstützt das auch noch.“

Götzl: „Ich lasse mich nicht unterbrechen …“

RAin Pinar: (An Götzl gerichtet.) „Dann sagen Sie doch endlich, was Sie sagen wollen.“

Götzl: „Ich habe Ihnen nicht das Wort erteilt. So! Und damit sich die Prozessbeteiligten wieder sortieren können und zur Besinnung kommen, unterbreche ich jetzt die Verhandlung für 10 Minuten.“

Er knallt einen Aktenordner auf das Pult, und verlässt um 17:20 Uhr ohne ein weiteres Wort zu verlieren den Gerichtssaal.

Eine angeordnete Verhandlungspause von 10 Minuten dauert im OLG-München 20 Minuten. Das war schon immer so, das wird immer so bleiben. In Bayern gehen die Uhren eben anders.

Um 17:40 Uhr erteilt Richter Götzl RAin Pinar das Wort.

RAin Pinar: „Bevor ich unterbrochen werde, stelle ich fest, dass eine Befragung des Zeugen nicht mehr sinnvoll ist. Ich stelle hiermit alle Fragen zurück.“

Die nächste Wortmeldung kommt von RA Kienzle: „Wir möchten uns zur Bemerkung von GBA Diemer zum „Jüngsten Gericht“ äußern. Deswegen werden wir alle auf unser Fragerecht verzichten. Dem Zeugen ist überdeutlich klar geworden, dass sein Verhalten von der Bundesanwaltschaft hingenommen wird.“

Richter Götzl versucht noch zu retten, was zu retten ist: „Wir müssen jetzt mit der Befragung des Zeugen fortfahren.“

RA Kienzle: „Wir haben jetzt die Situation, dass die Beanstandung Diemers weiter im Raum steht. Stichwort: ‚Jüngstes Gericht‘.“

Götzl: „Die Befragung des Zeugen steht im Vordergrund.“

RA Kienzle: „Das sehe ich anders. Hier steht ausgesprochen im Raum, dass Nebenkläger Fragen im Stil des „Jüngsten Gerichts“ stellen.

RA Kienzle Foto: J.Pohl
RA Kienzle Foto: J.Pohl

Zschäpe-Verteidiger RA Stahl mischt sich nun auch in den Disput ein: „Also, ich will den Zeugen schon befragen …“

Götzl: „Jetzt ist nicht der Zeitpunkt für irgendwelche Erklärungen. Die Nebenklage hat immer noch das Fragerecht.“

Übrigens: Während der gesamten Diskussion sitzt Carsten R. an seinem Platz am Zeugentisch. Er verfolgt die Auseinandersetzung mit stoischer Gelassenheit. Aus irgendeiner Ecke wird die durchaus berechtigte Frage gestellt, ob es nicht besser wäre, den Zeugen aus dem Gerichtssaal zu schicken. Jedenfalls so lange, bis eine Einigung zum weiteren Prozedere gefunden ist.

RA Hoffmann geht auf die Frage ein: „Wir hatten keine Gelegenheit zu einer Replik auf die Frage von der Kollegin Pinar. Das hier hat schon Eindruck beim Zeugen hinterlassen. Deswegen kann er auch drin bleiben. Wir müssen die Erklärungen abgeben.“

Entweder ist Götzl bis jetzt völlig entgangen, dass der Zeuge – um den sich letztendlich der Streit dreht – immer noch im Gerichtssaal weilt, oder er schickt ihn aus rein oppositionellem Verhalten RA Hoffmann gegenüber genau zu diesem Zeitpunkt (17:45 Uhr) aus dem Saal.

Götzl: (An RAin Pinar gerichtet.) „Die Situation ist jetzt so: Sie haben jetzt das Fragerecht und Sie haben es selbst unterbrochen. Und: Sie haben ein grundsätzliches Problem mit der Aussage von GBA Diemer.“

RAin Pinar: „So ist eine Vernehmung des Zeugen durch die Nebenklage nicht möglich. Wenn die Bundesanwaltschaft genau dann dazwischen springt, wenn der Zeuge erstmals sagt, was seine Gesinnung ist. So kann man keine Fragen aufbauen.“

RA Stahl schlägt sich mit seinem Statement auf die Seite von GBA Diemer. Die Gründe dafür dürften vermutlich nur er und seine Kollegen RAin Sturm und RA Heer kennen: „In der Tat gab es eine Beanstandung von GBA Diemer. Und ich habe seine Geste so verstanden, dass er seine Beanstandung zurückzieht.“

Götzl beschließt, dass der Streit beendet ist. Und scheitert grandios: „Es gibt keinen Streitpunkt mehr. Sie können Ihre Fragen also stellen.“

RAin Pinar ist da grundsätzlich anderer Ansicht: „Dr. Diemer hat wörtlich gesagt: ‚Ich würde die Frage zulassen, wenn ich einen Zusammenhang mit der Sache darstellen kann.‘ Wenn man streng nach StPo gehen würde, dann dürfte er meine Befragung gar nicht beanstanden. Und schon gar nicht mit diesen schrecklichen Worten.“

Götzl: (An RAin Pinar gerichtet.) „Ich bitte Sie ihre Fragen zu stellen.“

Wieder mischt sich RA Stahl ungefragt ein: „Ich sehe 2 Alternativen: Entweder Fragen durch die Nebenklage oder einen Beschlussantrag zur Bundesanwaltschaft.“

RAin Pinar: „Ich beantrage einen Senatsbeschluss, dass ich bei meiner Befragung durch die Bundesanwaltschaft gestört wurde und ich beantrage dazu eine Erklärung verlesen zu dürfen.“

Dieses Äußerung war zwar klar an GBA Diemer gerichtet. OSta Weingarten kommt ihm jedoch mit seiner Antwort zuvor. „Ohne die Sachlichkeit zu gefährden, haben wir Schwierigkeiten, den Antrag zu verstehen.“

OSta Weingarten Foto: J. Pohl
OSta Weingarten Foto: J. Pohl

Weingarten, der Mann fürs Grobe, zeigt mit diesem Satz, wie er die Sache sieht und mit welcher Strategie er den Streit zwischen Nebenklage und Bundesanwaltschaft beenden möchte. Nämlich mit seiner unnachahmlichen Arroganz, kombiniert mit einem „Basta“-Argument. Mindestens seit Gerhard Schröders Kanzlerschaft scheiterte diese Art von Argumentation reihenweise. Im Übrigen scheiterten meist auch diejenigen, die mit „Basta“ eine Meinungsverschiedenheit per Handstreich erledigen wollten.

Zumindest erwähnenswert ist das Verhalten der anderen Mitglieder der Bundesanwaltschaft während dieser Szene. Staatsanwalt Stefan Schmidt wippt grinsend mit seinem Stuhl hin- und her, OSta Anette Greger sieht sich mit ihrem stets freundlichem Blick im Gerichtssaal um, GBA Diemer starrt mit entrücktem Blick ins Leere. Beinahe könnte man meinen, er sieht vor seinem inneren Auge Szenen aus dem Jüngsten Gericht.

OSta Anette Greger Foto: J. Pohl
OSta Anette Greger Foto: J. Pohl

RAin Lunnebach reißt mit ihrer Wortmeldung Diemer aus seiner unergründlichen Gedankenwelt: „Manchmal gibt es in einem so großen Prozess Dinge, denen nicht mit Formalien beizukommen ist, sondern mit Inhalten. Es geht hier um die Formulierung „Jüngstes Gericht“ von Dr. Diemer.

RAin Pinar: „Ich nehme jetzt den Antrag zurück.“

Götzl: (An RAin Pinar gerichtet.) „Wollen Sie jetzt den Zeugen befragen?“ Dass Götzl die Situation grundsätzlich falsch eingeschätzt hat, zeigt die prompte Antwort von RAin Pinar.

RAin Pinar: (An Richter Götzl gerichtet.) „Haben Sie mich nicht verstanden?“ – Pause – „Natürlich nicht!“

RA Stahl wittert seine Chance: „Herr Vorsitzender! Ich wollte nur anmerken, dass wir, die Verteidigung, seit geraumer Zeit auf unser Fragerecht warten.“

Nachdem sich Götzl nochmals vergewissert hat, dass die Nebenkläger wirklich auf die weitere Befragung des Zeugen verzichten, lässt er Carsten R. um 17:55 Uhr wieder in den Gerichtssaal bringen.

RA Heer nimmt als Erster das Fragerecht für die Verteidigung in Anspruch. Carsten R. verhält sich wie immer. Er hat Erinnerungslücken, flüchtet sich in Allgemeinplätze, keine konkreten Erinnerungen an nichts und niemanden.

Völlig unerwartet gewinnt die Befragung des Zeugen an Brisanz, als RA Stahl an der Reihe ist.

RA Stahl: „Haben Sie mitbekommen, dass alle 3 (Mundlos, Böhnhardt, Zschäpe) eingezogen sind?“

Carsten R.: „Ja.“

Zschäpe Verteiger RA Stahl. Foto: J.Pohl
Zschäpe Verteiger RA Stahl. Foto: J.Pohl

RA Stahl: „Woran haben Sie das festgemacht?“

Carsten R.: „Vom Hörensagen.“

RA Stahl: „Haben Sie persönliche Kenntnisse darüber, dass alle 3 dort wohnten?“

Carsten R.: „Nein. Schon wegen der Einrichtung nicht.“

RA Stahl: „Waren denn bei der Unterzeichnung des Mietvertrags weitere Personen dabei?“

Carsten R.: „Nein.“

RA Stahl: „Also definitiv keine 3. Person?“

Carsten R.: „Definitiv kann ich nicht sagen.“

RA Stahl: „Aus exklusiven Verteidigerkenntnissen mache ich Ihnen jetzt einen Vorhalt – das darf ich nämlich . und sage Ihnen jetzt folgendes: Frau Zschäpe war bei der Unterzeichnung des Mietvertrages nicht dabei. Wer, also war dann dabei?“

Carsten R.: „Keine Ahnung. Ich kenne niemanden, der Fiedler heißt.“

RA Stahl: „Haben Sie denn irgendein Bild vor Augen, als Sie den Mietvertrag unterschrieben haben?“

Carsten R.: „Nein.“

RA Stahl: „Haben Sie selbst unterschrieben? Haben Sie eine Erinnerung daran, ob bei der Besichtigung oder erst später der Mietvertrag unterschrieben wurde?“

Carsten R.: „Keine Erinnerung.“

RA Stahl: „Ein ‚Schwarzes Loch‘ also?“

Carsten R.: „Ja …“

Götzl beanstandet die Formulierung „Schwarzes Loch“. RA Stahl ignoriert dies weitgehend und setzt seine Befragung fort: „Ist die Anwesenheit von Frau Zschäpe bezeugbar, oder eine Vermutung?“

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Bild oben: Hauptangeklagte Beate Zschäpe

Carsten R.: „Vermutung.“

RA Stahl: „Wen haben Sie als Pärchen ausgegeben?“

Carsten R.: „Frau Zschäpe …“

RA Stahl:: (unterbricht R. mitten im Satz)

Götzl: „Herr Anwalt! Unterbrechen Sie den Zeugen nicht!“

RA Stahl: „Ich darf den Zeugen unterbrechen, wann ich will!“

Götzl: „Nein. Dürfen Sie nicht!“

RA Stahl: „Doch. Darf ich schon!“

(Gelächter im Saal)

Götzl ringt um Fassung und setzt zu einer Erwiderung an. RA Stahl kommt ihm zuvor und setzt seine Befragung eiskalt und völlig unbeeindruckt fort.

RA Stahl: „Also mit wem haben Sie sich als Pärchen ausgegeben? Mit Frau Zschäpe?“

Carsten R.: „Das ist eine reine Vermutung von mir. Bei der Wohnungsübergabe eben. Wissen tu ich es nicht.“

RA Stahl: „Können Sie Böhnhardt und Mundlos unterscheiden?“

Carsten R.: „Nein.“

RA Stahl: „Und jetzt sag ich Ihnen noch was: Vermutlich hat Böhnhardt als Bürge auf dem Mietvertrag unterzeichnet.“

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Bild oben: Uwe Böhnhardt

(Absolute Stille im Saal!)

Carsten R. antwortet unbeeindruckt. Dass er gerade überführt wurde, seit Stunden gelogen zu haben, lässt in anscheinend völlig kalt.

Carsten R.: „Kann sein …“

RA Stahl: „Keine weiteren Fragen mehr.“

Auf die Wiedergabe der weiteren Befragung kann getrost verzichtet werden. Carsten R. bleibt hartnäckig bei seinem Antwortverhalten.

Nach fast 5 Stunden grotesker Befragung nimmt um 18:15 das Trauerspiel mit der Entlassung des Zeugen sein Ende.

Fazit der Vernehmung: Es sind immens viele Fragen offengeblieben. Carsten R. weiß definitiv mehr, als er vorgibt zu wissen. Er hat Stunde um Stunde beinhart gelogen. Dies wurde ihm beispielsweise beim Themenkomplex Wohnungsbesichtigung und Mietvertrag eindrucksvoll nachgewiesen. Seine Aussagen, dass er mit Beate Zschäpe als Pärchen auftrat und das Zschäpe die Mitunterzeichnerin des Mietvertrages war, wiederholte er mehrmals. Beide Aussagen waren glatte Lügen, die völlig ohne Konsequenzen blieben.

Eine weitere Einvernahme des Zeugen wäre dringend geboten gewesen. Aber nur unter anderen Voraussetzungen wäre sie auch sinnvoll gewesen. Das Problem ist wieder einmal die Bundesanwaltschaft. Eine Bundesanwaltschaft, die wenig Interesse an einem zusätzlichen Erkenntnisgewinn hat, ist zu kritisieren. Eine Bundesanwaltschaft, die aktiv die Bemühungen zur Aufklärung verhindert, ist inakzeptabel, unzumutbar, eine Verhöhnung aller Opfer, ein Schlag ins Gesicht der Hinterbliebenen und unterstützt direkt den Rechtsextremismus.

Die Geschichte dieser Zeugenvernehmung ist aber noch lange nicht zu Ende erzählt.

Kaum hat der Zeuge den Saal verlassen, verliest RA Kienzle eine Erklärung. Die Erklärung bezieht sich auf das direkte Eingreifen der Bundesanwaltschaft auf diese Frage von RAin Pinar an den Zeugen Carsten R.: „Wie waren Ihre Gedanken, als Sie erfuhren, dass „die 3″ Menschen umgebracht haben?“

Hier Auszüge aus der Erklärung:

„[…]

In diese Befragung und damit an entscheidender Stelle griff Dr. Diemer ohne Worterteilung ein und teilte mit, er würde die Frage beanstanden, wenn die Nebenklage nicht den Sachzusammenhang erklären könne.

Wörtlich sagte er:

Wir sind hier nicht das jüngste Gericht, es ist nicht Aufgabe des Zeugen, sich für Einstellungen zu rechtfertigen, sondern Wahrnehmungen zu bekunden.“

Dr. Diemer gab damit zu erkennen, dass die Wahrheitsfindung hier keine Rolle spielen soll, aus seiner Sicht. Mit der Frage soll ganz offenkundig die Glaubhaftigkeit der Angaben des Zeugen insgesamt überprüft werden, weil er zu erkennen gegeben hat, dass ihm bis heute die gesamte Mordserie „egal“ ist.

[…]

Dem Zeugen wurde durch die Äußerung der BAW verdeutlicht, dass sein widersetzliches Aussageverhalten staatliche Rückendeckung bekommt.

[…]

Eine weitere Befragung des Zeugen ist auf dem Hintergrund der Äusserung Dr. Diemers gleichwohl sinnlos.“

Die komplette Erklärung gibt es hier zum Nachlesen: >>

GBA Diemer äußert sich im Anschluss auf die Erklärung folgendermaßen:

„Die Frage, die beanstandet wurde, war: Was hat der Zeuge gedacht, als er von den Taten gehört hat. Der Zeuge hat sich nicht für seine Gesinnung zu rechtfertigen. Ich weise die Unterstellung, nicht an der Wahrheit interessiert zu sein auf das Schärfste zurück.“

RA Stahl ergreift das Wort. Offensichtlich befürchtet er eine nochmalige Eskalation und wittert für heute seine letzte Chance um an seine Rolle als Verteidiger der Hauptangeklagten Beate Zschäpe zu erinnern: „Ich möchte nur noch mal feststellen, dass der Zeuge keine Erinnerung daran hat, dass Frau Zschäpe bei der Unterzeichnung des Mietvertrages anwesend war.“

RA Hoffmann schließt sich mit einer Erklärung nach § 257 StPO an:

„Es wären noch weitere Erkenntnisse vom Zeugen zu gewinnen gewesen, wenn RAin Pinar nicht torpediert worden wäre. Einer der wenigen Punkte, die er sagte, war zum Beispiel, dass er Frau Zschäpe als Ehefrau oder Freundin ausgegeben hatte. Das taktische Verhalten des Zeugen konnten wir nicht aufdecken. Danke dafür, Herr Diemer! Zum Schluss hätte der Zeuge auch Böhnhardt als seine Ehefrau ausgegeben.“

RAin Pinar: „Hätten wir nachfragen können, dann hätten wir auch erfahren können, wen der Zeuge mit ‚wir‘ gemeint hat.“

Dieser Beitrag von RAin Pinar soll hier als Schlusswort in Sachen Vernehmung Carsten R., seiner geplanten Hochzeit mit Uwe Böhnhardt und den Fantasien von GBA Diemer zum Jüngsten Gericht gelten. Der Satz stellt in Kurzform das absolut inakzeptable Verhalten des Senats und insbesondere der Bundesanwaltschaft im Umgang mit Zeugen aus der rechtsextremen Szene eindringlich dar.

Um 18:40 Uhr endet NSU-Prozesstag 95.

NSU-Prozesstag 90: Der Satz der Woche.

Am 26. Februar 2014, dem 89. Verhandlungstag im NSU-Prozess schlossen sich mehrere Nebenkläger einem Beweisantrag von RA Stolle an. In dem Antrag fordert Stolle die Beiziehung von umfangreichem Aktenmaterial für die Hauptverhandlung im NSU-Prozess am OLG München. Zu den angeforderten Akten zählen unter anderem die Personenakten zu Tino Brandt sowie weitere Akten zum Thüringer Heimatschutz (THS), die vom Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz (TLfV) angelegt wurden.

Laut einem Bericht des MDR Thüringen lägen dem NSU-Untersuchungsausschuss des Thüringer Landtags rund 15 Bände über den THS aus dem TLfV vor. Allein zur Tätigkeit von Tino Brandt – V-Mann und Chef des THS – gäbe es mehrere Personalakten, die ebenfalls vom TLfV geführt wurden. Dies sagte die Vorsitzende des Thüringer NSU-Untersuchungsausschuss Dorothea Marx (SPD) gegenüber dem MDR.
Quelle: >> 

Die Akten sollen vor der Einvernahme von Tino Brandt beigezogen werden, nur so könnten die Aussagen von Brandt in der Hauptverhandlung auch bewertet und überprüft werden, so RA Stolle weiter in seiner Begründung des Beweisantrags.

Und weiter: „In den beizuziehenden Akten werden sich Aussagen von Reiner Bode, dem V-Mann Führer Brandts finden, wie etwa diese: ‚Ich habe ihn (Anm.: Brandt) sehr eng geführt. Mit Methoden, die nur bei Nachrichtendiensten eben so angewendet werden.‘ Brandt hat als ‚F Quelle‘ angefangen und ist aufgestiegen bis zur ‚B Quelle‘, diesen Akten nach war Brandt im September 1999 bereits als ‚B Quelle‘ klassifiziert,“ so Stolle. (Anm.: Die Buchstaben „F“ und „B“ sind ein geheimes geheimdienstinternes Qualitätsmerkmal für Informanten. „A“ steht hier für „beste Qualität“. Also ganz ähnlich wie bei Tomaten. Oder Eiern.)

In den Akten würden sich auch TKÜ-Protokolle von Telefonaten zwischen Tino Brandt und Torsten H. befinden, durch die sich die taktische Informationsweitergabe durch Brandt an den Verfassungsschutz nachweisen lasse. Auch Treffberichte des V-Mannes Brandt seien Bestandteil dieser Akten. „Diese Erkenntnisse sind bis jetzt nicht in die Ermittlungen eingeflossen“, begründet Stolle weiter.

Brandt hätte beispielsweise Uwe Böhnhardt als „militanten Menschen“ beschrieben und Beate Zschäpe ein „fundiertes Wissen über das Germanentum“ attestiert.

„Alle diese Akten sind weder dem Bundeskriminalamt (BKA) noch der Bundesanwaltschaft (BAW) vorgelegen“, so Stolle.

24 Stunden später erfolgt die Stellungnahme der Bundesanwaltschaft in Person von Oberstaatsanwalt Jochen Weingarten:

„… der Beweisantrag von RA Stolle zur Beiziehung der Personenakten zu Tino Brandt und den Akten zum THS ist abzulehnen.“

Der Satz der Woche!

In der umfangreichen Begründung Weingartens zur Ablehnung des Antrags versteckt sich der Sieger in der Kategorie „Satz der Woche“:

„Die Klassifizierung einer Quelle wird nicht nur durch Nachrichtenehrlichkeit, sondern auch durch andere Faktoren gespeist.“

Wie wichtig ein V-Mann für den Verfassungsschutz ist, hat also nichts mit echten, wahren oder richtigen Informationen zu tun. Für den Verfassungsschützer ist offenbar auch die Menge der Informationen, die ein V-Mann liefert, wichtig.

Ein weiterer Faktor, der die Qualität eines Informanten bestimmt: Die Informationen müssen für den Sachbearbeiter beim Verfassungsschutz leicht verständlich sein.

Vermutlich aber ist am wichtigsten: Die Informationen des V-Mannes dürfen nicht das, durch wen auch immer, vorgegebene Weltbild des Verfassungsschutzes ins Wanken bringen. Wahrscheinlich ist dies der entscheidende Faktor, der – um es mit OSta Weingartens Worten zu formulieren – „die Klassifizierung einer Quelle speist“.

Man könnte spei(s)en ..!

NSU-Prozesstag 80: Wortprotokoll der kompletten 3. Vernehmung von Andreas Temme am 29.01.2014.

Wieder geht es bei dieser Vernehmung um nichts weniger, als um die Aufklärung der möglichen Verwicklung des Ex-Verfassungsschützers und Ex-V-Mann-Führers Andreas Temme in den Mord an Halit Yozgat, der am 06. April 2006 in seinem Internetcafe durch 2 Kopfschüsse regelrecht hingerichtet wurde. Es ist hinreichend bekannt und inzwischen auch wasserdicht bewiesen, dass sich Temme zur exakten Tatzeit direkt am Tatort aufhielt.

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Anmerkung: Das nachfolgende Protokoll bezieht sich ausschließlich auf meine persönlichen, handschriftlichen Notizen.

Infos über vermutlich notwendige Updates werden sofort bei Twitter veröffentlicht. Also am besten meinem Account @editor64 folgen!

Zum Update vom 18.02.2014 – 21:00 Uhr >> 

Update vom 19.02.2014 – 07:05 Uhr:

Einen Einblick in die aufgeheizte Atmosphäre im Gerichtssaal, ein Stimmungsbild der Prozessbeteiligten und eine kurze Zusammenfassung zum juristischen Tauziehen vor der Vernehmung des Andreas Temme gibt es im Blog „Querläufer“. >>>

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Andreas Temme am 29. Januar 2014 auf dem Weg zu seiner 3. Vernehmung im NSU-Prozess am OLG München.Embed from Getty Images

Um 13:43 Uhr betritt Andreas Temme den Gerichtssaal. Er gibt sich betont lässig und cool. Nachdem er am Zeugentisch Platz genommen hat, will er etwas in das Mikrofon sagen, dieses verweigert aber seine Dienste.

Götzl: „Herr Kienzle haben Sie etwa den Stecker gezogen?“

Die Frage Götzls löst Heiterkeit im Saal aus, allerdings scheint sich Richter Götzl am meisten über seinen Witz zu amüsieren. Das Mikrofonproblem führt zu einer weiteren Pause.

Während der Pause sitzt Temme am Zeugentisch und wartet wieder einmal auf den Beginn seiner Vernehmung. Noch vor einigen Minuten betont lässig, scheint er jetzt doch deutlich nervös zu sein. Von seiner sonst üblichen Sitzhaltung, die er besonders bei seiner 1. Vernehmung über Stunden unverändert – auch während kurze Pausen – einhielt, ist heute nichts mehr zu sehen. Die Hände hält er spitz beisammen, beinahe so, als ob er beten würde. Er zappelt mit den Füßen, schwingt mal das eine, mal das andere Bein nach vorne, reibt sich am linken Auge, als ob dieses brennen würde. Kurzum: Ein völlig anderes Verhalten als bei den anderen Vernehmungen. Temme ist unsicher. Heute weiß er nicht, was auf ihn zukommt.

Um 13:50 Uhr sind die technischen Probleme behoben. Vermutlich hat RA Kienzle nicht Temmes Mikrofon sabotiert. Jedenfalls hat er den Stecker während der Pause nicht wieder angeschlossen.

Götzl beginnt ohne Umschweife mit seiner Befragung: „Welche Fahrstrecken haben Sie für die Heimfahrt von Ihrem Büro genommen?“

Temme: „Es gab zwei Möglichkeiten. Vom Büro (Anm.: Wolfhager Straße) aus nach links abbiegen in die Gelnhäuser Straße und dann weiter auf die Holländische Straße stadtauswärts. Die andere Möglichkeit wäre rechts weiter auf der Wolfhager Straße, dann in die Mombachstraße und von da aus auf die Holländische Straße. Bei dieser Strecke kommt man am Internetcafe vorbei.“

Götzl: „Sagt Ihnen die Adresse ‚Grüner Weg 33‘ etwas?“

Temme: „Ja, das ist das Polizeipräsidium Nordhessen.“

Götzl: „Und Königstraße 95?“

Temme: „Sagt mir nichts.“

Götzl: „Und wo in Kassel befindet sich die Hauptpost?“

Temme: „In der Unteren Königsstraße, eventuell Hausnummer 95.“

Götzl: „Und Bremer Straße 3?“

Temme: „Sagt mir nichts. Meinten Sie Bremer- oder Jägerstraße 3?“

Götzl: „Bremer …“

Temme: „Sagt mir nichts.“

Götzl: „Wie lautete Ihre Alias-Personalie?“

Temme: „Alexander Thomsen, die Adresse war Untere Königstraße, ungefähr gegenüber von der Hauptpost.“

Götzl: „Haben Sie diese Adresse öfters angefahren?“

Temme: „Ich hatte immer wieder Kontakt zum Staatsschutz und dort die dienstlichen Postfächer geleert.“

Götzl: „Wie häufig?“

Temme: „Etwa einmal pro Woche. Weiß nicht genau.“

Richter Götzl bittet nun Temme nach vorne an den Richtertisch. Temme soll dort eine Google-Karte in Augenschein nehmen. Er schlendert lässig zur Richterbank, stützt sich seitlich auf einer kleinen Ablage ab und sieht sich den vorgelegten Stadtplan mit mehreren eingezeichneten Fahrtrouten lange an.

Temme: „Das ist der normale Weg. Vom Büro über die Gelnhäuser Straße und dann weiter auf die Holländische Straße.“ Er fährt die Strecke mit einem Stift auf dem Plan nach. „Und das ist der andere Weg über die Mombachstraße und dann auf die Holländische Straße.“

Götzl: „Und den unteren Weg? Über den Grünen Weg? Sind Sie den auch gefahren?“

Temme: „Wenn, dann auf dem Weg zum Polizeipräsidium. Hier ist die Hauptpost, da ist meine Alias-Adresse“

Er deutet wieder mit einem Stift auf den Plan. Die Alias-Adresse ist in unmittelbarer Nachbarschaft zur Hauptpost und 3 Minuten Fahrtweg vom Internetcafe Yozgat entfernt.

Temme nimmt wieder am Zeugentisch Platz, gibt sich wieder entspannt und lässig. Götzls nächste Frage trifft ihn sichtlich unerwartet, von seiner Lässigkeit ist plötzlich nichts mehr zu spüren.

Götzl: „Können Sie sich an ein kognitives Interview mit Ihnen erinnern?“

Temme: „Ja, muss wohl 2009 gewesen sein. War der Leiter der Mordkommission Kassel W.. W. hat mich angerufen und gefragt, ob ich bereit wäre, bei einem kognitiven Interview teilzunehmen. Ich habe später dann erfahren, dass es für mich als Beschuldigter nicht möglich gewesen wäre, mitzumachen. Wir haben uns auf einem Parkplatz getroffen und sind dann nach Wiesbaden zur Polizeischule gefahren. Dort fand das kognitive Interview statt.“

Götzl: „Näheres..?“

Temme: „Wir waren zu dritt im Auto. Wir sind dann dort zu einem Psychologen gegangen, der wurde mir vorgestellt. Es war ein einfacher Raum. Der Psychologe sagte, ich solle die Augen schließen, ruhig atmen und mich gedanklich zurück an den Tattag versetzen. Natürlich hat mein Denken beeinflusst, denn wenn ich am Tattag am Tatort gewesen bin, dann müsste ich auch was gemerkt haben. Ich hab mich auch informiert, wie so ein kognitives Interview abläuft. Der hat das aber anders gemacht. Ich will aber den Psychologen da nicht kritisieren.“

Götzl macht Temme einen Vorhalt aus den Akten zum kognitiven Interview mit KHK W.: ‚Beim Betreten des Internetcafe fällt Temme auf, dass die Tür mit Holzkeil offenstand.‘ „Erinnerungen dazu?“

Temme: „Kann sein aus Presse. Eventuell auch neu durch den Psychologen.“

Götzl mit einem weiteren Vorhalt: ‚Temme erinnerte sich an Räume, Beleuchtung und Schreibtischstuhl. Kann aber keine Angaben über Personen machen.‘ „Was sagen Sie dazu?“

Temme: „Ich hab versucht, mich auf das kognitive Interview einzulassen, Dinge wieder zu erinnern. Ich hab auch niemals eine Abschrift bekommen. Es war vielleicht ein Fehler, mich vorher über kognitive Interviews zu informieren.“

Weiterer Vorhalt von Götzl: ‚Temme äußerte die Empfindung ein Geräusch gehört zu haben.‘

Temme antwortet darauf sehr schnell, um einer Nachfrage Götzls dazu zu entgehen: „Das meinte ich ja. Wenn ich dort war, muss ich es ja gehört haben.“

Temmes Plan geht schief. Götzl macht Vorhalt nach Vorhalt: „Da steht: ‚Als würden Möbel gerückt.‘ Das ist ja schon sehr konkret.“

Temme: „Mag sein, dass so etwas in den Medien war. Ich hab gemacht, was der Psychologe gesagt hat. Diese Erinnerungen, z.B. mit dem Stuhl waren für mich sonst nicht präsent. Hatte ja keine Gelegenheit, mich noch vor dem Interview damit zu befassen.“

Götzl unterbindet den Versuch Temmes durch Geschwurbel seine Vernehmung zu verwässern: „Gab es jetzt diese Geräusche?“

Temme: „Kann mich nicht erinnern. Wollte aber dem Psychologen nichts unterschlagen, und dem W. nicht unterstellen, dass er (W.) sich das ausgedacht hat.“

Götzl: „Warum diese Einschränkungen auch 2009?“

Temme: „Wegen Unterschieden zu echten Erinnerungen und Angelesenem aus den Medien …“

Götzl: „Also Pressewissen beim kognitiven Interview?“

Temme: „Ja. Bei anderen Gesprächen aber nicht.“

Götzl: „Warum nicht?“

Temme: „Ich weiß ja nicht, was er mit mir beim Interview gemacht hat. Ich weiß nur, dass ich gesagt habe, dass es schwierig ist, diese Dinge auseinanderzuhalten. Wenn ich ständig beim kognitiven Interview überlegt hätte, was ich selbst erlebt habe und was ich mir angelesen habe, dann hätte das Interview nicht viel bewirkt. Bei Einzelheiten war das nicht der Fall.“

Götzl: „Ja, ging es nicht um Ihre Erinnerungen?“

Temme: „Der W. hat das gesagt. Ich sagte, da mach ich sofort mit. Müssen das einschränken in selbst Erlebtes und Zeitungswissen. Ich hab halt mitgemacht mit bester Motivation. Wenn was dabei raus kommt, dann bin ich mit dabei.“

Temme verhält sich immer noch sehr ungewöhnlich. Er wechselt ständig die Sitzhaltung, er gestikuliert, immer wieder legt er die Hände übereinander, er scharrt mit den Füßen, legt abwechselnd ein Bein über das andere. Von der stoisch über Stunden eingehaltene immer gleichen Haltung mit der Temme vor allem bei seiner 1. Vernehmung auffiel ist absolut nichts mehr übrig geblieben.

Götzl: „Der Psychologe war Sch.?“

Temme: „An den Namen hab ich keine Erinnerung.“

Götzl: „Wie ging es weiter?“

Temme: „Nach dem Interview bin ich 2 Stunden mit Beamten zum Rasthof Kassel gefahren und von dort dann nach Hause.“

Götzl: „Sagt ihnen der Name Irrgang etwas?“

Temme: „Ja. Er war der Direktor des LfV Hessen. Er war mein Vorgesetzter. Ich habe Herrn Irrgang nach meiner Festnahme gesprochen. Hauptsächlich wegen Dingen aus meinem Disziplinarverfahren. War für mich normal, dass er sich mit mir unterhalten hat. Habe gesagt, dass ich jederzeit Rede und Antwort stehen würde zu den Dingen, die ich für das Amt angerichtet habe. Das habe ich ja verbockt.

Götzl: „Was meinen Sie mit ‚verbockt‘?“

Temme: „Denke nicht, dass ich so mit Irrgang gesprochen habe.“

Götzl: „Dann versuchen Sie doch nicht …“

Temme: „Hab Irrgang gesagt, dass ich das unendlich bedauere, auch für die Außenstelle Kassel. Ich hab ihm versichert, dass ich es nicht war. Irrgang sagte, ich hätte ja Familie und möchte, dass das aufgeklärt wird. Ich war bei diesem Gespräch ziemlich aufgewühlt.

Götzl: „Sie sagten ‚ich war das nicht‘. Was haben Sie damit gemeint?“

Temme: „Dass ich nicht für die Morde (sic! Plural!) verantwortlich bin. Ich hab ihm auch das mit dem Krümel Haschisch erklärt und gesagt, dass ich selbstverständlich keine Drogen nehme.

Temme zeigt bei diesen Sätzen eine für ihn völlig atypische Reaktion. Erst dreht er beide Hände mit der Handinnenfläche nach oben, gleich danach lehnt er sich zurück und verschränkt beide Arme vor dem Oberkörper.

Götzl: „Wann war das Gespräch?“

Temme: „Irgendwann nach dem 9. Mai. Die Kalender hatte ich ja danach nicht weiter geführt, brauchte die nicht. Hatte nur wenig zu tun.“

Götzl: „Haben Sie mit Irrgang über den Aufenthalt im Internetcafe in der Holländischen Straße gesprochen?“

Temme: „Weiß nicht mehr, ob ich ihm den Ablauf beschrieben habe. Vermutlich habe ich das in der dienstlichen Erklärung gemacht.“

[5 Minuten Lücke wegen Ausfall Kugelschreiber.]

Götzl: „Mir geht es darum, was sie noch selbst erinnern.“

Temme: „Denke, ich hab mir … An solche Einzelheiten in meiner Erinnerung nicht. Ich sagte, ich bin nicht der Täter. Habe aber keine genaue Erinnerung mehr.

Götzl: „Sagt Ihnen der Name F. etwas?“

Temme: „Ja, der Leiter der Außenstelle Kassel (Anm.: vom LfV Hessen). War ein Kollege von mir.“

Götzl: „Haben Sie mit ihm über den 6. April 2006 gesprochen?“

Temme: „Ich hab F. nach dem 21. April 2006 ein Mal getroffen. Er sagte, ich solle meine Sachen abholen. Das war nach meiner Festnahme. Die Stimmung meiner Kollegen mir gegenüber war nicht besonders positiv. F. sagte, er hätte einen Termin und ist weggefahren.“

Götzl: „Können Sie dafür einen ungefähren zeitlichen Rahmen nennen?“

Temme: „Ich vermute Anfang 2007. War ja klar, dass es etwas ungeschickt wäre, die Dienststelle zu besuchen, wenn die Polizei gegen mich ermittelt.“

Götzl: „Haben Sie mit F. telefonisch über den 6. April gesprochen?“

Temme: „Soweit ich mich erinnere: Nein. Das Verhältnis war nicht mehr freundschaftlich, sondern eher etwas eisig. Es gab aber einen telefonischen Kontakt mit einem Kollegen von F. wegen dem Grillfest am Tattag.

Götzl: „War das jetzt ein Kontakt mit F., oder …“

Temme: „Ich glaube, es war der Herr G.?“

Götzl: „Der Gegenstand des Telefonats war ein Grillfest zu einem Termin der früheren Morde? Auf einem Film von dem Fest waren Sie zu sehen?“

Temme: „Ja.“

Götzl: „Gab es ein Telefonat mit F. nach dem 6. April 2006?“

Temme: „Möglicherweise hat er mich von der Arbeit aus angerufen. Das 1. Fax mit der Suspendierung hatte ich am 24. April 2006 im Briefkasten.“

Götzl: „Haben sie im Telefonat über den 06. April 2006 gesprochen?“

Temme: „Glaube nicht. Habe Wortlaut nicht mitgeschrieben. Das war wohl kurz, das Telefonat.“

Götzl: „Und Telefonate mit anderen Kollegen? Thema: Angaben bei der Polizei?“

Temme: „Nein, nicht dass ich wüsste. Denke nicht.“

Götzl: „Mal darauf angesprochen worden wegen Polizei?“

Temme: „An so eine Frage kann ich mich nicht erinnern. Denke das war jedem klar, dass sie sich rauszuhalten haben.“

Götzl kontert mit einem Vorhalt: „Dem Gericht liegt ein TKÜ-Protokoll vom 29. Mai 2006 vor. Ein Telefonat zwischen Ihnen und dem Herrn F.. Erinnerungen dazu?“

Temme: „Im Moment nicht.“

Götzl zitiert weiter: „Temme teilte mit, dass sein Sohn geboren wurde. Keine Erinnerung?“

Temme: „Kurz davor kam unser Sohn auf die Welt. Weiß nicht genau. Im Moment keine Erinnerung.“

Götzl: „Gar keine Erinnerung zum Inhalt?“

Temme: „Nein, gar keine.“

14:40 Uhr: Richter Götzl ordnet eine Pause für 10 Minuten an. Andreas Temme verlässt den Saal zur Pause. Er geht tief gebeugt, keine Spur mehr von der vermeintlichen Coolness, die er nur eine Stunde vorher noch ausstrahlte.

Um 15:05 führt Götzl die Befragung fort: „Also noch mal zu dem Telefonat vom 29. Mai 2006!“

Temme: „Ich hab in der Pause versucht, das nachzuvollziehen. Wir haben damals zur Geburt unseres Sohnes von den Kollegen eine Karte bekommen. Ich muss oder kann dazu nur sagen: Mein Leben stand völlig auf dem Kopf. Ich war Beschuldigter in einem Mordanschlag, in einer unfassbaren Mordserie. Vieles ist mir nicht mehr gegenwärtig.“

Götzl: „Sagt Ihnen der Name H. etwas?“

Temme: „Ja, vom Verfassungsschutz Hessen, war der Geheimschutzbeauftragte.“

Götzl: „Haben Sie mal mit H. gesprochen?“

Temme: „Habe zu mehreren Gelegenheiten mit H. auch in Wiesbaden gesprochen. Thema war, dass ich es nicht gewesen bin.“

Götzl bestätigt die letzte Aussage mit einem Vorhalt: „Ich bin es nicht gewesen, hatten Sie H. gesagt.“

Temme: „Ja, natürlich. Das hab ich jedem gesagt. Es lässt sich kaum ein Treffen erdenken, an dem ich das völlig ausgeblendet hätte. Ich habe versucht nachzuvollziehen, wann ich mit Vorgesetzten gesprochen habe. Ich kann nicht wiedergeben, mit wem ich was besprochen habe.“

Götzl: „Zu Herrn M? Kennen Sie den?“

Temme: „Ja, Herr G. …“

Götzl: „Ja, ich meinte den Herrn M. …“

(Zur Erklärung: Die vollen Nachnamen von Herrn M. und Herrn G. sind akustisch kaum zu unterscheiden. Deswegen kam es immer wieder zu Nachfragen, wer von den beiden gemeint ist.)

Temme: „Herr M. war mein Abteilungsleiter.“

Götzl: „Was haben Sie mit den beiden besprochen?“

Temme: „Mit G., dass ich es nicht gewesen bin. Und über das Video vom Grillfest. Mit M. auch, da nicht in …“

Götzl: „Einzelheiten der Gespräche?“

Temme: „An Einzelheiten kann ich mich nicht mehr erinnern. Aber zum Gespräch mit M. fällt mir was ein. Er hat gesagt: ‚Ich hoffe, dass Du es nicht warst.‘ Es steckte dahinter, dass wenn ich es gewesen wäre, kein Kollege mehr mit mir geredet hätte.“

Götzl: „Ja, warum ..?“

Temme: „Wenn ich es gewesen wäre, dann hätte ich von niemandem was zu erwarten gehabt. Also im menschlichen Sinne.“

Götzl: „Weiter ..!“

Temme: „Ich hatte selten den Eindruck, dass die Kollegen dachten, dass ihnen jemand gegenüber sitzt, der 9 Menschen ermordet hat. Bei G. war es anders. Der sagte dann: ‚An dem Tag warst Du auf meiner Gartenparty.'“

Götzl zitiert aus dem TKÜ-Protokoll des Telefonats vom 29. Mai 2006: „F.: ‚Hast Du denn schon von einer Reaktion gehört?‘ Temme: ‚Bisher noch nicht, der H. meinte, ein Termin bei Herrn Irrgang ist eher wahrscheinlich, wenn die Polizei zu einem Ergebnis gekommen ist.‘ Erinnerungen dazu?“

Temme: „Keine genauen Erinnerungen.“

Götzl: „Erinnerungen zu H.? Vielleicht zum Telefonat?“

Temme: „Hilft mir nicht weiter. Vielleicht nicht an H. …“

Götzl: „Ja gut. Aber die Formulierung, wo H. das mit dem Termin meint, die stammt ja wohl von Ihnen.“

Temme: „Kann mich nicht an Inhalte im Einzelnen erinnern …“

Götzl: „Irrgang? Herr F.? Erinnerung?“

Temme: „Nein? Keine Erinnerung.“

Götzl zitiert weiter aus der TKÜ: „… wie Du das beim Irrgang gemacht hast …“

Temme: „Könnte mir denken wegen meiner dienstlichen Erklärung damals. Nachvollziehen kann ich es nicht.“

Götzl: „Welche Funktion hatte der F.?“

Temme: „Leiter der Außenstelle Kassel.“

Götzl: „Und mit Ihnen?“

Temme: „Im Zuge der polizeilichen Ermittlungen? Es hat mich niemand darüber informiert. Natürlich hatte F. dieselben Unterlagen zum Staatsschutz wie ich auch. Das ging mich damals aber nichts an.“

Götzl: „Haben Sie sich mit Irrgang getroffen?“

Temme: „Muss zwangsläufig nach dem 29. Mai 2006 gewesen sein.“

Götzl: „Und nochmal: Die Formulierung von F. bezüglich Irrgang?“

Temme: „Vielleicht fühlte er sich übergangen. Ich weiß nicht, was er von mir wollte.“

Götzl: „Worauf bezieht sich F. da?“

Temme: „Kann ich nicht sagen. Vielleicht auf die Dienstliche Erklärung.“

Götzl: „Nochmals der Vorhalt aus der TKÜ: ‚… wie Du das beim Irrgang gemacht hast […] so restriktiv wie bei der Polizei, also Du hast denen alles dargestellt.‘ Erinnerung jetzt?“

Temme: „Ich hab bei der Polizei immer wieder alles gesagt.“

Götzl: „Hat es vor dem 29. Mai 2006 ein Gespräch mit Herrn Irrgang gegeben?“

Temme: „Denke eher danach. Kann ich nicht 100%ig sagen.“

Götzl: (jetzt deutlich schärfer) „Jetzt denken Sie mal nach!“

Temme: „Hab ich auch schon versucht. Auch in den letzten Monaten. Das war ja auch Thema in Berlin im Untersuchungsausschuss. Das konnte ich auch da nicht nachvollziehen. Denke, das muss später stattgefunden haben.“

Temme rutscht seit einigen Minuten immer wieder mit seinem Stuhl nach hinten und wieder zurück. Ebenfalls ein neues Verhaltensmuster.

Götzl: „Wie war Ihre E-Mail-Identität im Internetcafe?“

Temme: „wildman70“

Götzl: „Und ‚Jörg Schneeberg‘?“

Temme: „Ich hab den Namen wahllos angegeben.“

Götzl: „Und die Adresse dazu in Kassel?“

Temme: „Ja. Bruderstraße.“

Götzl: „Oder Bremer Weg?“

Temme: „Ja …“

Götzl: „Also rein fiktiv?“

Temme: „Rein fiktiv.“

Richter Götzl gibt das Fragerecht an die Bundesanwaltschaft weiter.

Fragerecht bei Bundesanwaltschaft.

StA Schmidt: „Wann waren Sie nach dem 6. April 2006 noch mal auf der Seite ‚ilove.de‘?“

Temme: „Kann ich nicht sagen. Wenn, dann muss das zwischen dem 6. und dem 21. April 2006 gewesen sein.“

StA Schmidt: „Gibt es bei ‚ilove.de‘ Zeitstempel?“

Temme: „Ich kann Ihren Gedankengang nachvollziehen. Ich weiß es aber nicht.“

Bundesanwalt Diemer hat offenbar immer noch Schwierigkeiten bei der Unterscheidung der Herren G. und M.: „Können Sie mir noch mal erklären, wer jetzt der Herr M. und der Herr G. ist?“

Temme: „Also der Herr M. ist Abteilungsleiter und der Herr G. ist pensioniert Abteilungsleiter.“

Fragerecht bei Nebenklage.

Das Fragerecht wechselt nun zu den Nebenklägern. RA Bliwier beginnt: „Es geht mir um die Zeit nach dem Mord. Genauer die Zeit zwischen dem 7. und dem 10.April 2006. Sie sagten, Informationen über den Mord waren in diesem ‚Extra-Tipp‘.“

Temme: „Richtig.“

Bliwier: „Wann sind Sie am Montag zur Dienststelle gefahren?“

Temme: „Kann ich nicht sagen.“

Bliwier: „Gar keine Erinnerung?“

Temme: „Ich kann nur sagen, wie es üblich war. Sonst habe ich keine Anknüpfungspunkte.“

Bliwier: „Aufgrund des Zeitungsartikels hatten Sie ja das Bedürfnis zu erfahren, wann Sie Dienst hatten, nehme ich an.“

Temme: „Keine Erinnerung.“

Bliwier: „Hatten Sie ein Gespräch mit der Frau E.?“

Temme: „Ich weiß das vom letzten Mal hier. An Einzelheiten habe ich keine Erinnerung.“

Bliwier: „Hatten Sie außer aus dem ‚Extra-Tipp‘ Informationen aus den Medien?“

Temme: „Weiß nicht mehr …“

Im Saal ist aus allen Richtungen tiefes Seufzen zu vernehmen.

Bliwier: „Sie sagten, dass auf Ihrer Dienststelle die HNA (Anm.:

Hessische/Niedersächsische Allgemeine) ausliegt.“

Temme: „Ja.“

Bliwier: „Und? Reingeschaut in die HNA?“

Temme: „Kann sein. Aber das wäre spekulativ.“

Bliwier: „Ich habe hier einen Aktenvermerk von KOK T.. Demnach hatten Sie ein Gespräch mit der Frau E. mit dem Thema, ob Sie das Opfer kennen würden und ob es einen dienstlichen Bezug mit dem LfV Hessen gäbe. Haben Sie dazu eine Erinnerung?“

Temme: „Nein. Das hatten wir ja schon im Dezember hier.“

Bliwier: „Nach dem Aktenvermerk haben Sie Frau E. gesagt, das Internetcafe nicht zu kennen.“

Temme: „Das war nicht korrekt …“

Bliwier: „Also doch Erinnerungen?“

Wieder wurde Temme ertappt, dass er unwahr aussagte.

Bliwier: „Sie hatten vorher über Ihre Gefühlslage am Wochenende berichtet. Und dann frage ich Sie zum Montag. Wie kann das sein, dass Sie an diesen Tag keine Erinnerungen haben.

Temme: (schwimmt, deutlich in die Enge getrieben) „Keine Erinnerung.“

Bliwier: „Und zu Hintergründen zur Tat? Stichwort: ‚Regionaler Bezug‘?“

Temme: „Kann ich nichts Konkretes dazu sagen.“

Bliwier mit einem weiteren Vorhalt: „Und dazu eine Erinnerung? ‚Waffe bei mehreren Taten im Bundesgebiet eingesetzt‘.“

Temme: „Keine Erinnerung.“

Bliwier: „Hatten Sie das erfahren?“

Temme: „Kann sein …“

Bliwier: (jetzt mit deutlicher Schärfe) „Wie erfahren?“

Temme: (kaum hörbar) „Nein …“

Bliwier: „Sie konnten das mit der gleichen Waffe also so rekonstruieren?“

Temme: „Ja … Irgendwie …“

Bliwier: (jetzt sehr scharf) „War das eine Schlussfolgerung von Ihnen? Ich frage noch mal. Es geht um die gleiche Waffe, die bei mehreren Taten eingesetzt wurde. Hatten Sie Informationen oder war es eine Schlussfolgerung?“

Temme: „Ich denke, ich hab die Information irgendwie bekommen.“

Bliwier: „Ist es möglich, dass im ‚Extra-Tipp‘ bereits was von der Waffe stand?“

Temme: „Keine Erinnerung dazu …“

Bliwier: (noch schärfer) „Also ich kann Sie aufklären. Im ‚Extra-Tipp‘ stand nichts von der Waffe.“

Temme: „Wenn es da nicht drin stand, dann konnte ich es …“

Bliwier: „Diesen Vorhalt aus eigener Recherche muss ich jetzt einfach mal so machen.“

Allgemeines Schmunzeln im Saal.

Bliwier: „Die ‚HNA‘ hat am Montag nicht über den Mord an Yozgat berichtet. Ich erwarte jetzt endlich eine Konkretisierung Ihrer Informationen. Können Sie das?“

Temme: „Nein.“

Bliwier: „Die erste Information über die Waffe erschien bei ‚Spiegel Online‘ am Montag um 16:40 Uhr. Verstehen Sie jetzt, warum ich wissen will, wann Sie am Montag im Amt waren? Verstehen Sie mich? Ich will Ihnen gerne helfen, Herr Temme!“

Gelächter im Saal.

Temme: „Nein.“

Bliwier: (fassungslos) „Wenn Sie am Montag früh im Amt waren und mit Frau E. über die Waffe sprachen, dann können Sie die Information nicht aus den Medien haben.“

Temme: (verzweifelt) „Ich weiß nicht, wann, wo und wie …“

Bliwier: „Falls wir feststellen, dass Sie am Montag mit Frau E. über die Waffe sprachen, dann haben Sie ein Problem. Das verstehen Sie?“

Temme: „Ja.“

Bliwier: „Sie bleiben dabei? Information aus Zeitung oder Internet.“

Temme: (laut, aggressiv) „Oder eben aus Gesprächen. Ich habe nicht gesagt, dass ich es aus der Zeitung oder dem Internet habe, wenn Sie die Dinge hier verdrehen!“

Hier zeigt Temme zum 1. Mal nach zig Stunden Vernehmung Nerven. Er wird laut und gestikuliert.

Bliwier: „Ich verstehe, dass Sie jetzt aufgeregt sind. Deswegen lasse ich diese Unverschämtheit von Ihnen mal beiseite.“

Götzl mischt sich ein: „Das ist das Problem, wenn hier Vorhalte gemacht werden, die nicht korrekt sind.“

Bliwier: „Ich hätte mir gewünscht, dass Sie eher mich unterstützen als Herrn Temme.“

Temme: „Darf ich auch was sagen..?“

Gelächter

Götzl: (genervt, scharf) „Zu was?“

Temme: „Ich hab aus Medien erfahren, was RA Bliwier von sich gibt. Da kann man sich schon mal ereifern.“

Götzl: „Jetzt bleiben Sie mal sachlich! Sie sind hier verpflichtet, die Wahrheit zu sagen. Das hatten wir schon mal erörtert.“

Temme: (kleinlaut) „Ja, das ist mir bewusst …“

Bliwier: „Sie haben doch gerade Internet und Zeitungen ausgeschlossen. Dafür bringen sie jetzt Gespräche mit der Polizei vor. Das ist ein enges Zeitfenster von Sonntag bis Montag. Falls Sie mit Frau E. am Montag über die Waffe gesprochen haben – so steht es jedenfalls in den Akten – dann können Sie ja vorher keine Gespräche mit Ermittlern geführt haben.“

Temme: (wieder laut, aggressiv) „Sie haben mir doch vorgehalten, dass ich am Montag bei der Polizei war!“

Bliwier: (sehr scharf, zunehmend laut) „Ja. Nach dem Gespräch mit Frau E. Sie haben laut Aktenvermerk gesagt, Sie würden das Opfer nicht kennen, wenn wir hier schon bei Befindlichkeiten sind. Sie haben die Unwahrheit gesagt!“

Daraufhin kommt es zu tumultartigen Szenen. Die Zschäpe-Verteidiger RA Stahl und RAin Sturm melden sich gleichzeitig und lautstark zu Wort.

RA Stahl setzt sich durch: „Herr Vorsitzender!. Ich beanstande das. Das ist eine Erklärung von Bliwier!“

Bliwier: (cool, süffisant) „Ja ja, ist ja schon vorbei … Herr Temme, mit welchen Beamten haben Sie vor dem Gespräch mit Frau E. gesprochen ..?

RAin Sturm interveniert sofort: „Ich beanstande …“

Götzl unterbricht und springt Sturm bei: „Ich muss diese Frage beanstanden. Herr Temme hat davon nichts gesagt. Sie, Herr Bliwier haben das mit Ihrer Frage eingeführt.“

Bliwier: (unbeeindruckt) Herr Temme, haben Sie an diesem Montag …“

Wieder interveniert RAin Sturm: „Ich beanstande auch das. RA Bliwier hakt wieder nach, obwohl Herr Temme bereits gesagt hat, dass er dazu keine Erinnerung hat.“

Bliwier: (cool, amüsiert) „Ich finde es schon erstaunlich, dass die Verteidigung genau zu diesem Punkt und nach 75 Prozesstagen mal eine Aktivität entfaltet.“

Lautstarke, verärgerte Zwischenrufe aus den Reihen der Verteidigung.

Bliwier: (unbeeindruckt) „Ich habe das nicht zur Sprache gebracht, sondern der Zeuge hier. Herr Temme, Sie selbst haben gesagt, dass Informationen zur Waffe auch von anderen Personen gekommen sein könnten.“

Temme: „Weiß nicht. Ich hab das so nie gesagt. Denkbar eventuell bei der Polizei, aber das wäre Spekulation.“

Bliwier: „Denkbar? Das müssen Sie mir erklären.“

Temme: „Ich weiß nicht, was ‚denkbar‘ ist. Das hilft mir auch nicht weiter. Es kann sein, dass ich beim ‚ZK 10‘ (Anm.: Zentrale Kriminalinspektion 10 Hessen. Zuständigkeit für Staatsschutz, Sprengstoffdelikte) verschiedenen Personen begegnet bin und dort was aufgeschnappt habe. Von wem und wann, das weiß ich nicht mehr.“

Bliwier: „Die Information war am Montag um 16:40 Uhr öffentlich.“

Götzl: (laut, scharf) „Herr Rechtsanwalt! Sie haben diesen Vorhalt bereits gemacht und als Ihre eigene Recherche bezeichnet. Das steht nicht fest, nur weil Sie es als Vorhalt verwenden. Dann stellen Sie halt einen Beweisantrag. Jetzt tun Sie doch nicht so, als ob Sie nicht wissen würden, wie das geht. Ich will aber niemanden unterbrechen …“

Gelächter im Saal.

Bliwier: (cool, völlig unbeeindruckt) „Herr Vorsitzender. Dann möchte ich doch gerne, dass Sie mich nicht unterbrechen. Ich weiß nämlich, wie das geht.“

Götzl: (gereizt) „Jetzt machen Sie mir Vorwürfe. Das kann ich gar nicht haben. Deswegen machen wir jetzt 10 Minuten Pause. Punkt!“

Es ist 15:55 Uhr. Die weitere Vernehmung scheint noch interessant zu werden. Offenbar hat sich Richter Götzl während der Pause beraten lassen und hat einen Beruhigungstee getrunken. Die weitere Verhandlung beginnt um 16:07 Uhr ungewöhnlich pünktlich und anders als gedacht.

Götzl: „Also, die Fragen von Herrn RA Bliwier haben schon ihre Berechtigung. Wir müssen das jetzt ruhig und sachlich voranbringen.“

Ungläubiges Staunen überall.

Götzl: (an Temme gerichtet) „Da sollten Sie sich mal anstrengen.“

Bliwier: „War dieser Montag schon mal Thema einer Vernehmung?“

Temme: „Ja.“

Bliwier: „Ich meinte den Montag, den 10. April 2006. Gespräch mit Herrn F, der Frau E. mit den Themen Relevanz für den LfV Hessen und Internetcafe. Erinnerungen dazu?“

Temme: „Nein.“

Bliwier mit einem Vorhalt: „Ich zitiere: ‚Am Montag Nachmittag war ich beim ZK 10 bei Herrn M.‘ Erinnerungen?“

Temme: „Ich hab da kein konkretes Bild dazu, keine konkreten Erinnerungen.“

Bliwier jetzt mit einem Vorhalt aus dem TKÜ-Protokoll: „Ich lese Ihnen das einfach mal vor: ‚Finden die denn was?‘ ‚Ja was jetzt dabei herauskommen muss, wenn die die Termine und das alles abgleichen, ja.‘ Irgendwelche Erinnerungen dazu? Das Gespräch war immerhin 9 Minuten lang.“

Temme: „Nein.“

Bliwier zitiert ungerührt weiter aus dem TKÜ-Protokoll: „Also dann eben weiter: ‚Es geht ja nicht um mich, es geht nicht um alle, es geht um die Kasseler Problematik. Und in der Kassler Problematik sitzt Du ja ein bisschen drin, ne?‘ Und? Kommt da was?“

Temme: „Ich kann mit der Äußerung nichts anfangen. Vielleicht ist es was mit Herrn F.?“

Bliwier: „Also ‚Kasseler Problematik“ sagt Ihnen nichts?“

Temme: „Nein. Kann alles Mögliche sein. Es kann um die Morde (sic! Plural!) gehen, oder um die Außenstelle, ich weiß es nicht.“

Bliwier: „Und dazu? ‚Und so wie mir der H. erzählt hat […] bei der Hausdurchsuchung hier hast du ja vieles zugegeben und das ist ja jetzt das Problem …‘ Erinnerung?“

Temme: „Nein.“

Bliwier: „Also weiter.“ ‚Es fehlt eine Minute, hat er mir gesagt. Eine Minute und diese Minute ist das ganze Problem.‘ Und?“

Temme: „Ich nehme an, dass H. das kurze Zeitfenster angesprochen hat.“

Bliwier: „Ich kann mich nicht in den Herrn H. von der Kripo versetzen. Es gibt noch mehrere Gespräche mit Herrn F., wo über diesen Sachverhalt gesprochen wird. Erinnerungen?“

Temme: „Wenn ich mich an ein Telefonat nicht erinnere, dann kann ich auch nicht ausschließen, ob es möglicherweise auch andere gab.“

Bliwier: „Tja, das ist eben der Vorteil einer TKÜ. Weil, man kann diese Gespräche anhören. Sie bleiben also dabei? Ich erinnere Sie nochmals ausdrücklich: Unter Wahrheitspflicht! Sie bleiben also wirklich dabei: Keine Erinnerung an Telefonat?“

Temme: „Ja.“

Bliwier: „Scheint so zu sein … Woher wissen Sie eigentlich von der TKÜ?“

Temme: „Vielleicht über Medien, jedenfalls nicht persönlich. Vielleicht auch über Anwalt, als ich mir den genommen hatte.“

Bliwier: „Es gab ja auch ein Telefonat mit Frau P., die froh war, dass Sie sich einen Anwalt genommen haben.“

Temme: „Dazu habe ich keine Information bekommen.“

Bliwier: „Haben Sie denn Ihrem Rechtsanwalt eine Schilderung des Sachverhalts aus ihrer Sicht gegeben?

Temme: „Vermutlich.“

Bliwier: „Vermutlich? Oder wissen Sie es?“

Temme: „Ein Anwalt wird wohl nachfragen, wenn es um Mordverdacht geht. Sonst hab ich keine konkreten Erinnerungen dazu.“

Bliwier: „Was haben Sie mit dem Rechtsanwalt besprochen?“

Temme: „Keine Ahnung. Mein Leben stand damals auf dem Kopf.“

Bliwier: „Keine Erinnerungen..?“

Temme: „Ich weiß, dass ich hingefahren bin. Zum Gespräch habe ich keine Erinnerung.“

Bliwier: „Hat sich denn der Rechtsanwalt Notizen gemacht?“

Temme: „Ich weiß nicht.“

Bliwier: „Und der Name des Anwalts?“

Temme: (an Götzl) „Ist das ein Problem mit dem Innenverhältnis zum Anwalt?“

Götzl: „Nein, die Frage nach dem Namen ist zulässig.“

Temme: „Rechtsanwalt P..“

Bliwier: „Entbinden Sie ihn von der Schweigepflicht?“

Temme: „Ja .., nein .., ich weiß nicht …“

Götzl klärt Temme geduldig über eine Entbindung von der Schweigepflicht auf.

Temme: „Muss ich das jetzt entscheiden? Ich persönlich hab kein Problem, kann ich das auch später ..? Schriftlich vielleicht ..?

Götzl: (jetzt fürsorglich, väterlich) „Geht auch später, auch schriftlich.“

Temme: „Und vielleicht kann ich das mit dem Rechtsanwalt noch besprechen ..? Dass das jetzt geht, war mir nicht bekannt.“

Bliwier: „Haben Sie sich auf Ihre Vernehmung hier als Zeuge konkret vorbereitet?“

Temme: „Ich hab mich natürlich damit beschäftigt. War ja im Untersuchungsausschuss des Bundestages. Ich hab es versucht.“

Die oben stehende Aussage ist extrem verkürzt dargestellt. Temme kommt nach Bliwiers Frage ins schwurbeln, er redet viel Zusammenhangloses.

Bliwier: „Meine Frage war eigentlich konkreter gestellt. Haben Sie Ermittlungsakten vorliegen?“

Temme: „Nein, ich hab keine.“

Bliwier: „Haben Sie irgendeine Ermittlungsakte eingesehen?“

Temme: „Außer der Abschrift vom NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages nichts. Der Rat von meinem Rechtsanwalt war, die Polizei weitermachen zu lassen, damit die Polizei zu ihren Spuren kommt. Ich glaube auch, dass der Anwalt keine Akteneinsicht hatte.“

Bliwier: „Also ich stelle fest: Nur einige Unterlagen Bundestagsuntersuchungsausschuss …“

Temme: (schwurbelt wortreich) „Ja.“

Bliwier: „Hatten Sie zur Vorbereitung hier Kontakte zum VS Hessen?“

Temme: „Nein. Nur wegen der Aussagegenehmigung. Der persönliche Berater wusste nicht mal mehr meine Adresse. Soviel zu meinen Kontakten.“

Bliwier: „Sonst keinen Kontakt?“

Temme: „Nein.“

Bliwier: „Sonst irgendwelche Kontakte? Zum Bundesamt für Verfassungsschutz vielleicht? Ermittlungsbehörden?“

Temme: „Nein.“

Bliwier: „Mit anderen Personen vorbereitet? Zum Beispiel mit Ermittlungsbehörden anderer Art?“

Temme: „Nein. Nur im familiären Bereich. Nicht mit offiziellen Stellen. Nur wegen der Aussagegenehmigung eben Kontakt zum VS, der war aber nicht tiefer gewesen.“

Als nächster Anwalt der Nebenklage ist um 16:30 Uhr RA Kienzle an der Reihe. Der bittet um eine Pause bis 16:45 Uhr. Richter Götzl genehmigt dies.

Andreas Temme ist durch die Fragen von RA Bliwier merklich in die Enge getrieben worden. Sein Verhalten während der Pause ist deutlich nervöser als bei allen anderen Vernehmungen.

Die Pause endet um 16:50 Uhr. RA Kienzle beginnt mit seiner Befragung: „Zu Ihrer Dienstlichen Erklärung vom 9. Mai 2006: Können Sie mir da die näheren Umstände schildern, wie es dazu kam?“

Temme: „Jedenfalls hab ich keine Erinnerungen an Telefonate diesbezüglich.“

Kienzle: „Was haben Sie aus der Presse von Telefonaten in Erinnerung?“

Temme: „So dicht wie möglich an der Wahrheit bleiben.“

Kienzle: „Haben Sie das auch in Verbindung mit dem Verfassungsschutz gesagt?“

Temme: „Keine Erinnerung. Ist aber möglich, dass so ein Satz gefallen ist, was für mich aber keine Bedeutung hatte. Ich wollte nicht so nah wie möglich an der Wahrheit bleiben, sondern die Wahrheit sagen.“

Kienzle macht einen Vorhalt aus dem TKÜ-Protokoll vom 9. Mai 2006: ‚ … so nah wie möglich an der Wahrheit bleiben …‘ „Erinnerungen dazu?“

Temme: „Nein. Gab noch ein Interview mit KHK W. …“

Kienzle mit einem weiteren Vorhalt: ‚H. stellt fest, Temme wisse was vom Mord …‘ „Erinnerungen?“

Temme: „Nein.“

Zschäpe spricht! (beinahe)

Unvermittelt wendet sich Götzl der Hauptangeklagte Beate Zschäpe zu und spricht sie direkt an: „Bauen sie ab, Frau Zschäpe? Da Sie öfters die Augen schließen, muss ich Sie dies fragen.“

Zschäpe erwidert Götzl im direkten Gespräch. Leider ohne Mikrofon, deshalb muss die Öffentlichkeit weiter auf den ersten Satz der Hauptangeklagten im NSU-Prozess warten.

Götzl: (väterlich, beinahe fürsorglich)  „Wir werden heute nicht mehr allzu lange machen.“

Kienzle gibt sich mit der chronischen Gedächtnisschwäche des Andreas Temme nicht zufrieden und hakt – sichtlich unbeeindruckt ob der Sorgen Götzls zu Zschäpes Befindlichkeiten – nach.

Temme: „Wenn H. meint: ’nah an der Wahrheit‘, dann schreibe ich die Wahrheit.“

Kienzle: „Ganz konkret: Woran erinnern Sie sich beim Abfassen der Dienstlichen Erklärung?“

Temme: „Ich habe mich beim Abfassen an die Wahrheit gehalten.“

Kienzle: „Und die Tatrekonstruktion? Der Besuch mit der Polizei im Internetcafe?“

Temme: „Das waren etwa 4 bis 6 Polizisten. Denke es wurde auch ein Video davon gemacht.“

Kienzle: „Denke es wurde ein Video ..?“

Temme: „Ich habe einen Polizisten mit Videokamera gesehen. Ich weiß nicht, was er damit gemacht hat.“

Kienzle: „Und das Interview mit dem Fernsehen?“

Temme: „Konkreter, bitte?“

Kienzle: „Sagen Sie spontan was dazu!“

Temme: „Das Nachrichtenmagazin ist auf uns zu gekommen. Es gab eine gewisse Zeit schriftlichen Kontakt. Wir haben mit dem Nachrichtenmagazin besprochen, was die sich genau vorstellen. Wir hatten bis dahin keine guten Erfahrungen mit den Medien gemacht. Es gab dann Film- und Tonaufnahmen.“

Kienzle: „Das sind dazu Ihre Erinnerungen ..?“

Temme: „Ging über 2 Tage …“

Kienzle: „Von Anfang an. Ab ‚kamen auf uns zu‘, bitte.“

Temme: „Meine Familie …“

Kienzle: „Ab ’schriftlichen Kontakt‘ …“

Temme: (laut, aggressiv, empört) „Darf ich? Darf ich fragen, was das hier mit dem Fall zu tun hat?

Kienzle: „Vielleicht wegen der Aussagegenehmigung?“

Temme: „Es ging nur darum, was mit uns passiert ist. Deswegen dazu keine Genehmigung nötig. Im Interview hat es auch eine Frage zur Quelle gegeben, die hier auch schon vernommen wurde. Ich habe dazu aber im Interview nichts gesagt. Ich hab von vornherein klargestellt, dass es keinen dienstlichen Bezug geben wird.“

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Link zum Video >> Panorama  Nr.755 vom 05.07.2012 „Nazi-Mord: Warum ein Verfassungsschützer am Tatort war“ (Minute 07:40 bis 08:15) 

Transkript:

OFF: Andreas T. ist kein Nazi. Aber der Zufall will, dass alles mit allem zusammen zu passen scheint. Kurz bevor er sich am Tag des Mordes auf den Weg ins Internetcafé macht, telefoniert er ausgerechnet mit seinem V-Mann aus der Nazi-Szene. Ist das nicht die Verbindung zum Terror-Trio? Oder Zufall?

O-Ton Andreas T.: Es ist ja so, dass ich über meine dienstlichen Dinge nichts sagen kann, auch wenn mir das sehr helfen würde in meiner Situation. Aber es – ich habe keine Verbindungen nach Thüringen. Es gibt gar nichts, was mich mit dieser Sache verbinden würde.“ 

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Kienzle: „Sehen Sie! Hier erinnern Sie sich sehr gut an die Quelle. Was war der Hintergrund?

Temme: „Ich hab mit KHK W. meine Kalender angeguckt …“

Kienzle: „Sie meinten das ’12-Minuten-Telefonat‘ mit der Quelle?

Temme: „Vielleicht. Eben das, wo er sein Geld von mir haben wollte.“

Kienzle: „Wie regelmäßig haben Sie das Internetcafe in Kassel besucht?“

Götzl interveniert scharf: „Das wurde schon gefragt. Und zwar von mir!“

Kienzle: (genervt) „Dann bitte ich um eine kurze Unterbrechung!“

Götzl: (laut, scharf) „Sehen Sie, wir haben Herrn Temme schon vorher vernommen. Bereiten Sie sich bitte besser vor!“

Kienzle: „Herr Vorsitzender: Sie haben Herrn Temme drei Tage befragt und wollen mir jetzt keinen …“

Götzl unterbricht RA Kienzle und beendet den heutigen Verhandlungstag plötzlich, unerwartet und ohne erkennbare Notwendigkeit um 17:10 Uhr. Auch die vorherige Vernehmung am 63. Prozesstag, den 3. Dezember 2013 wurde von Götzl derart abrupt abgebrochen. Ein Verhalten, das der Vorsitzende Richter Götzl bisher ausschließlich bei den Vernehmungen des Ex-Verfassungsschützers und Ex-V-Mann-Führers Andreas Temme gezeigt hat.

Götzl gib Temme zum Abschied noch den Rat, sich über die Entbindung der Schweigepflicht seines Rechtsanwalts Gedanken zu machen.

RA Bliwier findet gerade noch die Zeit anzumerken, dass es sich empfehle, auch Herrn Irrgang, Herrn F. und Frau E. vorzuladen.

Andreas Temme wird nach bisherigem Kenntnisstand am 12. März 2014 wieder vorgeladen. Herr Irrgang, Herr F. und Frau E. werden am 11. und 12. März 2013 aussagen.

Mit ausdrücklichem Dank an Christiane und Stefan für die Unterstützung!

NSU-Prozesstag 47: BKA-Style – Asservatauswertung ohne Asservate.

Bei dieser Zeugenvernehmung geht es vor allem um Bargeld, das mit hoher Wahrscheinlichkeit aus Banküberfällen stammt. Die Banküberfälle sollen nach dem heutigen, offiziellen Ermittlungsstand von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos begangen worden sein.

Richter Götzl beginnt die Vernehmung der Polizeibeamtin Q. (KHK im BKA Wiesbaden) mit Fragen zu diversen Bargeldfunden, die im Brandschutt der ehemaligen Wohnung von Beate Zschäpe in der Zwickauer Frühlingsstraße aufgefunden worden sind.

Eine fachkundige Zeugin – scheinbar.

Hier besticht die Zeugin noch mit Sach- und Fachkunde. Sie kann jede Frage Götzls zufriedenstellend beantworten. So war es für Frau Q. kein Problem aus dem Stegreif lediglich anhand der genannten Bargeldsumme auch den dazu gehörigen Bankraub zu nennen.

Wirklich neue Erkenntnisse brachte die Vernehmung nicht ans Licht. Lediglich die erneute Bestätigung der seltsamen Auffindeorte des erbeuteten Bargelds und der Umstand, dass Geldbündel mit der Originalbanderole der überfallenen Banken teils auch aus weit zurückliegenden Banküberfällen sowohl in Zschäpes Wohnung als auch im Wohnmobil gefunden wurden, in dem sich Böhnhardt und Mundlos unter höchst merkwürdigen Umständen gegenseitig erschossen haben sollen, weckte abermals Misstrauen.

Achtung! Anleitung: Bankraub für Anfänger

Wäre ich ein angehender, unerfahrener Hobbybankräuber, dann würde ich zumindest als allererstes die Banderolen, mit denen die Geldbündel von den überfallenen Banken eingepackt wurden, entfernen. Als Krimi-Zuschauer wüsste ich vielleicht auch noch, dass die Seriennummern der Banknoten eventuell registriert sein könnten, und würde dementsprechend danach handeln.

In einer früheren Vernehmung zum Thema Banküberfälle habe ich erfahren, dass einige Banken in den Geldbündeln wohl präparierte Geldscheine verstecken. Diese Geldscheine sind durch einen Stempelaufdruck mit Name und Anschrift der entsprechenden Bank verziert. Das war mir neu. Damals war auch die einhellige Meinung auf der Presse- und Besuchertribüne, dass man sich heutzutage nicht mal mehr als Bankräuber auf die Ehrlichkeit der Geldinstitute verlassen kann.

Aber Geldbündel mit Banderolen der überfallenen Banken im Brandschutt der Wohnung und in den Überresten des ausgebrannten Wohnmobils? Das ist so unglaublich oder so extrem unwahrscheinlich, dass es schon beinahe wieder wahr sein könnte. Deswegen der kurze Ausflug im Sinne von „Bank robbery for Dummies“.

Unendlich viele Banküberfälle

Die Vernehmung schleppt sich derweil hin. Akribisch listet Richter Götzl Geldfund nach Geldfund und den dazugehörigen Banküberfall auf. Götzl macht der Zeugin dazu einen Vorhalt aus früheren Vernehmungen nach dem anderen. Die Zeugin bestätigt jeden Vorhalt prompt und ohne lange nachzudenken. Sie hat sich auf diese Fragen offenbar sehr gut vorbereitet.

Nach einer gefühlten Ewigkeit kommt dann doch unerwartet Würze in dieses Schauspiel. Aber nur kurz.

Es fehlen 5.- Euro!

Mit einem weiteren Vorhalt will Götzl von der Zeugin wissen, ob in dem Geldfund, der ausgerechnet aus dem letzten Bankraub in Eisenach am 04. November 2011 stammt, tatsächlich 5.- Euro fehlen würden.

Auch diesen Vorhalt bestätigt die Zeugin Ruck-Zuck als richtig.

Vielleicht hat sich einer der beiden Uwes nach dem Bankraub eine Schachtel Zigaretten gekauft? Im Gegensatz zu allen anderen Geldfunden handelt es sich hier um den Einzigen, auf den mit allergrößter Wahrscheinlichkeit lediglich Böhnhardt und Mundlos Zugriff hatten. Um 09:30 Uhr wurde die Sparkassenfiliale in Eisenach von den Beiden überfallen. Zwei Stunden später waren Böhnhardt und Mundlos bereits nicht mehr am Leben. Was immer in diesen 2 Stunden passiert sein mag: Offensichtlich war es nicht mehr möglich, die fehlenden 5 Euro wieder zurück zur Beute zu legen. Wer auch immer dafür womöglich zuständig war, Fehlbeträge im erbeuteten Geld wieder auszugleichen, hatte es definitiv nicht mehr geschafft.

Diese Fragen wurden leider nicht gestellt.

Anschließend läuft die Vernehmung wieder wie gehabt, allerdings assoziiert mit einer scheinbar plötzlich eingetretenen Gedächtnisschwäche der Zeugin.

Eine plötzliche Gedächtnisschwäche.

Götzl will nun auch die dazugehörigen Auffindeorte der Beutestücke von der Zeugin wissen. Er fragt, sie antwortet stets, dass sie an die Auffindeorte der meisten Geldasservate keine Erinnerung mehr habe. Auch nach Götzls Vorhalten aus alten Vernehmungen beantwortet die Zeugin meist folgendermaßen: „Nicht mehr erinnerlich.“ „Keine Erinnerung.“

Der Vorsitzende Richter Götzl reagiert wegen der plötzlich von der vor Kurzem noch alles Wissenden zur sich als komplett unwissenden gewandelten Zeugin zunehmend genervt.

Götzl: „Was war eigentlich Ihr genauer Auftrag?“

Q.: „Ich hatte den Auftrag die Bargeldbeträge zusammenzuführen.“

Götzl: „Welche Quellen standen Ihnen da zur Verfügung?“

Q.: „Wie meinen Sie das?“

Götzl: „Ja, wo konnten Sie nachsehen? Quellen eben.“

Q.: „Eben alle zugänglichen Quellen. Elektronische Quellen, Berichte, usw.“

Götzl hakt nicht weiter nach. Und wechselt das Thema auf andere Asservate: Die Mountainbikes. Hier erinnert sich die Zeugin wieder schnell: Ein Mal Marke Scott, ein Mal Marke GT. Sie verweist sogleich auf die Vernehmung des Fahrradhändlers.

Schwarzpulver in tadellosem Zustand. Nach der Explosion in Zschäpes Wohnung!

Die nächste Frage Götzls zielt auf das Schwarzpulver, das in der explodierten Wohnung von Zschäpe sichergestellt wurde. Auch hier kann sich die Zeugin spontan und ohne Umschweife daran erinnern, dass in der Wohnung 2.500 Gramm Schwarzpulver gefunden wurden. Ein weiter Teil des gleichen Pulvers wurde im Wohnmobil sichergestellt.

Bemerkenswert, dass sich 2,5 Kilogramm Schwarzpulver in einer kurz vorher explodierten und völlig ausgebrannten Wohnung in einem unbeschädigten Glas mit Schraubverschluss befinden.

Weiter geht es mit den nächsten Asservaten. Götzl fragt, Zeugin kann sich nicht erinnern, Götzl macht Vorhalt, Zeugin bestätigt. Es wird nun überdeutlich, dass die Zeugin Q. definitiv nichts selbst ermittelt hat. Die Befragung entwickelt sich immer mehr zur Farce, auf der Presseseite der Tribüne verstummen die Tippgeräusche. Es ist klar: Hier wird es keine neuen Erkenntnisse mehr geben.

Die Unterschrift von André E.

André E. verlässt das OLG München. Foto: J. Pohl
André E. verlässt das OLG München. Foto: J. Pohl

Die Zeugin wird zum Richtertisch gebeten, es geht um die Unterschrift auf der Auftragsbestätigung für eines der angemieteten Wohnmobile. Die Auftragsbestätigung wird – wie üblich – für alle sichtbar an die Wand projiziert. Auf Nachfrage Götzls bestätigt die Zeugin Q., dass André E. diesen Vertrag unterschrieben hat. Der Mitangeklagte E. reagiert darauf in keiner erkennbaren Weise.

Die Demontage der Zeugin beginnt…

Ein Anwalt der Nebenklage will nach Götzls Befragung wissen, ob die Kleidung von Zschäpe untersucht wurde. Die seltsame Antwort der Zeugin: „Nur geringe Teile.“

NK hakt nach: „Und die Kleidung als Zschäpe festgenommen wurde?“

Q.: „Kann durchaus sein.“

Nochmals wird überdeutlich klar, dass die Polizeibeamtin absolut nichts selbst ermittelt hat.

RA Anja Sturm
Zschäpe-Verteidigerin RA Anja Sturm – Foto: J. Pohl

Zschäpe-Verteidigerin RAin Sturm meldet sich mit einem Vorhalt zu einem der Banküberfälle in Chemnitz zu Wort: Ob denn bei diesen Geldscheinen eine nähere Abklärung stattgefunden hätte?

Q.: „Nein, keine Abklärung gemacht.“

RAin Sturm: „Nichts erinnerlich?“

Q.: „Nein.“

„Was haben Sie eigentlich gemacht?“

Mit RA Stahl meldet sich der nächste Zschäpe-Verteidiger zu Wort: „Was haben Sie eigentlich gemacht?“

Q.: „Die Auswertung der Asservate.“

RA Stahl: „Aha..?“

Q.: „Ich habe die Asservate nur anhand von Fotos untersucht.“

Zschäpe Verteiger RA Stahl. Foto: J.Pohl
Zschäpe Verteiger RA Stahl. Foto: J.Pohl

– Kopfschütteln auf allen Kanälen –

RA Stahl: „Sie mussten also auf Kollegen bei der Auswertung zurückgreifen?“

Die Vollendung der Demontage: Unwürdig aber notwendig.

Wohlleben-Verteidiger RA Klemke ergreift das Wort: „Haben Sie sich an der Sicherung der Asservate beteiligt?“

Q.: „Nein. Hatte nur Fotos.“

RA Klemke: „Haben Sie sich mal darüber Gedanken gemacht, warum Böhnhardt und Mundlos die Beute monatelang mit Banderolen …“ Götzl unterbricht und beanstandet die Frage.

Auch die Bundesanwaltschaft in Person von Oberstaatsanwalt Jochen Weingarten beanstandet die Frage.

RA Klemke versucht es noch einmal: „Sie haben sich Gedanken gemacht?“

Q.: „Ja. Hatte aber keine Antwort darauf.“

RA Klemke: „Das dachte ich mir.“

Gelächter im Saal.

RA Klemke: „Das Schwarzpulver in der Frühlingsstraße 26? War das kommerziell hergestellt?“

Q.: „Das muss im Gutachten stehen.“

RA Klemke: „Sie haben das also einfach übernommen?“

Q.: „Ich hatte meine Quellen.“

RA Klemke: „Welche Quellen für das Schwarzpulver?“

Q.: „Frei zugängliche Quellen eben.“

RA Klemke: „Welche?“

Q.: Ja eben frei zugängliche Quellen. Im Internet…“

RA Klemke: „Diese Quellen haben Sie sicher überprüft?“

Q.: „Wenn, dann der Techniker.“

RA Klemke: „Also eher nicht überprüft. Wie viele Quellen?“

Q.: „Weiß ich nicht.“

Nachdem Klemke die Kompetenz der Polizeibeamtin in Sachen Auswertung von Asservaten in Rekordzeit komplett demontiert hat, beendet Richter Götzl dieses unwürdige Schauspiel und entlässt die Zeugin. Fragen an sie hatte keiner mehr.

11.11.2011- Die Aktenvernichtung im Bundesamt für Verfassungsschutz – Schritt für Schritt

Die Lektüre des Abschlussberichts des NSU-Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages fördert immer wieder wahre Goldschätze zu Tage.

Eine wirre Geschichte, die bei jedem Verlag mit den Begründungen „völliger Unsinn“, „nicht glaubhaft“, „unmöglich“ oder „Verschwörungstheorie“ sofort im Papierkorb gelandet wäre. Und doch: Diese Story ist wahr und zwar bis zum letzten Komma. Der Stoff bietet eine perfekte Grundlage für einen packenden Agententhriller, je nach Blickwinkel auch eine Steilvorlage für eine tragische Komödie. Als Satire eignet sich diese Geschichte nicht. Dem Publikum würde jeder Lacher wegen den unglaublichen Ereignissen, deren Auswirkungen heute nicht mal ansatzweise abzuschätzen sind, im Halse stecken bleiben.

THE CAST:

Starring:
Lothar Lingen. Der Referatsleiter im BfV.

Co-Starring:
Die Zeugin N.: Bürosachbearbeiterin im Referat von Lothar Lingen.

Featuring:
Der Sachbearbeiter B.: Mitarbeiter im Referat von Lothar Lingen.

Narrator:
Ministerialdirigent Hans-Georg Engelke. Der Sonderbeauftragte des Bundesinnenministeriums.

Special Appearance:
Der Gruppenleiter 2B im BfV mit dem geheimen Namen.

Directed by:
Bundesinnenminister Dr. Hans Peter Friedrich

Produced by:
Heinz Fromm. Ehemaliger Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz.

Special Thanks Goes To:
Regierungsparteien von 1950 bis heute.

Ausschnitt aus der Festrede des damaligen Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz Heinz Fromm anlässlich des Festaktes am 06. Dezember 2010:60 Jahre im Dienst der Demokratie – Bundesamt für Verfassungsschutz“

„Ich danke den ehemaligen und den heute in Verantwortung stehenden Abteilungsleitern des Bundesamtes, die sich gemeinsam mit den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen dafür einsetzen, Bestrebungen gegen unsere freiheitliche demokratische Grundordnung abzuwehren. Das ist oft ein mühseliges Geschäft und es erfordert immer wieder besonderen Einsatz. Das wird auch in Zukunft nicht anders sein.Das BfV ist eine Behörde mit einem speziellen gesetzlichen Auftrag und mit einer besonderen Verantwortung. Es ist daher wichtig, dass die Interessen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in angemessener Weise und mit Verständnis für die fachlichen Belange vertreten werden.“ (Quelle: >>)

Kaum drei Jahre alt, erscheint dieser kurze Text wie ein groteskes Relikt aus einer längst vergangenen Zeit.

AND ACTION, PLEASE ..!

Am 11. November 2011 und „einige Tage danach“ (Zitat) wurden im Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) in Köln mindestens 7 Akten zu Personen aus der rechtsextremen Szene vernichtet. Alle Personen wurden aus dem Umfeld des „Thüringer Heimatschutzes“ (THS) für das BfV geworben und von dort als VM geführt. Alle vernichteten Akten stammen zudem aus dem Beschaffungsbereich „Rechtsextremismus“ des BfV.

Auf Seite 807 des NSU-Abschlussberichtes werden die 7 Akten mit ihren Fallnamen, bzw. den Decknamen der V-Leute genau benannt:

Fünf dieser Akten stammen aus der Operation „Rennsteig“ mit den Fallbezeichnungen, bzw. Decknamen:
Treppe
Tobago/Investor
Tonfarbe
Tusche
Tinte
Darüber hinaus wurden zwei Beschaffungsakten vernichtet, die nicht der Operation „Rennsteig“ zugehörig sind zu den Fällen:
VM – Tacho
VM – Tarif
Bei der Akte Tobago handelte es sich um eine Werbungsakte. Die Akten Tusche, Treppe, Tonfarbe, Tacho, Tarif und Tinte waren VM-Akten. Eine ebenfalls zur Operation „Rennsteig“ gehörende VM-Akte zu Tonfall wurde nicht vernichtet.

Der 11. November 2011 war zufällig derselbe Tag, an dem 7 Tage nach dem Auffliegen des NSU der Generalbundesanwalt Ermittlungen gegen den NSU wegen der Gründung einer rechtsgerichteten terroristischen Vereinigung einleitete. Diese am Nachmittag des 11. November 2011 veröffentlichte Pressemitteilung der Bundesanwaltschaft versetzte die Bundesrepublik nachhaltig und bis heute in Aufruhr:

Pressemitteilung der Bundesanwaltschaft vom 11. November 2011:

11.11.2011 – 35/2011
Bundesanwaltschaft übernimmt Ermittlungen wegen des Mordanschlags auf zwei Polizisten in Heilbronn sowie der bundesweiten Mordserie zum Nachteil von acht türkischstämmigen und einem griechischen Opfer. Die Bundesanwaltschaft hat heute (11. November 2011) die Ermittlungen wegen des Mordanschlags auf zwei Polizisten in Heilbronn im April 2007, der Mordserie im Zeitraum von September 2000 bis April 2006 zum Nachteil von acht türkischstämmigen und einem griechischen Opfer in mehreren deutschen Städten (sogenannte Ceska-Morde) sowie der schweren Brandstiftung in Zwickau vom 4. November 2011 übernommen.
Es liegen zureichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür vor, dass die Mordtaten einer rechtsextremistischen Gruppierung zuzurechnen sind.
[…]
Im Wohnmobil der am 4. November 2011 nahe Eisenach tot aufgefundenen Uwe B. und Uwe M. wurden die Dienstwaffen der Heilbronner Polizisten sichergestellt. In der Wohnung der Männer in Zwickau wurde zudem die Pistole aufgefunden, mit der in den Jahren 2000 bis 2006 die sogenannten Ceska-Morde verübt wurden. Nach den bisherigen Erkenntnissen verfügten die verstorbenen Männer wie auch ihre mittlerweile verhaftete Gefährtin Beate Z. bereits Ende der 1990er Jahre über Verbindungen zu rechtsextremistischen Kreisen. Bei der Durchsuchung der Zwickauer Wohnung wurde außerdem Beweismaterial sichergestellt, das auf eine rechtsextremistische Motivation der Mordtaten hindeutet.
Es besteht deshalb gegen die Beschuldigte Beate Z. der Anfangsverdacht der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung in Tateinheit mit Mord und versuchtem Mord sowie der schweren Brandstiftung (§ 129a Abs. 1 Nr. 1, § 211, § 306a, § 22, § 23 StGB). Gegenstand des Ermittlungsverfahrens ist auch die Verstrickung möglicher weiterer Personen aus rechtsextremistischen Kreisen in die Taten.
Weitergehende Auskünfte können derzeit nicht erteilt werden. (Quelle:>>)

Rückblick: Der 4. November 2011. Vormittag.

Etwa 7 Tage vor dieser Presseerklärung begehen am Morgen des 4. November 2011 kurz nach einem gescheiterten Bankraub in Eisenach Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos in ihrem angemieteten Wohnmobil vermutlich Selbstmord. Sowohl die Umstände der Suizide, als auch der anschließende Brand des Wohnmobils sind bis heute noch nicht abschließend aufgeklärt.
Zum Bankraub und den im Wohnmobil aufgefundenen Leichen schreibt der MDR-Thüringen auf seiner Website am 04. November 2011 um 21:31 Uhr unter anderem:

Zwei Leichen in Wohnmobil entdeckt

Wenige Stunden nach dem Überfall wurden im Eisenacher Stadtteil Stregda zwei Leichen in einem Wohnmobil entdeckt. Ein Polizeisprecher sagte MDR 1 RADIO THÜRINGEN, ein Zusammenhang mit dem Überfall werde nicht ausgeschlossen. Die Polizei hatte nach dem Banküberfall Hinweise erhalten, dass ein weißes Wohnmobil dabei eine Rolle gespielt haben könnte. Deshalb habe sich eine Streife dem Fahrzeug genähert. Plötzlich hätten die Polizeibeamten zwei Knallgeräusche gehört und Feuer bemerkt. Es sei unklar, ob es sich um Schüsse gehandelt habe. Nachdem die Feuerwehr den Brand gelöscht hatte, wurden in dem Fahrzeugwrack die beiden Leichen entdeckt. (Quelle: >>)

Rückblick: Der 4. November 2011. Nachmittag.

Einige Stunden später fliegt gegen 15:00 Uhr die Wohnung von Beate Zschäpe in der Frühlingsstraße 26a in Zwickau in die Luft. Nach dem offiziellen Ermittlungsstand soll Zschäpe den Wohnungsbrand mit einem Benzin-Kanister ausgelöst haben. Auch die sich anschließende Explosion, durch die eine komplette Hälfte des Doppelhauses zerstört wurde, soll auf Zschäpes Konto gehen. Noch bevor die Feuerwehr am Brandort eintraf, hat Zschäpe ihre beiden Katzen in zwei Katzenkörbchen aus dem brennenden Haus gerettet und einer Nachbarin übergeben. Anschließend verschwand Beate Zschäpe wieder in Richtung des brennenden Hauses, aus dem immer wieder explosionsartige Geräusche zu hören waren und verschwand wie ein Geist in den Rauchschwaden. Nach dem heutigen Stand der Ermittlungen ließ sich Zschäpe von André E. mit dem Auto zum Bahnhof fahren. Augenzeugen dafür gibt es bis jetzt nicht. Jedenfalls ist Zschäpe ab dem 04. November 2011 vorerst in den Untergrund abgetaucht.
Eine der ersten Meldungen zur Explosion in der Zwickauer Frühlingsstraße wurde am 04. November 2011 um 18:58 Uhr via dapd veröffentlicht:

Wohnhaus in Zwickau explodiert

04.11.2011, 18:58 Uhr | dapd

In Zwickau ist am Freitag ein Wohnhaus explodiert. Die Doppelhaushälfte im Stadtteil Weißenborn brannte laut Polizei völlig aus. Ob sich Menschen zum Zeitpunkt der Explosion in dem Haus aufhielten, war zunächst unklar.
Die Flammen und die Schäden verhinderten bis zum Abend die Suche nach möglichen Opfern, wie die Polizei mitteilte. Die andere Hälfte des Doppelhauses blieb demnach weitgehend unversehrt. Zwei Menschen hatten sich von dort aus rechtzeitig in Sicherheit bringen können.
Nachbarn zufolge soll das Haus seit einem halben Jahr unbewohnt sein. Von der Explosion betroffen gewesen sei auch ein leer stehendes Restaurant im Erdgeschoss. Den Sachschaden an dem einsturzgefährdeten Haus schätzt die Polizei auf einen Betrag in sechsstelliger Höhe. (Quelle: >>)

Vier Tage später: Der 08. November 2011 – Zschäpe gibt auf.

Am 08. November 2011 hat sich Beate Zschäpe freiwillig der Polizei gestellt. Eine der ersten Meldungen hierzu findet sich auf dem Blog von ZONO Radio Jena:

[…] Heute Nachmittag stellte sie sich der Polizei in Jena. Um 13 Uhr 09 erfolgte die Festnahme; Beamte der Zielfindungseinheit hätten sie identifiziert, hieß es.

Wie ein Polizeisprecher erklärte, sei die bundesweit per Haftbefehl gesuchte Beate Z. am Dienstag mit ihrem Rechtsanwalt bei der Polizei in Jena erschienen und habe sich gestellt. Er bestätigte damit einen Bericht des Radiosenders Antenne Thüringen und der Thüringer Allgemeinen.

Über die Identität der beiden in einem Wohnmobil in Eisenach aufgefunden Leichen hüllen sich die Ermittler weiter in Schweigen. Die Identität der toten Männer sei geklärt, werde aus ermittlungstechnischen Gründen aber noch nicht bekannt gegeben, sagte ein Polizeisprecher auf Anfrage. Eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft Zwickau wollte weder bestätigen noch dementieren, dass es sich dabei um die 1998, gemeinsam mit Frau Z., untergetauchten Neonazis Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos gehandelt hat.
[…]
Indes geht der Stuttgarter Generalstaatsanwalt Klaus Pflieger laut einer Radiomeldung davon aus, dass der vier Jahre alte Heilbronner Mordfall an einer Polizistin aufgeklärt ist. Er gehe, so Pfleger im Südwestfunk (SWR), davon aus, dass der Mord im April 2007 von den tot aufgefundenen Bankräubern begangen wurde. Dafür sprächen die Gesamtumstände, vor allem der Besitz der Dienstwaffen der Polizisten, die bei den Bankräubern gefunden worden seien. „Solche Waffen“, sagte der Generalstaatsanwalt dem Radiosender SWR, „gibt man nicht weiter.“ (Quelle: >>)

Dies als Einleitung und als Beleg dafür, dass Polizei, Presse und somit ein Großteil der Bevölkerung spätestens am 08. November 2011 von den Zusammenhängen der Mordserie, den Raubüberfällen und einer möglichen Verwicklung des „Thüringischen Heimatschutzes“ mit Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe zumindest ansatzweise informiert waren.

Mögliche Verwicklung in die Mordserie von Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe innerhalb der Allgemeinbevölkerung bereits am 08.11.11 bekannt. Nur die Ermittler ignorieren noch die Fakten.

In Anbetracht der Gesamtsituation sollten an diesem Dienstagabend bei sämtlichen Ermittlern der SoKo Bosporus, die immer noch erfolglos versuchen, die „Döner-Morde“ aufzuklären, sämtliche Alarmglocken geschrillt haben. Wie wir heute wissen zeigten sich die Ermittlungsbehörden angesichts der aktuellen Entwicklungen recht unbeeindruckt.

Lediglich beim damaligen Präsident des BfV, Heinz Fromm der in der Chefetage des BfV residiert, scheint die Brisanz der aktuellsten Ereignisse auf Interesse zu stoßen:

Fundstelle: NSU-Untersuchungsausschuss Abschlussbericht Seite 759:

Der damalige Präsident des BfV, Heinz Fromm erteilt auf einem Gesprächsvermerk zur ND-Lage (Anm.: Nachrichtendienstliche Lage) vom 8. November 2011 zum TOP „Banküberfall und Leichenfund am 4. November in Eisenach/TH; mögliche Bezüge zum Rechtsextremismus“ folgenden Auftrag an die Abteilung 2 (Rechtsextremismus):

Ich bitte um detaillierte Aufarbeitung des Vorgangs. Was hat das BfV in den 1990er Jahren in diesem Fall für eine Rolle gespielt, welche Informationen lagen vor und welche Ermittlungen wurden von Seiten BfV durchgeführt, insbesondere nachdem die drei Personen flüchtig waren. Bitte um kritische Durchsicht der Akten zu den Informationen zu den drei Personen, dem THS (Anm.: „Thüringer Heimatschutz“) und möglichen Verbindungen zur NPD.“

10. November 2011
Im restlichen Bundesamt für Verfassungsschutz ist der Informationsstand an diesem und den darauffolgenden Tagen offenbar auf einem ganz anderen Niveau. Denn etwa 48 Stunden nachdem sich Zschäpe der Polizei gestellt hatte, nach etwa 5 Tagen Spurensicherung im abgebrannten Wohnmobil und der explodierten Zschäpe-Wohnung erhielt der Referatsleiter Lothar Lingen von seinen Vorgesetzten am 10. November 2011 folgenden Auftrag: Der Name des Vorgesetzten lässt sich im Übrigen nicht recherchieren.

Fundstelle Seite 759:

[Lingen:] „Am 10. November 2011 erhielt ich den Auftrag der Amtsleitung, Werbungsakten aus dem Bereich THS daraufhin zu überprüfen, ob sich aus diesen Bezüge/Kontakte des BfV zum Trio/NSU ergäben. Ich habe die Akten daraufhin überprüfen lassen und mich davon überzeugt, dass derartige Bezüge bei den von uns angeworbenen Quellen nicht existierten. Für die aus meiner Sicht damit dienstlich nicht mehr benötigten Akten habe ich am 11. November 2011 die Vernichtung angeordnet. Dabei wurden Werbungsakten zu acht Personen, mit denen eine nachrichtendienstliche Zusammenarbeit bestand, vernichtet.“

Weiter auf der gleichen Seite:

Am 9. November 2011 habe der Referatsleiter [Lingen] zunächst mündlich Mitarbeiter seines Referats beauftragt, die Akten Tobago (Werbungsakte) sowie der Akten Tusche, Treppe, Tonfarbe, Tacho, Tarif und Tinte (VM-Akten) auf die drei Namen Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe durchzusehen.

Fundstelle: Seiten 761 bis 762

Am Donnerstag, dem 10. November 2011, informierte der Referatsleiter um 9.38 Uhr per E-Mail die Referatsleiterin für den Bereich „Auswertung Rechtsextremismus, Rechtsterrorismus“, den damaligen Gruppenleiter „Beschaffung“ und den damaligen Abteilungsleiter 2 über das Zwischenergebnis der Prüfung der Forschungs- und Werbungsakten mit möglichen Bezügen zu den Rechtsextremisten Mundlos, Böhnhardt, Zschäpe mit folgendem Wortlaut:

Alle drei Personen waren niemals Gegenstand von F+W-Maßnahmen des BfV. Mit insgesamt sieben Personen aus dem THS-Bereich (Anm.: Thüringer Heimatschutz“) wurden mehrere Gespräche mit dem Ziel der Werbung geführt. Drei Fälle wurden davon an das LfV TH (Anm.: Landesamt für Verfassungsschutz Thüringen) übergeben. Zu diesen Fällen gibt es keine Akten mehr bei uns. Drei (nicht zwei!) Personen wurden kurzfristig (1999 – 2001) als Quellen des BfV geführt (Tobago; Tusche und Treppe) und nach kurzer Zeit wieder abgeschaltet. In keiner der geprüften vier Werbungsakten waren Hinweise auf die ‚Thema‘ genannten Personen enthalten. Ein ehemaliger Werbungsmitarbeiter konnte sich erinnern, dass alle Quellen des BfV mit Thüringer Bezügen zu Personen befragt wurden, die 1998 mit den Selbstlaboranten in Verbindung gestanden haben könnten.

Zusatz: alle Werbungs- und VM-Akten der Aktenjahre bis 2001 sind vernichtet worden, soweit keine Werbungsfälle/VM betroffen waren, die danach als Quellen noch relevant waren.“

Ab jetzt nimmt das Unheil unweigerlich seinen Lauf:

Diese E-Mail leitete der Referatsleiter Lingen kommentarlos am nächsten Tag, am 11. November 2011, um 9.04 Uhr auch an den formal für die sechs VM-Akten zuständigen Referatsleiter weiter.

Fundstelle: Seite 762
Die Aussage des Sonderbeauftragten Engelke vor dem NSU-Ausschuss rückt den oben erwähnten Zusatz in ein neues ganz besonderes Licht:

Laut Bericht des Sonderbeauftragten [Engelke] habe der Referatsleiter Lingen ihm gegenüber angegeben, der Zusatz in der oben genannten E-Mail habe sich nicht auf die im Januar 2011 durchgeführte, sondern auf die erst am folgenden Tag durchgeführte, zum Zeitpunkt der E-Mail also erst noch bevorstehende Aktenvernichtung, bezogen.

Auf die oben genannte E-Mail des Referatsleiters von 9.38 Uhr antwortete der damalige Gruppenleiter um 10.32 Uhr:

danke, war hilfreich“.

Die weiteren Aussagen des Sonderbeauftragten Engelke zeigen unter welchen grotesken Umständen die Aktenvernichtung unaufhaltsam ihren Lauf nahm:

Fundstelle: Seite 762

[…] der Referatsleiter [habe] am Vormittag des 10. November 2011 die zuständige Bürosachbearbeiterin N. angerufen und ihr mitgeteilt, dass die von ihr ausgeliehenen Akten zu vernichten seien. Frau N. habe auf die Notwendigkeit einer schriftlichen Anordnung verwiesen sowie nachgefragt, warum gerade diese Akten vernichtet werden sollten.

Diese Darstellung hat die Zeugin N. im Wesentlichen bestätigt. Sie hat bekundet, ihr sei am Vormittag des 10. November 2011 von einem Kollegen aus der Beschaffung, Herrn B., auf dem Flur gesagt worden, dass sie Akten vernichten solle. Herr B. sei wohl gerade aus dem Büro des Referatsleiters Lingen gekommen. Sie habe erwidert:

Wie, Akten vernichten? Ich vernichte hier keine Akten auf Zuruf. Was soll das denn jetzt hier? – Das habe ich noch gesagt.“

Herr B. habe ihr aber keine konkrete Aufforderung zur Vernichtung erteilt.

Nochmals zum Verständnis: Die Sekretärin N. wird während ihrer normalen Tätigkeit im BfV von dem Sachbearbeiter B., der offenbar gerade das Büro von Referatsleiter Lingen verlässt auf dem Flur angesprochen. Soweit ist das nichts ungewöhnliches. Ungewöhnlich ist jedoch, dass dieser Sachbearbeiter nochmals den Auftrag zur Aktenvernichtung erteilt. Und zwar offenbar auf Anweisung von Lingen und nachdem die Sekretärin N. bereits ihre Zweifel an der Richtigkeit dieser Anordnung im Büro des Referatsleiter Lingen geäußert hat. Scheinbar sind der Sachbearbeiter B. und die Sekretärin N. im hierarchischen Gefüge des BfV annähernd gleich gestellt. Deswegen schert sich Frau N. offenbar einen Dreck um die Anweisung des Herrn B. und stellt Referatsleiter Lingen sogleich in seinem Büro noch einmal zur Rede.

Weiter auf Seite 762:

Und dann bin ich zum Herrn Lingen rübergegangen und habe gesagt: Wie, Akten vernichtet werden? Was für Akten?“

Sie habe in dieser Angelegenheit auch noch mit dem Referatsleiter Lingen telefoniert. Über die zeitliche Abfolge war sich die Zeugin N. in ihrer Vernehmung jedoch nicht sicher. Sie hat ausgeführt:

[…]

„Und dann habe ich am Telefon auf jeden Fall gesagt, dass ich auf Zuruf überhaupt nichts vernichte, auch nicht am Telefon oder so. Und dann bin ich ja auch persönlich, wie gesagt, zu ihm hingegangen und habe ihn dann gefragt: Was soll hier vernichtet werden? Und daraufhin hat er mir gesagt, es wären sechs Akten. Und da muss ich wohl gefragt haben: Ja, was denn für Akten? Und daraufhin hat er gesagt – – Er hat die Namen nicht alle genannt. Er hat auf jeden Fall gesagt: Tusche oder – – Ich weiß es nicht mehr. Ich kann Ihnen die Namen noch nicht mal mehr komplett sagen.“

Und daraufhin habe ich gesagt: Sind das denn V-Mann-Akten, oder sind das Werbungsakten? Und da hat er wohl gesagt: Es sind V-Mann-Akten. Und da habe ich gesagt: Die werden doch nicht vernichtet. Wieso sollen die vernichtet werden? […]

Dann, daraufhin sagte er: Tun Sie das, was ich sage. – Da habe ich gesagt: Das werde ich nicht tun, weil er wäre ja zu diesem Zeitpunkt kein zuständiger Referatsleiter von den V-Mann-Akten. – Ja, aber er wäre jetzt Vertreter. – Ja, sage ich, dann in Ordnung; dann soll er mir das aber bitte schriftlich geben.

Der Disput der tapferen Sekretärin N. mit ihrem Vorgesetzten Referatsleiter Lingen ist noch lange nicht beendet. Es stellt sich die Frage, warum Lingen so eindringlich auf seine Sekretärin einwirkt, „nur“ um diese 7 Akten zu vernichten. Der folgende Dialog zeigt die Zustände im BfV an diesem 10. November 2011 eindringlich auf:

Lingen: „Tun Sie das, was ich sage!“

Sekretärin N.: „Das werde ich nicht tun, weil …“

Dieser Wortwechsel weist entweder auf ein hervorragendes Betriebsklima hin, oder er ist als Hinweis zu werten, dass die Sekretärin von ihrem Vorgesetzten hier zu einer illegalen Handlung genötigt werden sollte. Offenbar haben in dieser Abteilung außer der Sekretärin N. nur wenige, vielleicht auch niemand das Fachwissen, wie eine regelkonforme Aktenvernichtung abzulaufen hat. Der Referatsleiter Lingen ist hier offenbar auf die Sekretärin N. angewiesen.

Fundstelle: Seite 763

Zum Inhalt ihres Gesprächs mit dem Referatsleiter Lingen hat die Zeugin N. weiter ausgesagt:

Ich habe gar nichts mitgeschrieben. Ich habe lediglich dann zu ihm gesagt, was das denn für Akten wären. Und das waren V-Mann-Akten. Zu diesem Zeitpunkt war Herr Lingen nicht Referatsleiter von der V-Mann-Führung. Und daraufhin habe ich gesagt, dass er das nicht entscheiden könnte, weil die Akten zu der V-Mann-Führung gehören würden – bis auf eine, die der Forschung und Werbung zugehörig war. Und da: Das würde aber nichts zur Sache tun; ich sollte das machen, was er mir sagt. – Und da habe ich gesagt: Nein, das werde ich nicht tun; er möchte mir das bitte schriftlich geben.

Der Referatsleiter Lingen habe ihr gegenüber nichts dazu gesagt, warum die Aktenvernichtung überhaupt notwendig sei. Über dessen Motive sei ihr nichts bekannt.“

Nach Angaben der Zeugin N. sei dies der erste und einzige Fall in ihrer Zusammenarbeit mit dem Referatsleiter Lingen gewesen, der ihr Anlass gegeben habe, eine Aufforderung zur Aktenvernichtung kritisch zu hinterfragen.

Aufgrund dieser Aussage der Zeugin N. kann man annehmen, dass sie mit dem Referatsleiter Lingen schon über einen längeren Zeitraum, vielleicht sogar seit mehreren Jahren zusammenarbeitet. Außerdem scheinen die beiden über die Rechtsvorschriften, die bei routinemäßigen Aktenvernichtungen Anwendung findet, bestens informiert zu sein. Man könnte sich sogar so weit aus dem Fenster lehnen und behaupten, die beiden galten bis zu diesem 10. November 2011 als „eingespieltes Team.“

Weiter auf Seite 763:

Der Zeuge Engelke hat ausgesagt, der Grund für die Bedenken der Bürosachbearbeiterin N. sei gewesen, dass es um V-Leute aus dem Thüringer Umfeld ging.

Im Moment ist überall in den Medien, dass Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe aus dem Bereich stammen. Da glaube ich nicht, dass es eine gute Idee war, das zu dem Zeitpunkt zu vernichten. Das war ihr Motiv und das war auch das von dem Sachbearbeiter.“

Laut Abschlussbericht des NSU-Ausschusses des Bundestages widerspricht die Sekretärin N. der Einschätzung des Sonderbeauftragten der Regierung Engelke hier eindeutig:

Demgegenüber hat die Zeugin N. als alleinigen Grund für ihre Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung, die Akten zu vernichten, die fehlende formale Zuständigkeit des Referatsleiters Lingen für V-Mann-Akten angegeben. Formal sei ihr eine Anweisung zur Vernichtung von Akten von einer Person erteilt worden, die für diese Akten nicht zuständig gewesen wäre.

Engelke weiter:

„Die Zeugin N. hat auf Nachfrage ausdrücklich verneint, dass die damals schon in den Medien erwähnten Geschehnisse in Thüringen ein Grund für ihre kritische Haltung gewesen seien.Sie habe am 11. November 2011 noch nicht bewusst Kenntnis davon gehabt, dass in Thüringen eine Terrorzelle aufgeflogen sei.“

Engelke bestätigt hier mit seiner Aussage, dass er mit seiner ersten Vermutung definitiv falsch lag.

Engelke weiter mit seiner Aussage:

Der Referatsleiter Lingen habe Frau N. daraufhin per E-Mail um 10.25 Uhr den Auftrag zur Vernichtung von zunächst sechs der sieben Akten erteilt.

Während einer Beratungssitzung des Ausschusses am 19. Juli 2012 nahm MinDirig Engelke in seiner Eigenschaft als Sonderbeauftragter des Bundesinnenministeriums und nicht als geladener Zeuge teil. Im Rahmen dieser Sitzung sagte Engelke folgendes:

Weiter auf Seite 763:

[…] der Auftrag habe wie folgt gelautet:

Bei der Aktenrecherche von ZP/V-Mann/Informanten im Zusammenhang mit dem THS sind Akten/Aktenteile festgestellt worden, die vernichtet werden müssen, da sie nicht mehr gebraucht werden. Dabei handelt es sich um die Fälle Tobago, Tusche, Treppe, Tonfarbe, Tacho und Tinte.“

Die Akte Tarif sei von diesem ersten Auftrag zunächst nicht erfasst gewesen. Zehn Minuten später habe der Referatsleiter [Lingen] eine weitere Mail mit dem Inhalt

Auch die Aktenbestandteile von V-Mann Tarif müssen vernichtet werden.“

versandt.

Auch die Zeugin N. hat ausgesagt, dass der Referatsleiter seinen dann schriftlich erteilten Auftrag zur Aktenvernichtung von zunächst sechs auf dann sieben Akten erweitert habe. Sie hat ausgeführt:

Und das hat er mir dann auch per Mail schriftlich – – in zwei Mails: Einmal waren es nur sechs, und dann hat er noch eine nachgeschoben, den siebten, die Namen. Und dann habe ich erst mal in DOMUS (Anm.: BfV-Interne Datenbank) nachgeguckt, welches Aktenzeichen – – weil es waren ja nur Namen und da konnte ich ja nichts mit anfangen. Und dann habe ich erstmal in DOMUS nachgesehen, was das für Akten sind, welches Aktenzeichen. Dann habe ich die Akten rausgesucht.“

Sie hat fortgeführt:

Fundstelle: Seite 764

Ja, und er ist auch, glaube ich, noch mal im Büro gewesen und hat geguckt, ob es die denn auch sind, also ob das die Akten waren.“

Weiter: Seite 764

Ausweislich des Berichts des Sonderbeauftragten habe der Referatsleiter am 10. November 2011 um 11.19 Uhr um Rückruf bei dem für die sechs VM-Akten formal zuständigen Referatsleiter gebeten, der sich an diesem Tag allerdings auf einer Dienstreise befunden habe und erst am Folgetag (11. November 2011) wieder im Büro gewesen sei. Um 15.17 Uhr habe die Bürosachbearbeiterin N. ebenfalls eine Mail an den formal zuständigen Referatsleiter mit dem Betreff „Vernichtung“ geschrieben, in der sie um Rückruf gebeten habe.

Die Zeugin N. hat ausgesagt, wegen ihrer Zweifel an der formalen Zuständigkeit des Referatsleiters Lingen für die Vernichtung von V-Mann-Akten, habe sie sich zunächst per E-Mail mit dem formal zuständigen Leiter des Nachbarreferats in Verbindung gesetzt und nachgefragt, ob er mit der Vernichtung einverstanden sei.

Die Zeugin N. hat ausgesagt, sie sei, nachdem ihr der schriftliche Auftrag zur Vernichtung der sieben Akten erteilt worden sei, wie folgt vorgegangen:

Dann habe ich die Akten rausgesucht, um die es sich handelte. Dann habe ich die Vernichtungsverhandlung geschrieben und habe die Akten aufgeführt, die zu vernichten sind. Das hat auch eine ganze Zeit in Anspruch genommen; so schnell geht das auch nicht. Dann habe ich – ich meine, Donnerstagnachmittag – die Vernichtungsverhandlung dem Herrn Lingen vorgelegt, und der hat sie unterschrieben.“

Um das korrekte Verfahren bei einer angeordneten Aktenvernichtung zumindest einigermaßen verständlich darzustellen, finden sich auf Seite 764 folgende Ausführungen des Sonderbeauftragten Engelke:

MinDirig Engelke hat zum Verfahren bei der Anordnung einer Vernichtung folgende Angaben gemacht:

Wenn eine Vernichtung angeordnet ist, muss ein Vernichtungsprotokoll erstellt werden oder andersherum, im Ergebnis gibt es zwei Vernichtungsprotokolle. Es gibt eins, was in der Fachabteilung verbleibt und eines, was im Zentralarchiv sozusagen abgeheftet wird. In der ersten Version muss der Vernichtungsanordnende, hier also der Referatsleiter, dafür zeichnen, dass er angeordnet hat, Unterlagen zu vernichten zu einem Vorgang. Ein Mitarbeiter ist jetzt aufgefordert, in einem Anhang im Detail unter fortlaufender Nummerierung aufzuschreiben, welche Unterlagen das denn sind im Vorgang. Und eigentlich ist er auch angehalten dazu, im Vorgangsbearbeitungssystem des BfV zu gucken: Stimmt das mit dem im Computer Registrierten; welche Schriftstücke müssen da jetzt eigentlich drin sein? Der Mitarbeiter, der diese Anlage erstellt – der also sagt, ich muss den Vorgang Tonfall vernichten – geht also jetzt hin und listet auf: Was sind da eigentlich im einzelnen für Schriftstücke drin? und führt die in der Anlage auf. Das wird sozusagen mit dem Deckblatt des Vernichtungsprotokolls verbunden. Dass das ordnungsgemäß geschehen ist, dafür zeichnet dieser Mitarbeiter auch auf dem Vernichtungsprotokoll, auf dem Deckblatt.“

Nach Aussage des Zeugen Engelke hat der Referatsleiter Lingen seine Namensparaphe bei der Anordnung der Vernichtung nicht mit einem Datum versehen.

Die zu vernichtenden Akten selbst seien dem Referatsleiter Lingen nicht vorgelegt worden.

[…]

Der 11. November 2007:

In seinem Bericht hat MinDirig Engelke in seiner Eigenschaft als Sonderbeauftragter des BMI ausgeführt, im Laufe des Vormittags des 11. November 2011 habe der Sachbearbeiter B. dem Referatsleiter Lingen Zweifel an der Richtigkeit des Zeitpunkts der Aktenvernichtung mitgeteilt.

Daraufhin habe Herr Lingen geantwortet:

Die Akten sind sauber, da ist nichts dran, die sind geprüft. Das reicht, sonst haben wir die noch hundertmal auf dem Tisch. Die sind sowieso zu alt. Die müssen weg.“

Nach Aussage der Zeugin N. habe der für die sechs VM-Akten formal zuständige Referatsleiter, mit dem sie sich zunächst per E-Mail in Verbindung gesetzt und nachgefragt habe, ob er mit der Vernichtung einverstanden sei, ihr gegenüber am Freitag, dem 11. November 2011, telefonisch erklärt:

Ja, wäre okay.“

Sie habe daraufhin die Anweisung des Referatsleiters Lingen für sich akzeptiert. Nachdem sie ihre Bedenken gegenüber dem Referatsleiter Lingen und dem – für sechs der vernichteten Akten eigentlich zuständigen Leiter des Nachbarreferats geäußert habe, habe sie bei höheren Vorgesetzten nicht mehr remonstriert. Sich mit dem Gruppenleiter in dieser Angelegenheit in Verbindung zu setzen, habe sie nicht mehr in Betracht gezogen.

Fundstelle: Seite 765

Die Akten seien von ihr am selben Tag [11. November 2011] zwischen 10 und 11 Uhr im Beisein des Sachbearbeiters B. vernichtet worden. Bei der Vernichtung gelte das Vier-Augen-Prinzip. Zuvor habe sie die dazugehörigen Dateien gelöscht. Auf Nachfrage hat die Zeugin erklärt, Herr B. habe gefragt, warum man das jetzt mache. Was Herr B. dazu gesagt habe, wisse sie aber nicht mehr. Auch im Vorgriff auf die Vernichtung habe sie nicht mit Herrn B. gesprochen.

So werden Akten im Bundesamt für Verfassungsschutz professionell und vorschriftsmäßig vernichtet:

MinDirig Engelke hat zum Vernichtungsverfahren im BfV folgende Angaben gemacht:

In der Praxis des BfV, so habe ich das verstanden, ist es so, dass vor Vernichtung jetzt schon – – die Vernichtung wird nach dem Vier-Augen-Prinzip erfolgen, das heißt, es müssen immer zwei Kollegen da sein – zeichnen jetzt die zwei Kollegen, dass sie vernichtet haben. Das sind also sozusagen insgesamt vier Unterschriften auf so einem Vorblatt, jedenfalls in der ersten Version des Protokolls, das in der Fachabteilung verbleibt, wobei der das Vernichtungsprotokoll Erstellende – also der sagt: Da sind folgende Vorgänge drin, und die führe ich jetzt in der Anlage auf – das kann auch der sein, der dann praktisch der eine von den beiden ist, der die Vernichtung durchführt, und so war es hier auch. Der Bürosachbearbeiter [Anm.: Die Bürosachbearbeiterin] hat das Protokoll erstellt [….] und nimmt noch einen Kollegen mit, der dies überprüft und beide gehen dann in den Keller des BfV, da steht eine riesengroße Aktenvernichtungsmaschine, und dort vernichten sie die Unterlagen.“

Immer noch auf Seite 765:

Auf dem zweiten Protokoll, das im Zentralarchiv abgelegt werde, paraphiere noch einmal ein fünfter Mitarbeiter dafür, dass ihm angezeigt worden sei, dass die Unterlagen vernichtet wurden.

Außer dem Referatsleiter Lingen hätten alle anderen Mitarbeiter die Vernichtungsverhandlung mit Namensparaphe und Datum vom 11. November 2011 versehen.

14:05 bis 14:10 Uhr

Laut Bericht des Sonderbeauftragten Engelke habe die Bürosachbearbeiterin N. um 14.05 Uhr das Büro verlassen, der Sachbearbeiter B. um 14.10 Uhr.Dieser habe gegenüber dem Sonderbeauftragten angegeben, er habe zuvor dem Referatsleiter auf Nachfrage in einem persönlichen Gespräch, ob schon alle Akten in den Keller gefahren worden seien, mitgeteilt, die Akten seien schon vernichtet.

Dies werde vom Referatsleiter Lingen bestritten. Lingen habe ihm [Engelke] gegenüber erklärt, von der Vernichtung bis zum Nachmittag weder von der Bürosachbearbeiterin N. noch vom Sachbearbeiter B. erfahren zu haben.

15:21 Uhr

Um 15.21 Uhr habe der Referatsleiter [Lingen] an alle Mitarbeiter seines Referats, die Bürosachbearbeiterin und den Gruppenleiter gemailt:

Hallo, hallo zusammen, ich bitte Dich, die zur Vernichtung anstehenden Akten nicht zu vernichten. P/L2 [Präsident/ Abteilungsleiter2] wünscht eine erneute Prüfung der Akten nach Aliasnamen der drei Rechtsextremisten.“

15:25 Uhr: Die Akten sind längst vernichtet. Es entwickelt sich hektische Betriebsamkeit im BfV.

Einen solchen expliziten nachgeschobenen Auftrag der Amtsleitung habe es zu dem Zeitpunkt jedenfalls schriftlich im Auftragswesen des BfV nicht gegeben.

Der Zeuge Fromm hat ausgesagt, er erinnere sich nicht daran, am 11. November 2011 noch einmal einen weiteren Auftrag erteilt zu haben. Dies sei aber möglich, da es zu dieser Zeit viele Rücksprachen und Kommunikation gegeben habe.

15:38 Uhr: Ein letzter, verzweifelter Versuch von Referatsleiter Lingen, die Vernichtung der Akten doch noch zu stoppen:

Die Zeugin N. hat bekundet, da ihr Dienstschluss bereits um 14 Uhr gewesen sei, habe sie die E-Mail an diesem Tag nicht mehr gelesen. Allerdings habe der Referatsleiter Lingen sie am gleichen Freitagnachmittag zu Hause angerufen und gefragt, ob die Akten schon vernichtet wären. Dies habe sie Lingen bestätigt.

Lingen habe daraufhin gesagt:

Sch…, hat er gesagt; der P [Präsident] und der L 2 Abteilungsleiter, die wollten noch irgendwas dazu.“

Nach Auswertung der Telekommunikationsverbindungen steht fest, dass dieser Anruf um 15.38 Uhr stattfand.

Die Zeugin N. hat ausgesagt, sie habe sich über den Anruf nach Feierabend gewundert. Es sei vorher noch nicht vorgekommen, dass ihr vorgesetzter Referatsleiter sie zu Hause angerufen habe. Ihr Eindruck bei dem Gespräch sei gewesen, dass der Referatsleiter Lingen am liebsten die Aktenvernichtung nicht veranlasst hätte. Nachdem sie gesagt habe, dass die Akten auf seine Anordnung hin vernichtet worden seien und sie nun nichts mehr tun könne, sei das Gespräch schnell beendet gewesen. An diesem Tag sei diesbezüglich von ihr nichts Weiteres mehr veranlasst worden.

Fundstelle: Seite 766

Um 15.44 Uhr leitete der Referatsleiter Lingen die E-Mail von 15.21 Uhr kommentarlos an den Abteilungsleiter weiter.

Der Referatsleiter Lingen habe gegenüber dem Sonderbeauftragten erklärt, hierauf weder eine Reaktion des Gruppenleiters noch des Abteilungsleiters erhalten zu haben. Den formal zuständigen Referatsleiter habe er ab dem 14. November 2011 informiert, dieser habe aber nicht auf die Information reagiert.

Ein allerletzter Versuch von Referatsleiter Lingen mit Hilfe seiner Sekretärin N. die Situation noch zu retten:

In einer weiteren an die dienstliche E-Mail-Adresse der Zeugin N. gesendeten E-Mail hat der Referatsleiter Lingen diese gebeten, ihm am folgenden Montag [14. November 2011] die Vernichtungsverhandlung vorzulegen.

Der Text dieser E-Mail lautet:

Zeige mir am Montag nochmal die Vernichtungsverhandlungen.“

Bundesamt für Verfassungsschutz: Geöffnet von Montag bis Freitag – 08:00 bis 17:00 Uhr

Offenbar haben die Mitarbeiter im BfV nicht damit gerechnet, dass andere Behörden auch am Wochenende aktiv sind. Im BfV dürfte man am Sonntag über dieses Ereignis ziemlich überrascht gewesen sein:

Am Sonntag, den 13. November 2011, erging ein Haftbefehl gegen Beate Zschäpe!

Mit der Verhaftung von Zschäpe hat Lingen keine Chance mehr, sich aus der Affäre zu ziehen. Auch sein mutmaßlicher letzter Strohhalm – die Vernichtung der Vernichtungsverhandlung am Montagmorgen schlägt fehl:

Die Zeugin N. hat angegeben, sie habe dem Referatsleiter Lingen am Montagmorgen in seinem Büro die Vernichtungsverhandlung noch einmal vorgelegt.

Dieser habe dazu gesagt:

Lass sie mir hier. – Und das habe ich nicht gemacht. Die habe ich wieder mitgenommen.“

Sie [Zeugin N.] glaube, dass sie gefragt habe, was der Anruf am Freitag gesollt habe, habe aber darauf keine definitive Antwort erhalten. Der Referatsleiter Lingen habe ein bisschen hektisch auf sie gewirkt.

Der Zeuge Engelke hat angegeben, in einer Kaffeerunde hätten die Kollegen, die die Prüfung der später vernichteten Akten vorgenommen hätten, über die Vernichtung gesprochen und gesagt:

Mensch, was hat der denn da veranlasst? Das war nicht in Ordnung.“

Die Diskussion sei aber nicht wegen der Inhalte der Akten erfolgt. Über diese habe man nicht gesprochen.

„Es sei „immer inhaltsfrei [gewesen] zu sagen: So eine Akte aus dem Umfeld in der Situation zu vernichten, halten wir für einen Fehler. Könnte ja sein, dass die noch mal angefasst werden sollte, wenn neue Bezüge erkannt werden.“

In der wöchentlichen Besprechung des damaligen Gruppenleiters mit den Referatsleitern habe der Referatsleiter Lingen die Aktenvernichtung nicht erwähnt, obwohl er gewusst habe, dass in den vernichteten Akten keine Alias-Namensprüfung mehr erfolgen konnte.

MinDirig Engelke hat in seinem Bericht ausgeführt, dass einige Tage nach dem 11. November 2011 die Bürosachbearbeiterin N. in der Registratur einen weiteren Aktenordner gefunden habe, der eigentlich am 11. November 2011 hätte vernichtet werden müssen. Es habe sich um einen „Zufallsfund“ anlässlich der fortlaufenden Aufgabe, weitere Akten zu Prüfzwecken zu bearbeiten, gehandelt.

Frau N. habe über diesen Fund sofort den Referatsleiter Lingen informiert und gefragt, was passieren solle. Dieser habe die Akte kurz durchgeblättert und mündlich deren Vernichtung angeordnet. Der Referatsleiter Lingen habe ihm – Engelke gegenüber geäußert, diese inhaltlich nicht mehr gesichtet zu haben. Ihm sei auch nicht bekannt gewesen, ob darin Aktenbestandteile zu einem oder mehreren Beschaffungsfällen enthalten gewesen seien. Der Referatsleiter Lingen sei davon ausgegangen, dass die Bürosachbearbeiterin diese Aktenteile vernichten würde, ohne eine neue Vernichtungsverhandlung zu erstellen oder die Vernichtungsverhandlung vom 11. November 2011 zu ergänzen.

Fundstelle: Seite 767

Zum weiteren Ablauf hat die Zeugin N. erklärt:

Dann bin ich mit diesem Ordner zu Herrn Lingen und habe gesagt: Der ist vergessen worden zu vernichten.“

Die Reaktion des Referatsleiters Lingen sei gewesen:

Er hat gesagt: Zeig mal. – Und dann hat er sich das kurz angeguckt: Ja, dann müssen wir das auch noch mit vernichten. Das gehört ja zu der Akte dazu. – Und dann habe ich aber nach der Vernichtungsverhandlung ein Zusatzblatt gemacht.“

Weiter auf Seite 767:

Obwohl ihr zu diesem Zeitpunkt bewusst gewesen sei, was Anlass der Aktenprüfung im BfV gewesen sei, habe sie bei der zweiten Aktenvernichtung keine Bedenken mehr gehabt, da die Komplettpakete ja bereits vernichtet gewesen seien. Referatsleiter Lingen habe das ja auch geprüft. Sie hat ausgesagt:

Ich denke mir, er [der Referatsleiter Lingen] hat die Akte ja durchgeblättert. Er hätte ja dann sagen können: Die werden nicht vernichtet; die werden jetzt irgendwie weitergeleitet – oder sonst irgendwas. Aber er hat ja gesagt: Die sollen vernichtet werden.“

Die Zeugin N. hat ausgesagt, für sie sei die Angelegenheit in den nächsten Tagen oder Wochen nach den Aktenvernichtungen kein Thema mehr gewesen. Sie sei aber ein oder zwei Wochen nach der Aktenvernichtung auf dem Gang von einem Dritten angesprochen worden, der ihr mitgeteilt habe, dass der Referatsleiter Lingen verärgert sei, weil sie ja wohl „einige Akten etwas zu schnell“ vernichtet habe. Sie hat erläutert:

Das war aber ein Streit, der – – Auf dem Flur ist gesagt worden, dass ich ja mal wieder so schnell gearbeitet hätte. Und daraufhin bin ich zum Herrn Lingen gegangen. Dieser Spruch kam ja nicht vom Herrn Lingen. Ich habe aber erst gedacht, dieser Spruch käme vom Herrn Lingen. Und daraufhin bin ich ja dann zum Herrn Lingen hingegangen und habe gesagt, wie er denn sowas sagen könnte. Wenn ich in meiner Funktion als Registraturleiterin, was ich immer korrekt gemacht habe, so was dann gesagt kriege – -.“

Der Referatsleiter Lingen habe ihr gegenüber abgestritten, dies gesagt zu haben. Den genauen Wortlaut wisse sie nicht mehr; Lingen habe auf jeden Fall herumgeschrien und sie aus seinem Büro herausgeworfen. Später habe sich der Referatsleiter Lingen bei ihrer direkten Vorgesetzten darüber beschwert, dass sie angeblich wutentbrannt in sein Büro gekommen wäre und ihn angebrüllt hätte.

Hierzu hat die Zeugin erklärt:

Also, angebrüllt habe ich ihn nicht. Ich habe wohl ziemlich laut gesagt, was das denn sollte, warum er hier so was unterstellen würde – also dieser Satz, ich wäre zu schnell.“

Fundstelle: Seite 768:

Auf Nachfrage hat sie bestätigt, sie habe über das Gespräch mit dem Kollegen den Eindruck gewonnen, der Referatsleiter Lingen nehme sie für eine Sache in Haftung, die er selbst zu verantworten habe und die er auf Nachgeordnete habe abwälzen wollen. Der Referatsleiter Lingen habe aber abgestritten, dass das der Fall gewesen sei.

Nach diesem Streitgespräch habe sie mit dem Referatsleiter Lingen nicht mehr gesprochen. Bis zum Sommer 2012 sei die Aktenvernichtung kein Thema mehr gewesen.

Der Sonderbeauftragte Engelke hat angegeben, am 26. oder 27. November 2011 habe der Referatsleiter Lingen dem Sachbearbeiter B. mitgeteilt, er habe mit dem Abteilungsleiter die Aktenlöschung erörtert, dieser habe mitgeteilt, das sei in Ordnung.

Natürlich wurde gegen den Referatsleiter Lingen ein Disziplinarverfahren eingeleitet. Auch um eine Versetzung innerhalb seiner Dienststelle kam er nicht drum herum.

Die Frage aller Fragen aber bleibt: Wer hat Lingen angewiesen, die Akten am 11. November 2011 zu vernichten. Warum genau an diesem Tag, als die Bundesanwaltschaft die Ermittlungen übernahm? Wer steckt dahinter? Der Abschlussbericht des NSU-Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages bleibt diese Antwort jedenfalls schuldig.

Dass ein kleiner Referatsleiter und dessen untadelige Sekretärin für die Aktenvernichtung alleine verantwortlich sein sollen ist nicht glaubhaft und geradezu lächerlich.

Wie bei vielen anderen Themen, tun sich auch hier mehr Fragen auf, als beantwortet werden.

The End!