NSU-Prozess 113. VHT – Der Held von Eisenach?

Um 14:05 Uhr beginnt Richter Götzl mit der üblichen Belehrung die Vernehmung von Egon Stutzke, Rentner, 79 Jahre alt. In der Presse wird Stutzke auch häufig als der „Held von Eisenach“ genannt, weil durch seine Aussagen die Existenz des „NSU-Trios“ beendet wurde.

Götzl: „Es geht um Ihre Beobachtungen vom 04. November 2011. Ich möchte Sie bitten, mit Ihren eigenen Worten diese zu schildern. Später werde ich dann genauer nachfragen.“

Stutzke: „Am 04.11.2011 habe ich um 09:25 Uhr die Wohnung verlassen, um bei Lidl einzukaufen. Ich weiß die Uhrzeit, weil ich mich nach der englischen Sportschau, die ich morgens immer schaue auf den Weg gemacht habe. Auf dem Weg dorthin habe ich von der Hauptstraße gesehen, dass links auf dem Parkplatz ein Wohnmobil parkt. Es hatte eine wunderbare Farbe. Die Farbgebung war weiß. Ich hab da öfter hingeguckt. Ich war gerade 15 Schritte links weg, dann kamen 2 Radfahrer förmlich angeflogen und sind Richtung Wohnmobil gefahren. Am Wohnmobil angekommen ging alles sehr schnell. Einer der beiden hat sich sofort auf den Fahrersitz gesetzt. Der andere hat die Fahrräder verstaut. Und dann ging die Post ab: Die sind so schnell angefahren, dass die Vorderräder durchgedreht haben mit sichtbaren Spuren und sind dann mit hoher Geschwindigkeit in Richtung Stregda gefahren. Als sie wegfuhren konnte ich das polizeiliche Kennzeichen erkennen. Es begann mit „V“. Mit dem „V“ habe ich erst nichts anfangen können, aber auf dem Weg zum Lidl ist mir dann klar geworden, dass es sich dabei nur um „Vogtland“ handeln kann. Danach hab ich dann bei Lidl eingekauft, und zwar zwei Flaschen Wasser, 3 Bananen und 3 Brötchen. Auch eine Frischmilch wollte ich einkaufen, die war aber noch nicht da, deswegen hat sich der Einkauf verzögert. Die Verkäuferin hat die Milch dann gebracht und ich bin den gleichen Weg zurück gelaufen. Unterhalb der Zufahrtsstraße kam eine Polizeistreife. Ein Polizist ist ausgestiegen und hat eine Frau gefragt, ob sie Männer mit Fahrrädern gesehen hat. Die Frau wusste aber nichts. Ich bin dann hin und hab mich gemeldet und gerufen: ‚Ja, ich habe sie aber gesehen.‘ Der Polizist hat dann gesagt, dass die eine Bank überfallen haben. Ich habe darauf nur gesagt: ‚Um Gottes Willen, auch das noch.‘

Götzl: „Wann haben Sie die Radfahrer gesehen?“

Stutzke: „Also von der Wohnung, die ich um 09:25 Uhr verlassen habe bis ich sie gesehen habe … Etwa 09:33 bis 09:35 Uhr. Später nicht.“

Götzl: „Können Sie die Radfahrer beschreiben?“

Stutzke: „Ich hab die zwei gesehen. Waren normal gekleidet, keine Kopfbedeckung. Der erste hatte dunkelblondes Haar. Heute wissen wir, dass es Mundlos war.“

Götzl: „Woher wissen Sie das?“

Stutzke: „Aus der Presse.“

Götzl: „Ja, haben Sie den denn von den Bildern erkannt?“

Stutzke: „Den Mundlos hab ich erkannt, den zweiten nicht. Die sind hintereinander hergefahren.“

Götzl: „Können Sie uns etwas zum Aussehen, besonders zur Kleidung sagen?“

Stutzke: „Das ganze ging ja sagenhaft schnell. Ich würde sagen die waren so gelb-grau gekleidet.“

Götzl: „Und zum Alter?“

Stutzke: „Ich schätze mal so um die 30 Jahre.“

Götzl: „Können Sie die Statur der beiden beschreiben?“

Stutzke: „Sportlich. Und leicht gebaut.“

Götzl: „Und die Größe?“

Stutzke: „Kann ich nicht sagen. Die saßen ja auf dem Fahrrad.“

Götzl: „Nochmal zum KFZ-Kennzeichen. Sie haben nur das „V“ erkannt?“

Stutzke: „Nur das „V“.

Götzl: „Haben Sie sonst irgendwelche Personen in der Nähe des Wohnmobils wahrgenommen?“

Stutzke: „Nein. Nur die beiden.“

Götzl mit einem Vorhalt aus der polizeilichen Vernehmung von Stutzke vom 04. November 2011: „Der am Steuer kann gar nicht so groß gewesen sein.“

Stutzke: „Das kann man ja gar nicht einschätzen.“

Götzl mit einem weiteren Vorhalt aus der gleichen Vernehmung: „Würden Sie die beiden Männer wiedererkennen? Wären Sie in der Lage die Personen so zu beschreiben,
dass man ein Phantombild erstellen könnte?“

Stutzke: „Nein.“

Götzl: „Sie sagten aber heute, Sie hätten Mundlos erkannt? Wie bringen Sie das in Einklang?“

Stutzke: „Das Bild ist ja auch erst 8 bis 14 Tage später veröffentlicht worden.“

Götzl: „Können Sie sich an das Aussehen der Fahrräder erinnern?“

Stutzke: „Nein.“

Richter Götzl gibt das Fragerecht an Zschäpe-Verteidiger RA Stahl weiter, der sogleich mit einem Vorhalt aus der heutigen und der ersten polizeilichen Vernehmung beginnt: „Sie sagten heute, Sie hätten die Wohnung um 09:25 Uhr verlassen. In Ihrer Vernehmung steht aber 09:30 Uhr. Woher wissen Sie diese Zeiten so genau?“

Stutzke: „Weil ich morgens eine englische Sportschau, so ähnlich wie das Sportstudio England im Fernsehen anschaue. An dem Tag war um 09:20 Uhr das Fußballspiel aus. Gleich darauf habe ich die Wohnung verlassen.

RA Stahl: „Und wie kommen Sie auf ’15 Schritte‘?“

Stutzke: „Das ist nur eine Einschätzung.“

Götzl mit einem Vorhalt aus der ersten Vernehmung vom 04. November 2011: „… ging gegen 09:30 Uhr von zu Hause los.“

Stutzke: „Da muss sich der Schreiberling wohl vertan haben.“

Wie immer fragt Richter Götzl die Oberstaatsanwaltschaft, Verteidigung und die Nebenkläger, ob noch jemand Fragen an den Zeugen Stutzke hat. Erstaunlicherweise kamen hier keine weiteren Wortmeldungen. Deswegen beendet Götzl die Einvernahme um 14:20 Uhr.

„Vielen Dank. War sehr nett hier.“ Mit diesen Worten verabschiedet sich Egon Stutzke, einer der wichtigsten Zeugen in Sachen NSU. Seine Aussagen – und nur seine Aussagen – haben an diesem 04. November 2011 zur Enttarnung des so genannten „NSU-Trios“ geführt.

Video vom NSU-Prozesstag 128: Aussage Tino Brandt + Zschäpe misstraut ihren Verteidigern.

Am 128. Verhandlungstag im NSU-Prozess ließ Beate Zschäpe über einen Mittelsmann dem Strafsenat am OLG München ausrichten, dass sie ihren 3 Pflichtverteidigern nicht mehr vertraut. Diese Entscheidung traf Zschäpe im unmittelbaren Anschluss nach der Befragung des Neonazis Tino Brandt durch ihre Verteidiger. Tino Brandt, Kopf des Thüringer Heimatschutz (THS), stellvertretender Landesvorsitzender der NPD in Thüringen, bis zu seiner Enttarnung hochbezahlter V-Mann des Landesamtes für Verfassungsschutz Thüringen und guter Bekannter von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt scheint bei seiner Aussage am 128. Verhandlungstag bei Zschäpe einen bleibenden Eindruck hinterlassen zu haben. Wie mit Mundlos und Böhnhardt auch pflegte Brandt auch regelmäßige Kontakte mit Zschäpe.

Hinweis: Dieses Video ist mein „Erstlingswerk“. Deswegen bitte ich um Nachsicht. Die nächsten werden (vielleicht) besser!

Tino Brandt sitzt wegen des Verdachts auf Kindesmissbrauch derzeit in U-Haft. Zu seiner Einvernahme wurde Brandt mit Handschellen gefesselt vorgeführt.


Hier ein Auszug aus der Vernehmung durch Zschäpe-Verteidiger Rechtsanwalt Wolfgang Stahl:

RA Stahl: „Sie antworteten auf die Frage des Herrn Vorsitzenden auf die Frage zur Vollmacht von Frau Zschäpe an RA Eisenecker: ‚Die wollten nach Hause in sozialverträglicher Art.‘ Woher hatten Sie dies Information?“

Brandt: „War ja in unserem eigenen Interesse. Mit ’sozialverträglich‘ meine ich keine 10 Jahre Haft oder so etwas wegen dem Garagenfund. Sie wollten heim, im Vorfeld sollte durch vernünftigen RA den man kennt, auf den man sich verlassen kann sollte das ausgelotet werden, ob das möglich ist mit einer Strafe von 1 bis 2 Jahren oder ohne Haft.“

RA Stahl: „Nochmal: Diese Informationen? Woher? Wer hat Ihnen das gesagt?“

Brandt: „Ich denke, ich habe ein Gespräch mit Ralf Wohlleben geführt. Er war ja mein Ansprechpartner. Eisenecker hat mich ja selbst in mehreren Fällen vertreten, daher hatte ich Kontakt zu ihm. Bei Sitzungen und Prozessen hab ich ihn meist gesehen, deshalb der Kontakt über mich. Eisenecker war ja in Mecklenburg-Vorpommern.“

RA Stahl: „Wie ist der Kontakt zu Eisenecker genau entstanden?“

Brandt: „Keine Erinnerung.“

RA Stahl: „Wie lange waren Sie im politisch rechten Flügel aktiv? Bis 2001, bis zu Ihrer Enttarnung?“

Brandt: „Ja, bis Mitte 2001.“

RA Stahl: „In der ländlichen Region in der Sie politisch aktiv waren? Ich fang mal anders an. Wen gab es denn dort sonst noch?“

Brandt: „Nordhausen, Mühlhausen, Blood & Honour, den Kreis um Michael See. Aber die meisten Aktionen hat der THS durchgeführt. Die politischen Aktionen, das war vom THS.“

RA Stahl: „Inwieweit waren Sie über Aktionen informiert?“

Brandt: „In Thüringen war ich im großen und ganzen informiert. Was Blood & Honour gemacht hat, nicht unbedingt.“

RA Stahl: „Wussten Sie von terroristischen Aktionen?“

Brandt: „Von terroristischen Aktionen war nie was bekannt. Es gab Blood & Honour, die eigene Konzerte gemacht haben, die wir auch besucht haben. Aber die politische Arbeit, die haben wir vom THS gemacht. Also Zeitung, Flugblätter und Aktionen. Die haben wir gemacht.“

RA Stahl: „Sie waren also informiert über Aktionen, die die Rechte Idee nach vorne bringt?“

Brandt: „In den NPD Landesvorstandssitzungen, auch beim THS gab es Kadersitzungen, wo man sich politisch abgestimmt hat.“

RA Stahl: „Ist dort auch über die Idee zu rechten Terrorzellen oder rechte Terrorakte überlegt worden?“

Brandt: „Nein. Wir haben eigentlich immer den Weg der Politik zu gehen versucht. Auch mit Demos versucht, die sind meist verboten worden durch den Freistaat Thüringen, mit wilden Begründungen. Natürlich gab es auch mal Sachbeschädigungen, etwa durch Aufkleber kleben und so. Aber das war der normale politische Weg, unsere Zielsetzung.“

RA Stahl: „Eigentlich politisch? Und nicht doch auch uneigentlich?“

Brandt: „Natürlich ist es bei den Skins in Sonneberg mal zu Körperverletzungsdelikten gekommen. Discoschlägereien und so was.“

RA Stahl: „Ich meine terroristische Aktivitäten?“

Brandt: „Nein. Gab es nicht.“

RA Stahl: „Gestern sagten Sie: Zschäpe war keine dumme Hausfrau. Hatte Zschäpe eigene Ideen entwickelt in Diskussionen? Was haben Sie da konkret in Erinnerung?

Brandt: „Eigene Ideen politischer Art nicht. Sie war ja nicht bei politischen Grundsatzdiskussionen dabei. Eher Diskussionen über Germanentum oder so. Grundsatzdiskussionen fanden damals als Beate neu war noch nicht statt. Später dann mit Kapke Themen mit sozialrevolutionärer Ausrichtung und nationaler Ausrichtung. Aber mit Beate noch nicht.“


 

Der Beginn der Verhandlung nach der Mittagspause wurde mehrfach verschoben. Ein Grund dafür wird nicht genannt. Auf der Besuchertribüne schießen derweil die Spekulationen ins Kraut. Zschäpe sei wieder einmal krank, so wird gemunkelt. Was dann aber geschieht, damit hat niemand, aber wirklich niemand gerechnet:

Der Vorsitzende Richter Manfred Götzl verkündete das „Misstrauensvotum“ nach der Mittagspause. Die Nachricht schlug buchstäblich ein, wie eine Bombe. Der Verhandlungstag wurde abgebrochen, der darauffolgende abgesagt. Auch an diesem Tag war Tino Brandt als Zeuge vorgeladen.

Dem Anschein nach waren sämtliche Prozessbeteiligte, Prozessbeobachter und Pressevertreter von dieser Nachricht völlig überrascht. Auch die Zschäpe-Verteidiger RAin Sturm, RA Stahl und RA Heer schienen von dem entzogenen Vertrauen völlig unvorbereitet getroffen worden zu ein. Die Vertreter der Bundesanwaltschaft schienen nicht minder überrascht.

Was Zschäpe dazu bewogen hat ist zur Stunde (22.07.2014, 07:00 Uhr) noch völlig unklar.

 

 

 

 

 

Zwischenruf: Corelli ist tot, Thomas R. lebt.

Kurz nachdem am 13.04.2014 die ersten Meldungen über den mysteriösen Tod des früheren V-Manns Thomas R. (Deckname: „Corelli“) die Runde machten, explodierten die Besucherzahlen auf meinem Blog.

Der Text, der mit Abstand am häufigsten abgerufen wurde: „100. Prozesstag im NSU-Prozess. Götzls geplatzter Kragen: Nur eine Nebelkerze!“ In diesem Text geht es um die Vernehmung eines Zeugen, der ebenfalls Thomas R. heißt. Die Gemeinsamkeiten mit diesem Thomas R. und dem verstorbenen „Corelli“ beschränken sich lediglich auf den gleichen Vornamen und den gleichen Anfangsbuchstaben des Nachnamens.

Der Thomas R., der am 100. Prozesstag als Zeuge im NSU-Prozess vor dem OLG München aussagen sollte und – nebenbei bemerkt – hemmungslos gelogen und Erinnerungslücken vorgetäuscht hat, ist NICHT „Corelli“!

Sämtliche Kommentare zum oben genannten Text, die sich auf „Corelli“ beziehen, werde ich nicht freischalten.

100. Prozesstag im NSU-Prozess. Götzls geplatzter Kragen: Nur eine Nebelkerze!

Wie Carsten R. ist auch Thomas R. einer dieser extrem unangenehmen Zeugen aus dem unüberschaubaren Unterstützernetzwerk des so genannten NSU.

Thomas R. soll Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe nach ihrem Untertauchen im Jahr 1998 für ungefähr 14 Tage in seiner Wohnung im sächsischen Chemnitz aufgenommen haben. Auch war Thomas R. in der rechtsextremen Szene zumindest zu Beginn der neunziger Jahre höchst aktiv. Vor allem als Mitveranstalter rechtsradikaler Konzerte fiel Thomas R. auf. Deshalb sollte er im NSU-Prozess vor dem OLG München aussagen.

Thomas R. vor dem OLG München am 01.04.2014 - Foto: J. Pohl
Thomas R. vor dem OLG München am 01.04.2014 – Foto: J. Pohl

Viele Zeugen aus dem Umfeld „der Drei“ sind in den vergangenen 100 Prozesstagen durch unverhohlen vorgetäuschte Erinnerungslücken, plötzlichem Gedächtnisverlust oder wegen Falschaussagen, vulgo Lügen in denkwürdiger Erinnerung geblieben. Bis zum 100. Prozesstag blieb dieses Verhalten völlig ungeahndet aber nicht unbeachtet.

Am heutigen symbolträchtigen 100. Prozesstag wollte der Vorsitzende Richter Götzl offenbar ein Zeichen setzen. Während der Vernehmung des Thomas R. war im Gerichtssaal plötzlich das Wort „Ordnungsmittel“ vernehmbar. Soweit nichts ungewöhnliches. Die Vertreter der Nebenklage führten diesen Begriff schon öfters ins Felde. Ordnungsgeld oder Beugehaft gehören untrennbar zu dieser Vokabel und sind auch schon öfters während der Hauptverhandlung gefallen. Aber eben niemals von Götzl selbst. Ein derartiges Ansinnen der Nebenklage wurde bisher ausnahmslos von der Generalbundesanwaltschaft oder vom Senat rigoros abgeschmettert.

Heute war alles anders: Der Vorsitzende Richter Manfred Götzl höchstpersönlich sprach das Wort „Ordnungsmittel“ aus eigenem Antrieb und ohne dass von irgendeiner Seite ein entsprechender Antrag gestellt wurde, von selbst aus.

Die entscheidenden Minuten bis zu diesem bis jetzt einmaligen Ereignis in vollem Wortlaut:

Götzl: „Können Sie was zur Kleidung ‚der Drei‘ sagen?“

Thomas R.: „Kann sein, dass sie was dabei hatten, kann ich aber nicht genau sagen.“

Götzl: „Haben Sie Kleidung zur Verfügung gestellt?“

Thomas R.: „Möglich. Vielleicht ne Jogginghose oder so …“

Götzl: „Die ‚Drei‘ hatten eine Vorliebe für Computerspiele. Hatten die einen PC dabei?“

Thomas R.: „Die? Nee, ich hatte einen!“

Götzl: „und wie war es mit Videos?“

Thomas R.: „“Was wollen Sie wissen? Ob ich welche hatte? Ja! Ich hab immer noch welche.“

Götzl: „Hatten ‚die Drei‘ Waffen dabei?“

Thomas R.: „Nee …“

Götzl: „Wurde mal über Waffen gesprochen?“

Thomas R.: „Nein.“

Götzl: „Wurde mal darüber gesprochen, was zu tun ist, wenn die Polizei kommt?“

Thomas R.: „Die haben halt ‚Sachte‘ gemacht … Die sind nicht in Chemnitz rumgelaufen.“

Götzl: „Ich dachte, die waren mit Ihnen einkaufen?“

Thomas R.: „Ja, mit eenem.“

Götzl: „Eenem?“

Thomas R.: „“Einem.“

Götzl: „Waren Sie mal mit Zschäpe einkaufen?“

Thomas R.: „Möglich. Weiß ich nicht mehr.“

Götzl: „Gab es Gespräche mit einem oder drei der Personen über Fahndungsmaßnahmen?“

Thomas R.: „Wie jetzt? Wann? Hab mit niemandem darüber gesprochen.“

Götzl: „Das war jetzt nicht meine Frage.“

Thomas R.: „Nö.“

Götzl: „Haben Sie mal daran gedacht, sich an die Polizei zu wenden?“

Thomas R.: „Nö.“

Götzl: „Warum nicht? Wenn ‚die Drei‘ doch gesucht wurden?“

Thomas R.: „Nö.“

Götzl: „Überlegen Sie doch noch mal …“

Thomas R.: „Nö.“

Götzl: „Nö ist keine Antwort auf meine Frage.“

Thomas R.: „…“

Götzl: „Wurden Sie aufgefordert, mit niemandem darüber zu sprechen?“

Thomas R.: „Nö .., kam von mir aus. Hab ich von mir aus selber so gemacht.“

Götzl: „Kennen Sie André E.?“

Thomas R.: „Ja.“

Götzl: „Wie lange kennen Sie ihn?“

Thomas R.: „Weiß nicht. Durch Partys und Veranstaltungen eben.“

Götzl: „Wie gut kennen Sie ihn?“

Thomas R.: „Normal … Durch grüßen und so …“

Götzl: „Kannten Sie ihn schon als ‚die Drei‘ bei Ihnen einzogen?“

Thomas R.: „“Nein.“

Götzl: „Wenn Sie das so genau wissen ..?“

Thomas R.: „Muss 2003 oder 2004 gewesen sein. Ist aber nicht sicher.“

Götzl: „Welche Veranstaltungen meinten Sie denn da?“

Thomas R.: „Sportliche und Konzerte.“

Götzl: „Können Sie dazu Näheres sagen?“

Thomas R.: „Was soll ich dazu sagen?“

Götzl: „Na welche Sport ..“ (Wird von Thomas R. unterbrochen)

Thomas R.: „Volleyballturniere, Fußballturniere oder so …“

Götzl: „Sagt Ihnen ‚Blood & Honour‘ etwas?“

Thomas R.: „Ja.“

Götzl: „Was?“

Thomas R.: „Ist eine verbotene Organisation.“

Götzl: „Was ist das für eine Organisation?“

Thomas R.: „Na, ne ziemlich nationale. Das wird wohl jeder wissen.“

Götzl: „Und ’88‘? Was sagt ihnen das?“

Thomas R.: „Ja.“

Götzl: „Was?“

Thomas R.: „Ist ne Zahl, die mit irgend etwas in Verbindung gebracht wird.“

Götzl: „Nochmal: 88?“

Thomas R.: „Muss ich das jetzt sagen?“

Götzl: „Ja. So wie Sie sich verhalten. Ich muss ja alles, alles aus Ihnen herausholen.“

Thomas R.: „Das tut mir aber leid …“

Götzl: „Steht 88 für irgend etwas?“

Thomas R.: “ … “

Götzl: „Wofür steht die Zahl?“

– Pause –

Thomas R.: „Ich weiß es nicht.“

– Gelächter –

Götzl: „Beschreiben Sie mir doch diese Leute, diese ’88er‘ mal. Was waren das für Leute?“

Thomas R.: „Normale Leute eben. Konzerte, Partys haben wir gemacht.“

Götzl: „Wir? Beziehen Sie sich da mit ein?“

Thomas R.: „Ja, damals …“

Götzl: „Damals? Wann?“

Thomas R.: „1998? 2000?“

Götzl: „Haben die ’88er‘ etwas mit ‚Blood & Honour‘ zu tun?“

Thomas R.: „Eigentlich nicht.“

Götzl: „Hatten Sie was mit ‚Blood & Honour‘ zu tun?“

Thomas R.: „Eigentlich nicht.“

Götzl: „hatten Sie jetzt was mit ‚Blood & Honour‘ zu tun? Ja, oder nein“?

Thomas R.: „Bisserl was mitgemacht.“

Götzl: „Was ..?“

Thomas R.: „“Konzerte organisiert …“

Götzl: „Welche Konzerte? Gruppen?“

Thomas R.: „Verschiedene. Internationale Gruppen in Deutschland.“

Götzl: „Was mussten Sie machen? Was waren Ihre Aufgaben?“

Thomas R.: „Verschiedenes ..“

Götzl: „Bitte .., genauer.“

Thomas R.: „Mal Saalschutz, mal jemanden abholen.“

Götzl: „Wer gehörte aus Chemnitz dazu?“

Thomas R.: „Bin zu Veranstaltung hin, das war es dann auch schon …“

Götzl: „Ich fragte nach Leuten, mit denen Sie zu tun hatten.“

Thomas R.: „Das will und muss ich hier nicht sagen.“

Götzl: „Doch!“

Thomas R.: „Will nicht.“

Götzl: „Rechnen Sie mit Ordnungsmitteln!“

Thomas R.: „Ja.“

Götzl: „Wir machen jetzt 5 Minuten Pause. Überlegen Sie sich ob und was Sie Antworten wollen wegen Ordnungsmitteln. Es gäbe da z.B. Ordnungsgeld, Haft, und solche Dinge.“

– Pause von 14:50 bis 15:10 Uhr –

Götzl: Die Frage ist weiterhin Ihr Kontakt zu Personen im Zusammenhang mit ‚Blood & Honour‘. Sie sagten, Sie wollen nicht darauf antworten.

Thomas R.: „Will nicht. Ich hatte eine Hausdurchsuchung und ein Ermittlungsverfahren, dass noch nicht eingestellt ist.“

Götzl: „Bei welcher Staatsanwaltschaft?“

Thomas R.: „Glaube Dresden. Mario Sch. aus Dresden.“

Götzl: „Haben Sie da ein Aktenzeichen?“

Thomas R.: „Nicht hier. Zuhause.“

Götzl: „Gegen wen war das Verfahren gerichtet“?

Thomas R.: „Gegen mich und ‚Blood & Honour‘ ..!“

Götzl: „Dann eben nochmal 5 Minuten Pause.“

RA Hoffmann mischt sich ein und nennt die Fundstelle des Verfahrens

Götzl: „Also dann Pause bis 15:25 Uhr, um das abzuklären.“

Ab 15:35 Uhr wird weiter verhandelt.

Götzl: „Also, laut Auskunft der Staatsanwaltschaft ist das Verfahren eingestellt. Hatten Sie keine Kenntnisse darüber?“

Thomas R.: „Nein.“

Götzl: „Wir werden die Sache prüfen.“

Thomas R.: „Mir wurde nur mein Eigentum zurückgegeben.“

Götzl: „Wir werden die Einvernahme hier unterbrechen müssen, um ein eventuelles Schweigerecht zu berücksichtigen.“

Damit wird der Zeuge Thomas R. zumindest für diesen Tag nach Hause geschickt. Mit einer weiteren Vorladung hat er zu rechnen.

Thomas R. nach seiner Aussage vor dem OLG München am 01.04.2014 - Foto: J. Pohl
Thomas R. nach seiner Aussage vor dem OLG München am 01.04.2014 – Foto: J. Pohl

Bei welcher Stelle der Vernehmung dem Vorsitzenden Richter Götzl der „Kragen geplatzt ist,“ – so wie es in vielen Medien kolportiert wird – ist unklar und wird es vermutlich auch bleiben. Im besten Falle kann die Androhung eines Ordnungsmittels durch Götzl als eine „Nebelkerze“ angesehen werden, geschuldet dem 100. Prozesstag.

Thomas R. reiht sich damit in die unendlich lange Liste von Zeugen ein, die dem Gericht Erinnerungslücken vorspielten und stundenlange Lügengeschichten auftischten.

Der einzige Unterschied beim Zeugen Thomas R. besteht darin, dass erstmals vom Vorsitzenden Richter Götzl mit einem Ordnungsmittel gedroht wurde.

Götzl hätte bei vielen anderen Zeugen reichlich Gelegenheit gehabt, Zeugen mit Ordnungsmitteln an ihre Wahrheitspflicht zu erinnern.

An Beispielen mangelt es wahrlich nicht. Hier nur eine kleine Auswahl:

Juliane W., André Kapke, Carsten R., Jana J., Andreas Temme, Mandy S., Christine H. und ihr Sohn Alexander H., die Eltern von Uwe Böhnhardt, Prof. Mundlos, Sylvia und Alexander Sch., Benjamin G. nebst seinem Zeugenbeistand RA Volker Hoffmann, und, und, und …

NSU-Prozesstag 95: Wenn das Jüngste Gericht ganz alt aussieht. Ein Trauerspiel.

Carsten R. (36) ist wieder einer dieser unerträglichen Zeugen. Man könnte meinen, er wäre ein kleiner Fisch im undurchdringlichen NSU-Sumpf. Carsten R. hat 1998 unter seinem Namen eine Wohnung in Chemnitz für die untergetauchten Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe angemietet. Deswegen wird er am 19. März 2014 vor dem OLG-München im NSU-Prozess als Zeuge vernommen. Das Trauerspiel beginnt um 13:30 Uhr mit der Feststellung seiner Personalien.

Heute wohnt der ehemalige Chemnitzer in München. Als seinen Beruf gibt er „Personaler“ an, verbessert sich aber sogleich. „Personalsachbearbeiter“ sei die korrekte Berufsbezeichnung.

Gefühlte 99 % seiner Antworten bestehen aus diesen Floskeln:

  • „Weiß ich nicht mehr.“
  • „Ist schon zu lange her.“
  • „Kann mich nicht mehr erinnern.“

Seine seltenen Antworten, die inhaltlich auf die Frage eingehen, beendet Carsten R. meistens mit einem Nachsatz wie diesem hier: „… kann ich aber nicht genau sagen.“

So läuft die Befragung Stunde um Stunde. Trotzdem ging der Plan von Carsten R. durch geballtes Unwissen, nichtssagenden Antworten und beinharten Lügen möglichst wenig zu einem Erkenntnisgewinn beizutragen nicht ganz auf.

Auf die Frage des Vorsitzenden Richter Götzl warum ausgerechnet er als Wohnungsmieter für die bereits untergetauchten Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe auftreten sollte antwortete Carsten R. in typischer Art und Weise.

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Bild oben: Vorsitzender Richter Manfred Götzl

Carsten R.: „Man ist an mich herangetreten, ob ich die Wohnung nicht mieten möchte. Ich hab mit einer Maklerin dann eine Wohnungsbesichtigung gemacht.“

Mit so einem allgemeinen Geschwurbel gibt sich ein Richter Götzl natürlich nicht zufrieden. Er hakt sofort nach. Die Vernehmung läuft zu diesem Zeitpunkt maximal 10 Minuten. Bereits jetzt ist für Götzl-Kenner deutlich erkennbar, in welcher Gemütslage sich der Vorsitzende Richter befindet. Nämlich in einer für den Zeugen äußerst bedenklichen.

Im Gegensatz zu anderen Zeugen aus der Naziszene scheint Carsten R. schlecht gebrieft worden zu sein. Oder er hat die Anweisungen, die er – von wem auch immer – zur Vorbereitung seiner Einvernahme nicht verstanden. Der Gesamteindruck von Carsten R. legt letztere Annahme zumindest sehr nahe.

Merklich gereizt fragt Götzl also nach: „Sie sprechen immer von ‚man‘ und ‚wurde‘. Ich erwarte von Ihnen genauere Antworten.“ Götzls Lautstärke nimmt in direkter Korrelation mit der Satzlänge merklich zu.

Carsten R.: „Ich weiß nicht mehr, wer an mich herangetreten ist und wer bei der Wohnungsübergabe dabei war.“

(Gelächter im Saal)

Im Laufe der Vernehmung wird sich herausstellen, dass Carsten R. sehr wohl weiß, wer ihn zur Anmietung der Wohnung überredet hat. Später will Carsten R. sich auch noch daran erinnern können, mit wem er die Wohnung besichtigt hat. Beate Zschäpe soll es gewesen sein, die er bei der Maklerin als seine Freundin vorgestellt hätte, um kein Aufsehen zu erregen. Zschäpe soll auch die Mitunterzeichnerin des Mietvertrages gewesen sein, so sagte Carsten R. Stunden später.

Carsten R. konnte mit seiner letzten Antwort Götzl offensichtlich nicht zufriedenstellen. Götzl ringt wieder deutlich um seine Fassung, scheinbar mit Erfolg. Bemerkenswert ruhig führt er die Befragung weiter.

Götzl: „Jetzt erzählen Sie doch mal von vorne und der Reihe nach.“

Carsten R.: „Hab ich ja. Die Wohnung wurde eben angemietet.“

Ein Kommentar zur psychischen Verfassung von Götzl erübrigt sich an dieser Stelle.

Götzl: „Mit Personen! Bitte!“

Carsten R.: „Kann mich nicht erinnern. Das habe ich auch bei der Polizei schon gesagt.“

Die Vernehmung des Carsten R. durch Richter Götzl lief mehrere Stunden in genau dieser Art und Weise ab. Der Zeuge R. kann oder will sich nicht erinnern. Inhaltliche Antworten sind dermaßen dahingeschwurbelt und mit Nachsätzen relativiert, dass sie völlig wertlos sind.

Zwar wurde Götzl während der Befragung immer wieder laut und stellte seine Fragen aggressiver. Konsequenzen für das Aussageverhalten von Carsten R. stellte Götzl jedoch wieder nicht in Aussicht.

Etwa vier Stunden später wurde es für Carsten R. dann doch etwas ungemütlicher.

Nebenklageanwalt RA Hoffmann kommt gleich mit seiner ersten Frage auf den eigentlichen Kern der Sache.

RA Hoffmann: „Was hat die von Ihnen angesprochene Kameradschaft dazu beigetragen, drei Leute, die von der Polizei gesucht wurden, zu verstecken?“

Carsten R.: „Kameradschaft ist das Gleiche wie Freundschaft.“

RA Hoffmann: „Sie hatten ja nur 2 Freunde. Und zwar den Ro. und den Ho.?“

Carsten R.: „Ist beim Militär nicht anders.“

RA Hoffmann: „Beim Militär ist man in einer Einheit. In welcher Einheit waren Sie denn mit denen?“

RA Stahl beanstandet die Frage, Götzl lässt sie zu.

Carsten R.: „Beim Militär kenne ich die Leute ja auch nicht und lasse mein Leben für die Kameradschaft.“

RA Hoffmann: „Was war dann Ihre Gemeinsamkeit?“

Carsten R.: „Ja, beim …“

(Wird von RA Hoffmann unterbrochen)

RA Hoffmann: „Etwa rechtes Gedankengut?“

Carsten R.: „Ja. Zum Beispiel das Asylrecht.“

RA Hoffmann: „Die Bindung in der Kameradschaft war also der Kampf gegen das Asylrecht?

Carsten R.: „Nein. Man hat mir gesagt, dass die 3 aus rechter Szene kommen.“

RA Hoffmann: Nach 2 bis 3 Jahren gab es Fahndungsaufrufe mit Bildern von den 3. Haben Sie das mitgekriegt?“

Carsten R.: „Nein.“

RA Hoffmann: „Haben Sie sich gar keine Gedanken darüber gemacht?“

Carsten R.: „Nein. Das war mir egal“

RA Hoffmann: „Haben Sie sich 2011 (Anm.: Am 04.11.2011 wurden Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe enttarnt.) bei der Polizei gemeldet?“

Carsten R.: „Nein.“

RA Hoffmann: „Warum nicht?“

Carsten R.: „Bei mir ging es ja um die Wohnung. Und bei denen um Tötung.“

Das Fragerecht hat nun RAin Pinar: „Ist Ihr ‚Egal sein‘ eigentlich grenzenlos?“

Carsten R.: „Ja. Ich hab nicht differenziert, ob die Schokoriegel klauen, oder gerade jemanden umgebracht haben.“

RAin Pinar: „Wie waren Ihre Gedanken, als Sie erfuhren, dass „die 3″ Menschen umgebracht haben?“

Genau an dieser, dieser entscheidenden Stelle, an der die wirkliche Gesinnung des Zeugen ans Licht kommt, grätscht GBA Diemer mitten in die Befragung hinein. Wie immer in solchen Fällen ohne Worterteilung.

Diemer: „Ich beanstande die Frage …“

GBA Diemer Foto: J.Pohl
GBA Diemer Foto: J.Pohl

Diemer wird durch RAin Pinar unterbrochen, schließlich hat sie immer noch das Fragerecht. Sie hat weder erklärt, dass sie keine weiteren Fragen mehr hätte, noch hat irgendjemand GBA Diemer das Wort erteilt.

RAin Pinar: „Ich möchte hier nur auf eine Grundsatzentscheidung zur Beugehaft …“

Bei dem Wort „Beugehaft“ wird RAin Pinar das Mikrofon abgedreht. Jedoch ist sie auch ohne Mikrofon zumindest auf der Besuchertribüne noch einigermaßen gut zu verstehen. „Ich lasse mir hier nicht von Ihnen den Mund verbieten.“

Götzl mischt sich nun auch ein: „Frau Anwältin! Bitte mäßigen Sie sich. Das Wort hat jetzt Dr. Diemer. Bitteschön, Herr Diemer! Sie sind dran.“

Aus den Reihen der Nebenklage sind überdeutlich Unmutsbekundungen ob der Entscheidung Götzls vernehmbar.

Götzl versucht den Tumult im Gerichtssaal, der sich auch auf die Tribüne ausgebreitet hat zu ignorieren: „Also bitte Herr Diemer …“

Diemer: „Ich beanstande die Frage. Die Frage hat nichts mit der Sache zu tun. Wir sind hier nicht das Jüngste Gericht, es ist nicht Aufgabe des Zeugen, sich für Einstellungen zu rechtfertigen, sondern Wahrnehmungen zu bekunden.“

Götzl: „Wenn Sie hier so weiter fragen, dann …“

RAin Pinar unterbricht Götzl: „Die Gesinnung dieses Zeugen ist mir wurscht.“ (sic!)

Jetzt mischt sich RA Hoffmann in die inzwischen völlig außer Kontrolle geratene Diskussion ein: „Dieser Zeuge hier lügt den ganzen Nachmittag und die Bundesanwaltschaft unterstützt das auch noch.“

Götzl: „Ich lasse mich nicht unterbrechen …“

RAin Pinar: (An Götzl gerichtet.) „Dann sagen Sie doch endlich, was Sie sagen wollen.“

Götzl: „Ich habe Ihnen nicht das Wort erteilt. So! Und damit sich die Prozessbeteiligten wieder sortieren können und zur Besinnung kommen, unterbreche ich jetzt die Verhandlung für 10 Minuten.“

Er knallt einen Aktenordner auf das Pult, und verlässt um 17:20 Uhr ohne ein weiteres Wort zu verlieren den Gerichtssaal.

Eine angeordnete Verhandlungspause von 10 Minuten dauert im OLG-München 20 Minuten. Das war schon immer so, das wird immer so bleiben. In Bayern gehen die Uhren eben anders.

Um 17:40 Uhr erteilt Richter Götzl RAin Pinar das Wort.

RAin Pinar: „Bevor ich unterbrochen werde, stelle ich fest, dass eine Befragung des Zeugen nicht mehr sinnvoll ist. Ich stelle hiermit alle Fragen zurück.“

Die nächste Wortmeldung kommt von RA Kienzle: „Wir möchten uns zur Bemerkung von GBA Diemer zum „Jüngsten Gericht“ äußern. Deswegen werden wir alle auf unser Fragerecht verzichten. Dem Zeugen ist überdeutlich klar geworden, dass sein Verhalten von der Bundesanwaltschaft hingenommen wird.“

Richter Götzl versucht noch zu retten, was zu retten ist: „Wir müssen jetzt mit der Befragung des Zeugen fortfahren.“

RA Kienzle: „Wir haben jetzt die Situation, dass die Beanstandung Diemers weiter im Raum steht. Stichwort: ‚Jüngstes Gericht‘.“

Götzl: „Die Befragung des Zeugen steht im Vordergrund.“

RA Kienzle: „Das sehe ich anders. Hier steht ausgesprochen im Raum, dass Nebenkläger Fragen im Stil des „Jüngsten Gerichts“ stellen.

RA Kienzle Foto: J.Pohl
RA Kienzle Foto: J.Pohl

Zschäpe-Verteidiger RA Stahl mischt sich nun auch in den Disput ein: „Also, ich will den Zeugen schon befragen …“

Götzl: „Jetzt ist nicht der Zeitpunkt für irgendwelche Erklärungen. Die Nebenklage hat immer noch das Fragerecht.“

Übrigens: Während der gesamten Diskussion sitzt Carsten R. an seinem Platz am Zeugentisch. Er verfolgt die Auseinandersetzung mit stoischer Gelassenheit. Aus irgendeiner Ecke wird die durchaus berechtigte Frage gestellt, ob es nicht besser wäre, den Zeugen aus dem Gerichtssaal zu schicken. Jedenfalls so lange, bis eine Einigung zum weiteren Prozedere gefunden ist.

RA Hoffmann geht auf die Frage ein: „Wir hatten keine Gelegenheit zu einer Replik auf die Frage von der Kollegin Pinar. Das hier hat schon Eindruck beim Zeugen hinterlassen. Deswegen kann er auch drin bleiben. Wir müssen die Erklärungen abgeben.“

Entweder ist Götzl bis jetzt völlig entgangen, dass der Zeuge – um den sich letztendlich der Streit dreht – immer noch im Gerichtssaal weilt, oder er schickt ihn aus rein oppositionellem Verhalten RA Hoffmann gegenüber genau zu diesem Zeitpunkt (17:45 Uhr) aus dem Saal.

Götzl: (An RAin Pinar gerichtet.) „Die Situation ist jetzt so: Sie haben jetzt das Fragerecht und Sie haben es selbst unterbrochen. Und: Sie haben ein grundsätzliches Problem mit der Aussage von GBA Diemer.“

RAin Pinar: „So ist eine Vernehmung des Zeugen durch die Nebenklage nicht möglich. Wenn die Bundesanwaltschaft genau dann dazwischen springt, wenn der Zeuge erstmals sagt, was seine Gesinnung ist. So kann man keine Fragen aufbauen.“

RA Stahl schlägt sich mit seinem Statement auf die Seite von GBA Diemer. Die Gründe dafür dürften vermutlich nur er und seine Kollegen RAin Sturm und RA Heer kennen: „In der Tat gab es eine Beanstandung von GBA Diemer. Und ich habe seine Geste so verstanden, dass er seine Beanstandung zurückzieht.“

Götzl beschließt, dass der Streit beendet ist. Und scheitert grandios: „Es gibt keinen Streitpunkt mehr. Sie können Ihre Fragen also stellen.“

RAin Pinar ist da grundsätzlich anderer Ansicht: „Dr. Diemer hat wörtlich gesagt: ‚Ich würde die Frage zulassen, wenn ich einen Zusammenhang mit der Sache darstellen kann.‘ Wenn man streng nach StPo gehen würde, dann dürfte er meine Befragung gar nicht beanstanden. Und schon gar nicht mit diesen schrecklichen Worten.“

Götzl: (An RAin Pinar gerichtet.) „Ich bitte Sie ihre Fragen zu stellen.“

Wieder mischt sich RA Stahl ungefragt ein: „Ich sehe 2 Alternativen: Entweder Fragen durch die Nebenklage oder einen Beschlussantrag zur Bundesanwaltschaft.“

RAin Pinar: „Ich beantrage einen Senatsbeschluss, dass ich bei meiner Befragung durch die Bundesanwaltschaft gestört wurde und ich beantrage dazu eine Erklärung verlesen zu dürfen.“

Dieses Äußerung war zwar klar an GBA Diemer gerichtet. OSta Weingarten kommt ihm jedoch mit seiner Antwort zuvor. „Ohne die Sachlichkeit zu gefährden, haben wir Schwierigkeiten, den Antrag zu verstehen.“

OSta Weingarten Foto: J. Pohl
OSta Weingarten Foto: J. Pohl

Weingarten, der Mann fürs Grobe, zeigt mit diesem Satz, wie er die Sache sieht und mit welcher Strategie er den Streit zwischen Nebenklage und Bundesanwaltschaft beenden möchte. Nämlich mit seiner unnachahmlichen Arroganz, kombiniert mit einem „Basta“-Argument. Mindestens seit Gerhard Schröders Kanzlerschaft scheiterte diese Art von Argumentation reihenweise. Im Übrigen scheiterten meist auch diejenigen, die mit „Basta“ eine Meinungsverschiedenheit per Handstreich erledigen wollten.

Zumindest erwähnenswert ist das Verhalten der anderen Mitglieder der Bundesanwaltschaft während dieser Szene. Staatsanwalt Stefan Schmidt wippt grinsend mit seinem Stuhl hin- und her, OSta Anette Greger sieht sich mit ihrem stets freundlichem Blick im Gerichtssaal um, GBA Diemer starrt mit entrücktem Blick ins Leere. Beinahe könnte man meinen, er sieht vor seinem inneren Auge Szenen aus dem Jüngsten Gericht.

OSta Anette Greger Foto: J. Pohl
OSta Anette Greger Foto: J. Pohl

RAin Lunnebach reißt mit ihrer Wortmeldung Diemer aus seiner unergründlichen Gedankenwelt: „Manchmal gibt es in einem so großen Prozess Dinge, denen nicht mit Formalien beizukommen ist, sondern mit Inhalten. Es geht hier um die Formulierung „Jüngstes Gericht“ von Dr. Diemer.

RAin Pinar: „Ich nehme jetzt den Antrag zurück.“

Götzl: (An RAin Pinar gerichtet.) „Wollen Sie jetzt den Zeugen befragen?“ Dass Götzl die Situation grundsätzlich falsch eingeschätzt hat, zeigt die prompte Antwort von RAin Pinar.

RAin Pinar: (An Richter Götzl gerichtet.) „Haben Sie mich nicht verstanden?“ – Pause – „Natürlich nicht!“

RA Stahl wittert seine Chance: „Herr Vorsitzender! Ich wollte nur anmerken, dass wir, die Verteidigung, seit geraumer Zeit auf unser Fragerecht warten.“

Nachdem sich Götzl nochmals vergewissert hat, dass die Nebenkläger wirklich auf die weitere Befragung des Zeugen verzichten, lässt er Carsten R. um 17:55 Uhr wieder in den Gerichtssaal bringen.

RA Heer nimmt als Erster das Fragerecht für die Verteidigung in Anspruch. Carsten R. verhält sich wie immer. Er hat Erinnerungslücken, flüchtet sich in Allgemeinplätze, keine konkreten Erinnerungen an nichts und niemanden.

Völlig unerwartet gewinnt die Befragung des Zeugen an Brisanz, als RA Stahl an der Reihe ist.

RA Stahl: „Haben Sie mitbekommen, dass alle 3 (Mundlos, Böhnhardt, Zschäpe) eingezogen sind?“

Carsten R.: „Ja.“

Zschäpe Verteiger RA Stahl. Foto: J.Pohl
Zschäpe Verteiger RA Stahl. Foto: J.Pohl

RA Stahl: „Woran haben Sie das festgemacht?“

Carsten R.: „Vom Hörensagen.“

RA Stahl: „Haben Sie persönliche Kenntnisse darüber, dass alle 3 dort wohnten?“

Carsten R.: „Nein. Schon wegen der Einrichtung nicht.“

RA Stahl: „Waren denn bei der Unterzeichnung des Mietvertrags weitere Personen dabei?“

Carsten R.: „Nein.“

RA Stahl: „Also definitiv keine 3. Person?“

Carsten R.: „Definitiv kann ich nicht sagen.“

RA Stahl: „Aus exklusiven Verteidigerkenntnissen mache ich Ihnen jetzt einen Vorhalt – das darf ich nämlich . und sage Ihnen jetzt folgendes: Frau Zschäpe war bei der Unterzeichnung des Mietvertrages nicht dabei. Wer, also war dann dabei?“

Carsten R.: „Keine Ahnung. Ich kenne niemanden, der Fiedler heißt.“

RA Stahl: „Haben Sie denn irgendein Bild vor Augen, als Sie den Mietvertrag unterschrieben haben?“

Carsten R.: „Nein.“

RA Stahl: „Haben Sie selbst unterschrieben? Haben Sie eine Erinnerung daran, ob bei der Besichtigung oder erst später der Mietvertrag unterschrieben wurde?“

Carsten R.: „Keine Erinnerung.“

RA Stahl: „Ein ‚Schwarzes Loch‘ also?“

Carsten R.: „Ja …“

Götzl beanstandet die Formulierung „Schwarzes Loch“. RA Stahl ignoriert dies weitgehend und setzt seine Befragung fort: „Ist die Anwesenheit von Frau Zschäpe bezeugbar, oder eine Vermutung?“

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Bild oben: Hauptangeklagte Beate Zschäpe

Carsten R.: „Vermutung.“

RA Stahl: „Wen haben Sie als Pärchen ausgegeben?“

Carsten R.: „Frau Zschäpe …“

RA Stahl:: (unterbricht R. mitten im Satz)

Götzl: „Herr Anwalt! Unterbrechen Sie den Zeugen nicht!“

RA Stahl: „Ich darf den Zeugen unterbrechen, wann ich will!“

Götzl: „Nein. Dürfen Sie nicht!“

RA Stahl: „Doch. Darf ich schon!“

(Gelächter im Saal)

Götzl ringt um Fassung und setzt zu einer Erwiderung an. RA Stahl kommt ihm zuvor und setzt seine Befragung eiskalt und völlig unbeeindruckt fort.

RA Stahl: „Also mit wem haben Sie sich als Pärchen ausgegeben? Mit Frau Zschäpe?“

Carsten R.: „Das ist eine reine Vermutung von mir. Bei der Wohnungsübergabe eben. Wissen tu ich es nicht.“

RA Stahl: „Können Sie Böhnhardt und Mundlos unterscheiden?“

Carsten R.: „Nein.“

RA Stahl: „Und jetzt sag ich Ihnen noch was: Vermutlich hat Böhnhardt als Bürge auf dem Mietvertrag unterzeichnet.“

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Bild oben: Uwe Böhnhardt

(Absolute Stille im Saal!)

Carsten R. antwortet unbeeindruckt. Dass er gerade überführt wurde, seit Stunden gelogen zu haben, lässt in anscheinend völlig kalt.

Carsten R.: „Kann sein …“

RA Stahl: „Keine weiteren Fragen mehr.“

Auf die Wiedergabe der weiteren Befragung kann getrost verzichtet werden. Carsten R. bleibt hartnäckig bei seinem Antwortverhalten.

Nach fast 5 Stunden grotesker Befragung nimmt um 18:15 das Trauerspiel mit der Entlassung des Zeugen sein Ende.

Fazit der Vernehmung: Es sind immens viele Fragen offengeblieben. Carsten R. weiß definitiv mehr, als er vorgibt zu wissen. Er hat Stunde um Stunde beinhart gelogen. Dies wurde ihm beispielsweise beim Themenkomplex Wohnungsbesichtigung und Mietvertrag eindrucksvoll nachgewiesen. Seine Aussagen, dass er mit Beate Zschäpe als Pärchen auftrat und das Zschäpe die Mitunterzeichnerin des Mietvertrages war, wiederholte er mehrmals. Beide Aussagen waren glatte Lügen, die völlig ohne Konsequenzen blieben.

Eine weitere Einvernahme des Zeugen wäre dringend geboten gewesen. Aber nur unter anderen Voraussetzungen wäre sie auch sinnvoll gewesen. Das Problem ist wieder einmal die Bundesanwaltschaft. Eine Bundesanwaltschaft, die wenig Interesse an einem zusätzlichen Erkenntnisgewinn hat, ist zu kritisieren. Eine Bundesanwaltschaft, die aktiv die Bemühungen zur Aufklärung verhindert, ist inakzeptabel, unzumutbar, eine Verhöhnung aller Opfer, ein Schlag ins Gesicht der Hinterbliebenen und unterstützt direkt den Rechtsextremismus.

Die Geschichte dieser Zeugenvernehmung ist aber noch lange nicht zu Ende erzählt.

Kaum hat der Zeuge den Saal verlassen, verliest RA Kienzle eine Erklärung. Die Erklärung bezieht sich auf das direkte Eingreifen der Bundesanwaltschaft auf diese Frage von RAin Pinar an den Zeugen Carsten R.: „Wie waren Ihre Gedanken, als Sie erfuhren, dass „die 3″ Menschen umgebracht haben?“

Hier Auszüge aus der Erklärung:

„[…]

In diese Befragung und damit an entscheidender Stelle griff Dr. Diemer ohne Worterteilung ein und teilte mit, er würde die Frage beanstanden, wenn die Nebenklage nicht den Sachzusammenhang erklären könne.

Wörtlich sagte er:

Wir sind hier nicht das jüngste Gericht, es ist nicht Aufgabe des Zeugen, sich für Einstellungen zu rechtfertigen, sondern Wahrnehmungen zu bekunden.“

Dr. Diemer gab damit zu erkennen, dass die Wahrheitsfindung hier keine Rolle spielen soll, aus seiner Sicht. Mit der Frage soll ganz offenkundig die Glaubhaftigkeit der Angaben des Zeugen insgesamt überprüft werden, weil er zu erkennen gegeben hat, dass ihm bis heute die gesamte Mordserie „egal“ ist.

[…]

Dem Zeugen wurde durch die Äußerung der BAW verdeutlicht, dass sein widersetzliches Aussageverhalten staatliche Rückendeckung bekommt.

[…]

Eine weitere Befragung des Zeugen ist auf dem Hintergrund der Äusserung Dr. Diemers gleichwohl sinnlos.“

Die komplette Erklärung gibt es hier zum Nachlesen: >>

GBA Diemer äußert sich im Anschluss auf die Erklärung folgendermaßen:

„Die Frage, die beanstandet wurde, war: Was hat der Zeuge gedacht, als er von den Taten gehört hat. Der Zeuge hat sich nicht für seine Gesinnung zu rechtfertigen. Ich weise die Unterstellung, nicht an der Wahrheit interessiert zu sein auf das Schärfste zurück.“

RA Stahl ergreift das Wort. Offensichtlich befürchtet er eine nochmalige Eskalation und wittert für heute seine letzte Chance um an seine Rolle als Verteidiger der Hauptangeklagten Beate Zschäpe zu erinnern: „Ich möchte nur noch mal feststellen, dass der Zeuge keine Erinnerung daran hat, dass Frau Zschäpe bei der Unterzeichnung des Mietvertrages anwesend war.“

RA Hoffmann schließt sich mit einer Erklärung nach § 257 StPO an:

„Es wären noch weitere Erkenntnisse vom Zeugen zu gewinnen gewesen, wenn RAin Pinar nicht torpediert worden wäre. Einer der wenigen Punkte, die er sagte, war zum Beispiel, dass er Frau Zschäpe als Ehefrau oder Freundin ausgegeben hatte. Das taktische Verhalten des Zeugen konnten wir nicht aufdecken. Danke dafür, Herr Diemer! Zum Schluss hätte der Zeuge auch Böhnhardt als seine Ehefrau ausgegeben.“

RAin Pinar: „Hätten wir nachfragen können, dann hätten wir auch erfahren können, wen der Zeuge mit ‚wir‘ gemeint hat.“

Dieser Beitrag von RAin Pinar soll hier als Schlusswort in Sachen Vernehmung Carsten R., seiner geplanten Hochzeit mit Uwe Böhnhardt und den Fantasien von GBA Diemer zum Jüngsten Gericht gelten. Der Satz stellt in Kurzform das absolut inakzeptable Verhalten des Senats und insbesondere der Bundesanwaltschaft im Umgang mit Zeugen aus der rechtsextremen Szene eindringlich dar.

Um 18:40 Uhr endet NSU-Prozesstag 95.

NSU-Prozesstag 80: Wortprotokoll der kompletten 3. Vernehmung von Andreas Temme am 29.01.2014.

Wieder geht es bei dieser Vernehmung um nichts weniger, als um die Aufklärung der möglichen Verwicklung des Ex-Verfassungsschützers und Ex-V-Mann-Führers Andreas Temme in den Mord an Halit Yozgat, der am 06. April 2006 in seinem Internetcafe durch 2 Kopfschüsse regelrecht hingerichtet wurde. Es ist hinreichend bekannt und inzwischen auch wasserdicht bewiesen, dass sich Temme zur exakten Tatzeit direkt am Tatort aufhielt.

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Anmerkung: Das nachfolgende Protokoll bezieht sich ausschließlich auf meine persönlichen, handschriftlichen Notizen.

Infos über vermutlich notwendige Updates werden sofort bei Twitter veröffentlicht. Also am besten meinem Account @editor64 folgen!

Zum Update vom 18.02.2014 – 21:00 Uhr >> 

Update vom 19.02.2014 – 07:05 Uhr:

Einen Einblick in die aufgeheizte Atmosphäre im Gerichtssaal, ein Stimmungsbild der Prozessbeteiligten und eine kurze Zusammenfassung zum juristischen Tauziehen vor der Vernehmung des Andreas Temme gibt es im Blog „Querläufer“. >>>

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Andreas Temme am 29. Januar 2014 auf dem Weg zu seiner 3. Vernehmung im NSU-Prozess am OLG München.Embed from Getty Images

Um 13:43 Uhr betritt Andreas Temme den Gerichtssaal. Er gibt sich betont lässig und cool. Nachdem er am Zeugentisch Platz genommen hat, will er etwas in das Mikrofon sagen, dieses verweigert aber seine Dienste.

Götzl: „Herr Kienzle haben Sie etwa den Stecker gezogen?“

Die Frage Götzls löst Heiterkeit im Saal aus, allerdings scheint sich Richter Götzl am meisten über seinen Witz zu amüsieren. Das Mikrofonproblem führt zu einer weiteren Pause.

Während der Pause sitzt Temme am Zeugentisch und wartet wieder einmal auf den Beginn seiner Vernehmung. Noch vor einigen Minuten betont lässig, scheint er jetzt doch deutlich nervös zu sein. Von seiner sonst üblichen Sitzhaltung, die er besonders bei seiner 1. Vernehmung über Stunden unverändert – auch während kurze Pausen – einhielt, ist heute nichts mehr zu sehen. Die Hände hält er spitz beisammen, beinahe so, als ob er beten würde. Er zappelt mit den Füßen, schwingt mal das eine, mal das andere Bein nach vorne, reibt sich am linken Auge, als ob dieses brennen würde. Kurzum: Ein völlig anderes Verhalten als bei den anderen Vernehmungen. Temme ist unsicher. Heute weiß er nicht, was auf ihn zukommt.

Um 13:50 Uhr sind die technischen Probleme behoben. Vermutlich hat RA Kienzle nicht Temmes Mikrofon sabotiert. Jedenfalls hat er den Stecker während der Pause nicht wieder angeschlossen.

Götzl beginnt ohne Umschweife mit seiner Befragung: „Welche Fahrstrecken haben Sie für die Heimfahrt von Ihrem Büro genommen?“

Temme: „Es gab zwei Möglichkeiten. Vom Büro (Anm.: Wolfhager Straße) aus nach links abbiegen in die Gelnhäuser Straße und dann weiter auf die Holländische Straße stadtauswärts. Die andere Möglichkeit wäre rechts weiter auf der Wolfhager Straße, dann in die Mombachstraße und von da aus auf die Holländische Straße. Bei dieser Strecke kommt man am Internetcafe vorbei.“

Götzl: „Sagt Ihnen die Adresse ‚Grüner Weg 33‘ etwas?“

Temme: „Ja, das ist das Polizeipräsidium Nordhessen.“

Götzl: „Und Königstraße 95?“

Temme: „Sagt mir nichts.“

Götzl: „Und wo in Kassel befindet sich die Hauptpost?“

Temme: „In der Unteren Königsstraße, eventuell Hausnummer 95.“

Götzl: „Und Bremer Straße 3?“

Temme: „Sagt mir nichts. Meinten Sie Bremer- oder Jägerstraße 3?“

Götzl: „Bremer …“

Temme: „Sagt mir nichts.“

Götzl: „Wie lautete Ihre Alias-Personalie?“

Temme: „Alexander Thomsen, die Adresse war Untere Königstraße, ungefähr gegenüber von der Hauptpost.“

Götzl: „Haben Sie diese Adresse öfters angefahren?“

Temme: „Ich hatte immer wieder Kontakt zum Staatsschutz und dort die dienstlichen Postfächer geleert.“

Götzl: „Wie häufig?“

Temme: „Etwa einmal pro Woche. Weiß nicht genau.“

Richter Götzl bittet nun Temme nach vorne an den Richtertisch. Temme soll dort eine Google-Karte in Augenschein nehmen. Er schlendert lässig zur Richterbank, stützt sich seitlich auf einer kleinen Ablage ab und sieht sich den vorgelegten Stadtplan mit mehreren eingezeichneten Fahrtrouten lange an.

Temme: „Das ist der normale Weg. Vom Büro über die Gelnhäuser Straße und dann weiter auf die Holländische Straße.“ Er fährt die Strecke mit einem Stift auf dem Plan nach. „Und das ist der andere Weg über die Mombachstraße und dann auf die Holländische Straße.“

Götzl: „Und den unteren Weg? Über den Grünen Weg? Sind Sie den auch gefahren?“

Temme: „Wenn, dann auf dem Weg zum Polizeipräsidium. Hier ist die Hauptpost, da ist meine Alias-Adresse“

Er deutet wieder mit einem Stift auf den Plan. Die Alias-Adresse ist in unmittelbarer Nachbarschaft zur Hauptpost und 3 Minuten Fahrtweg vom Internetcafe Yozgat entfernt.

Temme nimmt wieder am Zeugentisch Platz, gibt sich wieder entspannt und lässig. Götzls nächste Frage trifft ihn sichtlich unerwartet, von seiner Lässigkeit ist plötzlich nichts mehr zu spüren.

Götzl: „Können Sie sich an ein kognitives Interview mit Ihnen erinnern?“

Temme: „Ja, muss wohl 2009 gewesen sein. War der Leiter der Mordkommission Kassel W.. W. hat mich angerufen und gefragt, ob ich bereit wäre, bei einem kognitiven Interview teilzunehmen. Ich habe später dann erfahren, dass es für mich als Beschuldigter nicht möglich gewesen wäre, mitzumachen. Wir haben uns auf einem Parkplatz getroffen und sind dann nach Wiesbaden zur Polizeischule gefahren. Dort fand das kognitive Interview statt.“

Götzl: „Näheres..?“

Temme: „Wir waren zu dritt im Auto. Wir sind dann dort zu einem Psychologen gegangen, der wurde mir vorgestellt. Es war ein einfacher Raum. Der Psychologe sagte, ich solle die Augen schließen, ruhig atmen und mich gedanklich zurück an den Tattag versetzen. Natürlich hat mein Denken beeinflusst, denn wenn ich am Tattag am Tatort gewesen bin, dann müsste ich auch was gemerkt haben. Ich hab mich auch informiert, wie so ein kognitives Interview abläuft. Der hat das aber anders gemacht. Ich will aber den Psychologen da nicht kritisieren.“

Götzl macht Temme einen Vorhalt aus den Akten zum kognitiven Interview mit KHK W.: ‚Beim Betreten des Internetcafe fällt Temme auf, dass die Tür mit Holzkeil offenstand.‘ „Erinnerungen dazu?“

Temme: „Kann sein aus Presse. Eventuell auch neu durch den Psychologen.“

Götzl mit einem weiteren Vorhalt: ‚Temme erinnerte sich an Räume, Beleuchtung und Schreibtischstuhl. Kann aber keine Angaben über Personen machen.‘ „Was sagen Sie dazu?“

Temme: „Ich hab versucht, mich auf das kognitive Interview einzulassen, Dinge wieder zu erinnern. Ich hab auch niemals eine Abschrift bekommen. Es war vielleicht ein Fehler, mich vorher über kognitive Interviews zu informieren.“

Weiterer Vorhalt von Götzl: ‚Temme äußerte die Empfindung ein Geräusch gehört zu haben.‘

Temme antwortet darauf sehr schnell, um einer Nachfrage Götzls dazu zu entgehen: „Das meinte ich ja. Wenn ich dort war, muss ich es ja gehört haben.“

Temmes Plan geht schief. Götzl macht Vorhalt nach Vorhalt: „Da steht: ‚Als würden Möbel gerückt.‘ Das ist ja schon sehr konkret.“

Temme: „Mag sein, dass so etwas in den Medien war. Ich hab gemacht, was der Psychologe gesagt hat. Diese Erinnerungen, z.B. mit dem Stuhl waren für mich sonst nicht präsent. Hatte ja keine Gelegenheit, mich noch vor dem Interview damit zu befassen.“

Götzl unterbindet den Versuch Temmes durch Geschwurbel seine Vernehmung zu verwässern: „Gab es jetzt diese Geräusche?“

Temme: „Kann mich nicht erinnern. Wollte aber dem Psychologen nichts unterschlagen, und dem W. nicht unterstellen, dass er (W.) sich das ausgedacht hat.“

Götzl: „Warum diese Einschränkungen auch 2009?“

Temme: „Wegen Unterschieden zu echten Erinnerungen und Angelesenem aus den Medien …“

Götzl: „Also Pressewissen beim kognitiven Interview?“

Temme: „Ja. Bei anderen Gesprächen aber nicht.“

Götzl: „Warum nicht?“

Temme: „Ich weiß ja nicht, was er mit mir beim Interview gemacht hat. Ich weiß nur, dass ich gesagt habe, dass es schwierig ist, diese Dinge auseinanderzuhalten. Wenn ich ständig beim kognitiven Interview überlegt hätte, was ich selbst erlebt habe und was ich mir angelesen habe, dann hätte das Interview nicht viel bewirkt. Bei Einzelheiten war das nicht der Fall.“

Götzl: „Ja, ging es nicht um Ihre Erinnerungen?“

Temme: „Der W. hat das gesagt. Ich sagte, da mach ich sofort mit. Müssen das einschränken in selbst Erlebtes und Zeitungswissen. Ich hab halt mitgemacht mit bester Motivation. Wenn was dabei raus kommt, dann bin ich mit dabei.“

Temme verhält sich immer noch sehr ungewöhnlich. Er wechselt ständig die Sitzhaltung, er gestikuliert, immer wieder legt er die Hände übereinander, er scharrt mit den Füßen, legt abwechselnd ein Bein über das andere. Von der stoisch über Stunden eingehaltene immer gleichen Haltung mit der Temme vor allem bei seiner 1. Vernehmung auffiel ist absolut nichts mehr übrig geblieben.

Götzl: „Der Psychologe war Sch.?“

Temme: „An den Namen hab ich keine Erinnerung.“

Götzl: „Wie ging es weiter?“

Temme: „Nach dem Interview bin ich 2 Stunden mit Beamten zum Rasthof Kassel gefahren und von dort dann nach Hause.“

Götzl: „Sagt ihnen der Name Irrgang etwas?“

Temme: „Ja. Er war der Direktor des LfV Hessen. Er war mein Vorgesetzter. Ich habe Herrn Irrgang nach meiner Festnahme gesprochen. Hauptsächlich wegen Dingen aus meinem Disziplinarverfahren. War für mich normal, dass er sich mit mir unterhalten hat. Habe gesagt, dass ich jederzeit Rede und Antwort stehen würde zu den Dingen, die ich für das Amt angerichtet habe. Das habe ich ja verbockt.

Götzl: „Was meinen Sie mit ‚verbockt‘?“

Temme: „Denke nicht, dass ich so mit Irrgang gesprochen habe.“

Götzl: „Dann versuchen Sie doch nicht …“

Temme: „Hab Irrgang gesagt, dass ich das unendlich bedauere, auch für die Außenstelle Kassel. Ich hab ihm versichert, dass ich es nicht war. Irrgang sagte, ich hätte ja Familie und möchte, dass das aufgeklärt wird. Ich war bei diesem Gespräch ziemlich aufgewühlt.

Götzl: „Sie sagten ‚ich war das nicht‘. Was haben Sie damit gemeint?“

Temme: „Dass ich nicht für die Morde (sic! Plural!) verantwortlich bin. Ich hab ihm auch das mit dem Krümel Haschisch erklärt und gesagt, dass ich selbstverständlich keine Drogen nehme.

Temme zeigt bei diesen Sätzen eine für ihn völlig atypische Reaktion. Erst dreht er beide Hände mit der Handinnenfläche nach oben, gleich danach lehnt er sich zurück und verschränkt beide Arme vor dem Oberkörper.

Götzl: „Wann war das Gespräch?“

Temme: „Irgendwann nach dem 9. Mai. Die Kalender hatte ich ja danach nicht weiter geführt, brauchte die nicht. Hatte nur wenig zu tun.“

Götzl: „Haben Sie mit Irrgang über den Aufenthalt im Internetcafe in der Holländischen Straße gesprochen?“

Temme: „Weiß nicht mehr, ob ich ihm den Ablauf beschrieben habe. Vermutlich habe ich das in der dienstlichen Erklärung gemacht.“

[5 Minuten Lücke wegen Ausfall Kugelschreiber.]

Götzl: „Mir geht es darum, was sie noch selbst erinnern.“

Temme: „Denke, ich hab mir … An solche Einzelheiten in meiner Erinnerung nicht. Ich sagte, ich bin nicht der Täter. Habe aber keine genaue Erinnerung mehr.

Götzl: „Sagt Ihnen der Name F. etwas?“

Temme: „Ja, der Leiter der Außenstelle Kassel (Anm.: vom LfV Hessen). War ein Kollege von mir.“

Götzl: „Haben Sie mit ihm über den 6. April 2006 gesprochen?“

Temme: „Ich hab F. nach dem 21. April 2006 ein Mal getroffen. Er sagte, ich solle meine Sachen abholen. Das war nach meiner Festnahme. Die Stimmung meiner Kollegen mir gegenüber war nicht besonders positiv. F. sagte, er hätte einen Termin und ist weggefahren.“

Götzl: „Können Sie dafür einen ungefähren zeitlichen Rahmen nennen?“

Temme: „Ich vermute Anfang 2007. War ja klar, dass es etwas ungeschickt wäre, die Dienststelle zu besuchen, wenn die Polizei gegen mich ermittelt.“

Götzl: „Haben Sie mit F. telefonisch über den 6. April gesprochen?“

Temme: „Soweit ich mich erinnere: Nein. Das Verhältnis war nicht mehr freundschaftlich, sondern eher etwas eisig. Es gab aber einen telefonischen Kontakt mit einem Kollegen von F. wegen dem Grillfest am Tattag.

Götzl: „War das jetzt ein Kontakt mit F., oder …“

Temme: „Ich glaube, es war der Herr G.?“

Götzl: „Der Gegenstand des Telefonats war ein Grillfest zu einem Termin der früheren Morde? Auf einem Film von dem Fest waren Sie zu sehen?“

Temme: „Ja.“

Götzl: „Gab es ein Telefonat mit F. nach dem 6. April 2006?“

Temme: „Möglicherweise hat er mich von der Arbeit aus angerufen. Das 1. Fax mit der Suspendierung hatte ich am 24. April 2006 im Briefkasten.“

Götzl: „Haben sie im Telefonat über den 06. April 2006 gesprochen?“

Temme: „Glaube nicht. Habe Wortlaut nicht mitgeschrieben. Das war wohl kurz, das Telefonat.“

Götzl: „Und Telefonate mit anderen Kollegen? Thema: Angaben bei der Polizei?“

Temme: „Nein, nicht dass ich wüsste. Denke nicht.“

Götzl: „Mal darauf angesprochen worden wegen Polizei?“

Temme: „An so eine Frage kann ich mich nicht erinnern. Denke das war jedem klar, dass sie sich rauszuhalten haben.“

Götzl kontert mit einem Vorhalt: „Dem Gericht liegt ein TKÜ-Protokoll vom 29. Mai 2006 vor. Ein Telefonat zwischen Ihnen und dem Herrn F.. Erinnerungen dazu?“

Temme: „Im Moment nicht.“

Götzl zitiert weiter: „Temme teilte mit, dass sein Sohn geboren wurde. Keine Erinnerung?“

Temme: „Kurz davor kam unser Sohn auf die Welt. Weiß nicht genau. Im Moment keine Erinnerung.“

Götzl: „Gar keine Erinnerung zum Inhalt?“

Temme: „Nein, gar keine.“

14:40 Uhr: Richter Götzl ordnet eine Pause für 10 Minuten an. Andreas Temme verlässt den Saal zur Pause. Er geht tief gebeugt, keine Spur mehr von der vermeintlichen Coolness, die er nur eine Stunde vorher noch ausstrahlte.

Um 15:05 führt Götzl die Befragung fort: „Also noch mal zu dem Telefonat vom 29. Mai 2006!“

Temme: „Ich hab in der Pause versucht, das nachzuvollziehen. Wir haben damals zur Geburt unseres Sohnes von den Kollegen eine Karte bekommen. Ich muss oder kann dazu nur sagen: Mein Leben stand völlig auf dem Kopf. Ich war Beschuldigter in einem Mordanschlag, in einer unfassbaren Mordserie. Vieles ist mir nicht mehr gegenwärtig.“

Götzl: „Sagt Ihnen der Name H. etwas?“

Temme: „Ja, vom Verfassungsschutz Hessen, war der Geheimschutzbeauftragte.“

Götzl: „Haben Sie mal mit H. gesprochen?“

Temme: „Habe zu mehreren Gelegenheiten mit H. auch in Wiesbaden gesprochen. Thema war, dass ich es nicht gewesen bin.“

Götzl bestätigt die letzte Aussage mit einem Vorhalt: „Ich bin es nicht gewesen, hatten Sie H. gesagt.“

Temme: „Ja, natürlich. Das hab ich jedem gesagt. Es lässt sich kaum ein Treffen erdenken, an dem ich das völlig ausgeblendet hätte. Ich habe versucht nachzuvollziehen, wann ich mit Vorgesetzten gesprochen habe. Ich kann nicht wiedergeben, mit wem ich was besprochen habe.“

Götzl: „Zu Herrn M? Kennen Sie den?“

Temme: „Ja, Herr G. …“

Götzl: „Ja, ich meinte den Herrn M. …“

(Zur Erklärung: Die vollen Nachnamen von Herrn M. und Herrn G. sind akustisch kaum zu unterscheiden. Deswegen kam es immer wieder zu Nachfragen, wer von den beiden gemeint ist.)

Temme: „Herr M. war mein Abteilungsleiter.“

Götzl: „Was haben Sie mit den beiden besprochen?“

Temme: „Mit G., dass ich es nicht gewesen bin. Und über das Video vom Grillfest. Mit M. auch, da nicht in …“

Götzl: „Einzelheiten der Gespräche?“

Temme: „An Einzelheiten kann ich mich nicht mehr erinnern. Aber zum Gespräch mit M. fällt mir was ein. Er hat gesagt: ‚Ich hoffe, dass Du es nicht warst.‘ Es steckte dahinter, dass wenn ich es gewesen wäre, kein Kollege mehr mit mir geredet hätte.“

Götzl: „Ja, warum ..?“

Temme: „Wenn ich es gewesen wäre, dann hätte ich von niemandem was zu erwarten gehabt. Also im menschlichen Sinne.“

Götzl: „Weiter ..!“

Temme: „Ich hatte selten den Eindruck, dass die Kollegen dachten, dass ihnen jemand gegenüber sitzt, der 9 Menschen ermordet hat. Bei G. war es anders. Der sagte dann: ‚An dem Tag warst Du auf meiner Gartenparty.'“

Götzl zitiert aus dem TKÜ-Protokoll des Telefonats vom 29. Mai 2006: „F.: ‚Hast Du denn schon von einer Reaktion gehört?‘ Temme: ‚Bisher noch nicht, der H. meinte, ein Termin bei Herrn Irrgang ist eher wahrscheinlich, wenn die Polizei zu einem Ergebnis gekommen ist.‘ Erinnerungen dazu?“

Temme: „Keine genauen Erinnerungen.“

Götzl: „Erinnerungen zu H.? Vielleicht zum Telefonat?“

Temme: „Hilft mir nicht weiter. Vielleicht nicht an H. …“

Götzl: „Ja gut. Aber die Formulierung, wo H. das mit dem Termin meint, die stammt ja wohl von Ihnen.“

Temme: „Kann mich nicht an Inhalte im Einzelnen erinnern …“

Götzl: „Irrgang? Herr F.? Erinnerung?“

Temme: „Nein? Keine Erinnerung.“

Götzl zitiert weiter aus der TKÜ: „… wie Du das beim Irrgang gemacht hast …“

Temme: „Könnte mir denken wegen meiner dienstlichen Erklärung damals. Nachvollziehen kann ich es nicht.“

Götzl: „Welche Funktion hatte der F.?“

Temme: „Leiter der Außenstelle Kassel.“

Götzl: „Und mit Ihnen?“

Temme: „Im Zuge der polizeilichen Ermittlungen? Es hat mich niemand darüber informiert. Natürlich hatte F. dieselben Unterlagen zum Staatsschutz wie ich auch. Das ging mich damals aber nichts an.“

Götzl: „Haben Sie sich mit Irrgang getroffen?“

Temme: „Muss zwangsläufig nach dem 29. Mai 2006 gewesen sein.“

Götzl: „Und nochmal: Die Formulierung von F. bezüglich Irrgang?“

Temme: „Vielleicht fühlte er sich übergangen. Ich weiß nicht, was er von mir wollte.“

Götzl: „Worauf bezieht sich F. da?“

Temme: „Kann ich nicht sagen. Vielleicht auf die Dienstliche Erklärung.“

Götzl: „Nochmals der Vorhalt aus der TKÜ: ‚… wie Du das beim Irrgang gemacht hast […] so restriktiv wie bei der Polizei, also Du hast denen alles dargestellt.‘ Erinnerung jetzt?“

Temme: „Ich hab bei der Polizei immer wieder alles gesagt.“

Götzl: „Hat es vor dem 29. Mai 2006 ein Gespräch mit Herrn Irrgang gegeben?“

Temme: „Denke eher danach. Kann ich nicht 100%ig sagen.“

Götzl: (jetzt deutlich schärfer) „Jetzt denken Sie mal nach!“

Temme: „Hab ich auch schon versucht. Auch in den letzten Monaten. Das war ja auch Thema in Berlin im Untersuchungsausschuss. Das konnte ich auch da nicht nachvollziehen. Denke, das muss später stattgefunden haben.“

Temme rutscht seit einigen Minuten immer wieder mit seinem Stuhl nach hinten und wieder zurück. Ebenfalls ein neues Verhaltensmuster.

Götzl: „Wie war Ihre E-Mail-Identität im Internetcafe?“

Temme: „wildman70“

Götzl: „Und ‚Jörg Schneeberg‘?“

Temme: „Ich hab den Namen wahllos angegeben.“

Götzl: „Und die Adresse dazu in Kassel?“

Temme: „Ja. Bruderstraße.“

Götzl: „Oder Bremer Weg?“

Temme: „Ja …“

Götzl: „Also rein fiktiv?“

Temme: „Rein fiktiv.“

Richter Götzl gibt das Fragerecht an die Bundesanwaltschaft weiter.

Fragerecht bei Bundesanwaltschaft.

StA Schmidt: „Wann waren Sie nach dem 6. April 2006 noch mal auf der Seite ‚ilove.de‘?“

Temme: „Kann ich nicht sagen. Wenn, dann muss das zwischen dem 6. und dem 21. April 2006 gewesen sein.“

StA Schmidt: „Gibt es bei ‚ilove.de‘ Zeitstempel?“

Temme: „Ich kann Ihren Gedankengang nachvollziehen. Ich weiß es aber nicht.“

Bundesanwalt Diemer hat offenbar immer noch Schwierigkeiten bei der Unterscheidung der Herren G. und M.: „Können Sie mir noch mal erklären, wer jetzt der Herr M. und der Herr G. ist?“

Temme: „Also der Herr M. ist Abteilungsleiter und der Herr G. ist pensioniert Abteilungsleiter.“

Fragerecht bei Nebenklage.

Das Fragerecht wechselt nun zu den Nebenklägern. RA Bliwier beginnt: „Es geht mir um die Zeit nach dem Mord. Genauer die Zeit zwischen dem 7. und dem 10.April 2006. Sie sagten, Informationen über den Mord waren in diesem ‚Extra-Tipp‘.“

Temme: „Richtig.“

Bliwier: „Wann sind Sie am Montag zur Dienststelle gefahren?“

Temme: „Kann ich nicht sagen.“

Bliwier: „Gar keine Erinnerung?“

Temme: „Ich kann nur sagen, wie es üblich war. Sonst habe ich keine Anknüpfungspunkte.“

Bliwier: „Aufgrund des Zeitungsartikels hatten Sie ja das Bedürfnis zu erfahren, wann Sie Dienst hatten, nehme ich an.“

Temme: „Keine Erinnerung.“

Bliwier: „Hatten Sie ein Gespräch mit der Frau E.?“

Temme: „Ich weiß das vom letzten Mal hier. An Einzelheiten habe ich keine Erinnerung.“

Bliwier: „Hatten Sie außer aus dem ‚Extra-Tipp‘ Informationen aus den Medien?“

Temme: „Weiß nicht mehr …“

Im Saal ist aus allen Richtungen tiefes Seufzen zu vernehmen.

Bliwier: „Sie sagten, dass auf Ihrer Dienststelle die HNA (Anm.:

Hessische/Niedersächsische Allgemeine) ausliegt.“

Temme: „Ja.“

Bliwier: „Und? Reingeschaut in die HNA?“

Temme: „Kann sein. Aber das wäre spekulativ.“

Bliwier: „Ich habe hier einen Aktenvermerk von KOK T.. Demnach hatten Sie ein Gespräch mit der Frau E. mit dem Thema, ob Sie das Opfer kennen würden und ob es einen dienstlichen Bezug mit dem LfV Hessen gäbe. Haben Sie dazu eine Erinnerung?“

Temme: „Nein. Das hatten wir ja schon im Dezember hier.“

Bliwier: „Nach dem Aktenvermerk haben Sie Frau E. gesagt, das Internetcafe nicht zu kennen.“

Temme: „Das war nicht korrekt …“

Bliwier: „Also doch Erinnerungen?“

Wieder wurde Temme ertappt, dass er unwahr aussagte.

Bliwier: „Sie hatten vorher über Ihre Gefühlslage am Wochenende berichtet. Und dann frage ich Sie zum Montag. Wie kann das sein, dass Sie an diesen Tag keine Erinnerungen haben.

Temme: (schwimmt, deutlich in die Enge getrieben) „Keine Erinnerung.“

Bliwier: „Und zu Hintergründen zur Tat? Stichwort: ‚Regionaler Bezug‘?“

Temme: „Kann ich nichts Konkretes dazu sagen.“

Bliwier mit einem weiteren Vorhalt: „Und dazu eine Erinnerung? ‚Waffe bei mehreren Taten im Bundesgebiet eingesetzt‘.“

Temme: „Keine Erinnerung.“

Bliwier: „Hatten Sie das erfahren?“

Temme: „Kann sein …“

Bliwier: (jetzt mit deutlicher Schärfe) „Wie erfahren?“

Temme: (kaum hörbar) „Nein …“

Bliwier: „Sie konnten das mit der gleichen Waffe also so rekonstruieren?“

Temme: „Ja … Irgendwie …“

Bliwier: (jetzt sehr scharf) „War das eine Schlussfolgerung von Ihnen? Ich frage noch mal. Es geht um die gleiche Waffe, die bei mehreren Taten eingesetzt wurde. Hatten Sie Informationen oder war es eine Schlussfolgerung?“

Temme: „Ich denke, ich hab die Information irgendwie bekommen.“

Bliwier: „Ist es möglich, dass im ‚Extra-Tipp‘ bereits was von der Waffe stand?“

Temme: „Keine Erinnerung dazu …“

Bliwier: (noch schärfer) „Also ich kann Sie aufklären. Im ‚Extra-Tipp‘ stand nichts von der Waffe.“

Temme: „Wenn es da nicht drin stand, dann konnte ich es …“

Bliwier: „Diesen Vorhalt aus eigener Recherche muss ich jetzt einfach mal so machen.“

Allgemeines Schmunzeln im Saal.

Bliwier: „Die ‚HNA‘ hat am Montag nicht über den Mord an Yozgat berichtet. Ich erwarte jetzt endlich eine Konkretisierung Ihrer Informationen. Können Sie das?“

Temme: „Nein.“

Bliwier: „Die erste Information über die Waffe erschien bei ‚Spiegel Online‘ am Montag um 16:40 Uhr. Verstehen Sie jetzt, warum ich wissen will, wann Sie am Montag im Amt waren? Verstehen Sie mich? Ich will Ihnen gerne helfen, Herr Temme!“

Gelächter im Saal.

Temme: „Nein.“

Bliwier: (fassungslos) „Wenn Sie am Montag früh im Amt waren und mit Frau E. über die Waffe sprachen, dann können Sie die Information nicht aus den Medien haben.“

Temme: (verzweifelt) „Ich weiß nicht, wann, wo und wie …“

Bliwier: „Falls wir feststellen, dass Sie am Montag mit Frau E. über die Waffe sprachen, dann haben Sie ein Problem. Das verstehen Sie?“

Temme: „Ja.“

Bliwier: „Sie bleiben dabei? Information aus Zeitung oder Internet.“

Temme: (laut, aggressiv) „Oder eben aus Gesprächen. Ich habe nicht gesagt, dass ich es aus der Zeitung oder dem Internet habe, wenn Sie die Dinge hier verdrehen!“

Hier zeigt Temme zum 1. Mal nach zig Stunden Vernehmung Nerven. Er wird laut und gestikuliert.

Bliwier: „Ich verstehe, dass Sie jetzt aufgeregt sind. Deswegen lasse ich diese Unverschämtheit von Ihnen mal beiseite.“

Götzl mischt sich ein: „Das ist das Problem, wenn hier Vorhalte gemacht werden, die nicht korrekt sind.“

Bliwier: „Ich hätte mir gewünscht, dass Sie eher mich unterstützen als Herrn Temme.“

Temme: „Darf ich auch was sagen..?“

Gelächter

Götzl: (genervt, scharf) „Zu was?“

Temme: „Ich hab aus Medien erfahren, was RA Bliwier von sich gibt. Da kann man sich schon mal ereifern.“

Götzl: „Jetzt bleiben Sie mal sachlich! Sie sind hier verpflichtet, die Wahrheit zu sagen. Das hatten wir schon mal erörtert.“

Temme: (kleinlaut) „Ja, das ist mir bewusst …“

Bliwier: „Sie haben doch gerade Internet und Zeitungen ausgeschlossen. Dafür bringen sie jetzt Gespräche mit der Polizei vor. Das ist ein enges Zeitfenster von Sonntag bis Montag. Falls Sie mit Frau E. am Montag über die Waffe gesprochen haben – so steht es jedenfalls in den Akten – dann können Sie ja vorher keine Gespräche mit Ermittlern geführt haben.“

Temme: (wieder laut, aggressiv) „Sie haben mir doch vorgehalten, dass ich am Montag bei der Polizei war!“

Bliwier: (sehr scharf, zunehmend laut) „Ja. Nach dem Gespräch mit Frau E. Sie haben laut Aktenvermerk gesagt, Sie würden das Opfer nicht kennen, wenn wir hier schon bei Befindlichkeiten sind. Sie haben die Unwahrheit gesagt!“

Daraufhin kommt es zu tumultartigen Szenen. Die Zschäpe-Verteidiger RA Stahl und RAin Sturm melden sich gleichzeitig und lautstark zu Wort.

RA Stahl setzt sich durch: „Herr Vorsitzender!. Ich beanstande das. Das ist eine Erklärung von Bliwier!“

Bliwier: (cool, süffisant) „Ja ja, ist ja schon vorbei … Herr Temme, mit welchen Beamten haben Sie vor dem Gespräch mit Frau E. gesprochen ..?

RAin Sturm interveniert sofort: „Ich beanstande …“

Götzl unterbricht und springt Sturm bei: „Ich muss diese Frage beanstanden. Herr Temme hat davon nichts gesagt. Sie, Herr Bliwier haben das mit Ihrer Frage eingeführt.“

Bliwier: (unbeeindruckt) Herr Temme, haben Sie an diesem Montag …“

Wieder interveniert RAin Sturm: „Ich beanstande auch das. RA Bliwier hakt wieder nach, obwohl Herr Temme bereits gesagt hat, dass er dazu keine Erinnerung hat.“

Bliwier: (cool, amüsiert) „Ich finde es schon erstaunlich, dass die Verteidigung genau zu diesem Punkt und nach 75 Prozesstagen mal eine Aktivität entfaltet.“

Lautstarke, verärgerte Zwischenrufe aus den Reihen der Verteidigung.

Bliwier: (unbeeindruckt) „Ich habe das nicht zur Sprache gebracht, sondern der Zeuge hier. Herr Temme, Sie selbst haben gesagt, dass Informationen zur Waffe auch von anderen Personen gekommen sein könnten.“

Temme: „Weiß nicht. Ich hab das so nie gesagt. Denkbar eventuell bei der Polizei, aber das wäre Spekulation.“

Bliwier: „Denkbar? Das müssen Sie mir erklären.“

Temme: „Ich weiß nicht, was ‚denkbar‘ ist. Das hilft mir auch nicht weiter. Es kann sein, dass ich beim ‚ZK 10‘ (Anm.: Zentrale Kriminalinspektion 10 Hessen. Zuständigkeit für Staatsschutz, Sprengstoffdelikte) verschiedenen Personen begegnet bin und dort was aufgeschnappt habe. Von wem und wann, das weiß ich nicht mehr.“

Bliwier: „Die Information war am Montag um 16:40 Uhr öffentlich.“

Götzl: (laut, scharf) „Herr Rechtsanwalt! Sie haben diesen Vorhalt bereits gemacht und als Ihre eigene Recherche bezeichnet. Das steht nicht fest, nur weil Sie es als Vorhalt verwenden. Dann stellen Sie halt einen Beweisantrag. Jetzt tun Sie doch nicht so, als ob Sie nicht wissen würden, wie das geht. Ich will aber niemanden unterbrechen …“

Gelächter im Saal.

Bliwier: (cool, völlig unbeeindruckt) „Herr Vorsitzender. Dann möchte ich doch gerne, dass Sie mich nicht unterbrechen. Ich weiß nämlich, wie das geht.“

Götzl: (gereizt) „Jetzt machen Sie mir Vorwürfe. Das kann ich gar nicht haben. Deswegen machen wir jetzt 10 Minuten Pause. Punkt!“

Es ist 15:55 Uhr. Die weitere Vernehmung scheint noch interessant zu werden. Offenbar hat sich Richter Götzl während der Pause beraten lassen und hat einen Beruhigungstee getrunken. Die weitere Verhandlung beginnt um 16:07 Uhr ungewöhnlich pünktlich und anders als gedacht.

Götzl: „Also, die Fragen von Herrn RA Bliwier haben schon ihre Berechtigung. Wir müssen das jetzt ruhig und sachlich voranbringen.“

Ungläubiges Staunen überall.

Götzl: (an Temme gerichtet) „Da sollten Sie sich mal anstrengen.“

Bliwier: „War dieser Montag schon mal Thema einer Vernehmung?“

Temme: „Ja.“

Bliwier: „Ich meinte den Montag, den 10. April 2006. Gespräch mit Herrn F, der Frau E. mit den Themen Relevanz für den LfV Hessen und Internetcafe. Erinnerungen dazu?“

Temme: „Nein.“

Bliwier mit einem Vorhalt: „Ich zitiere: ‚Am Montag Nachmittag war ich beim ZK 10 bei Herrn M.‘ Erinnerungen?“

Temme: „Ich hab da kein konkretes Bild dazu, keine konkreten Erinnerungen.“

Bliwier jetzt mit einem Vorhalt aus dem TKÜ-Protokoll: „Ich lese Ihnen das einfach mal vor: ‚Finden die denn was?‘ ‚Ja was jetzt dabei herauskommen muss, wenn die die Termine und das alles abgleichen, ja.‘ Irgendwelche Erinnerungen dazu? Das Gespräch war immerhin 9 Minuten lang.“

Temme: „Nein.“

Bliwier zitiert ungerührt weiter aus dem TKÜ-Protokoll: „Also dann eben weiter: ‚Es geht ja nicht um mich, es geht nicht um alle, es geht um die Kasseler Problematik. Und in der Kassler Problematik sitzt Du ja ein bisschen drin, ne?‘ Und? Kommt da was?“

Temme: „Ich kann mit der Äußerung nichts anfangen. Vielleicht ist es was mit Herrn F.?“

Bliwier: „Also ‚Kasseler Problematik“ sagt Ihnen nichts?“

Temme: „Nein. Kann alles Mögliche sein. Es kann um die Morde (sic! Plural!) gehen, oder um die Außenstelle, ich weiß es nicht.“

Bliwier: „Und dazu? ‚Und so wie mir der H. erzählt hat […] bei der Hausdurchsuchung hier hast du ja vieles zugegeben und das ist ja jetzt das Problem …‘ Erinnerung?“

Temme: „Nein.“

Bliwier: „Also weiter.“ ‚Es fehlt eine Minute, hat er mir gesagt. Eine Minute und diese Minute ist das ganze Problem.‘ Und?“

Temme: „Ich nehme an, dass H. das kurze Zeitfenster angesprochen hat.“

Bliwier: „Ich kann mich nicht in den Herrn H. von der Kripo versetzen. Es gibt noch mehrere Gespräche mit Herrn F., wo über diesen Sachverhalt gesprochen wird. Erinnerungen?“

Temme: „Wenn ich mich an ein Telefonat nicht erinnere, dann kann ich auch nicht ausschließen, ob es möglicherweise auch andere gab.“

Bliwier: „Tja, das ist eben der Vorteil einer TKÜ. Weil, man kann diese Gespräche anhören. Sie bleiben also dabei? Ich erinnere Sie nochmals ausdrücklich: Unter Wahrheitspflicht! Sie bleiben also wirklich dabei: Keine Erinnerung an Telefonat?“

Temme: „Ja.“

Bliwier: „Scheint so zu sein … Woher wissen Sie eigentlich von der TKÜ?“

Temme: „Vielleicht über Medien, jedenfalls nicht persönlich. Vielleicht auch über Anwalt, als ich mir den genommen hatte.“

Bliwier: „Es gab ja auch ein Telefonat mit Frau P., die froh war, dass Sie sich einen Anwalt genommen haben.“

Temme: „Dazu habe ich keine Information bekommen.“

Bliwier: „Haben Sie denn Ihrem Rechtsanwalt eine Schilderung des Sachverhalts aus ihrer Sicht gegeben?

Temme: „Vermutlich.“

Bliwier: „Vermutlich? Oder wissen Sie es?“

Temme: „Ein Anwalt wird wohl nachfragen, wenn es um Mordverdacht geht. Sonst hab ich keine konkreten Erinnerungen dazu.“

Bliwier: „Was haben Sie mit dem Rechtsanwalt besprochen?“

Temme: „Keine Ahnung. Mein Leben stand damals auf dem Kopf.“

Bliwier: „Keine Erinnerungen..?“

Temme: „Ich weiß, dass ich hingefahren bin. Zum Gespräch habe ich keine Erinnerung.“

Bliwier: „Hat sich denn der Rechtsanwalt Notizen gemacht?“

Temme: „Ich weiß nicht.“

Bliwier: „Und der Name des Anwalts?“

Temme: (an Götzl) „Ist das ein Problem mit dem Innenverhältnis zum Anwalt?“

Götzl: „Nein, die Frage nach dem Namen ist zulässig.“

Temme: „Rechtsanwalt P..“

Bliwier: „Entbinden Sie ihn von der Schweigepflicht?“

Temme: „Ja .., nein .., ich weiß nicht …“

Götzl klärt Temme geduldig über eine Entbindung von der Schweigepflicht auf.

Temme: „Muss ich das jetzt entscheiden? Ich persönlich hab kein Problem, kann ich das auch später ..? Schriftlich vielleicht ..?

Götzl: (jetzt fürsorglich, väterlich) „Geht auch später, auch schriftlich.“

Temme: „Und vielleicht kann ich das mit dem Rechtsanwalt noch besprechen ..? Dass das jetzt geht, war mir nicht bekannt.“

Bliwier: „Haben Sie sich auf Ihre Vernehmung hier als Zeuge konkret vorbereitet?“

Temme: „Ich hab mich natürlich damit beschäftigt. War ja im Untersuchungsausschuss des Bundestages. Ich hab es versucht.“

Die oben stehende Aussage ist extrem verkürzt dargestellt. Temme kommt nach Bliwiers Frage ins schwurbeln, er redet viel Zusammenhangloses.

Bliwier: „Meine Frage war eigentlich konkreter gestellt. Haben Sie Ermittlungsakten vorliegen?“

Temme: „Nein, ich hab keine.“

Bliwier: „Haben Sie irgendeine Ermittlungsakte eingesehen?“

Temme: „Außer der Abschrift vom NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages nichts. Der Rat von meinem Rechtsanwalt war, die Polizei weitermachen zu lassen, damit die Polizei zu ihren Spuren kommt. Ich glaube auch, dass der Anwalt keine Akteneinsicht hatte.“

Bliwier: „Also ich stelle fest: Nur einige Unterlagen Bundestagsuntersuchungsausschuss …“

Temme: (schwurbelt wortreich) „Ja.“

Bliwier: „Hatten Sie zur Vorbereitung hier Kontakte zum VS Hessen?“

Temme: „Nein. Nur wegen der Aussagegenehmigung. Der persönliche Berater wusste nicht mal mehr meine Adresse. Soviel zu meinen Kontakten.“

Bliwier: „Sonst keinen Kontakt?“

Temme: „Nein.“

Bliwier: „Sonst irgendwelche Kontakte? Zum Bundesamt für Verfassungsschutz vielleicht? Ermittlungsbehörden?“

Temme: „Nein.“

Bliwier: „Mit anderen Personen vorbereitet? Zum Beispiel mit Ermittlungsbehörden anderer Art?“

Temme: „Nein. Nur im familiären Bereich. Nicht mit offiziellen Stellen. Nur wegen der Aussagegenehmigung eben Kontakt zum VS, der war aber nicht tiefer gewesen.“

Als nächster Anwalt der Nebenklage ist um 16:30 Uhr RA Kienzle an der Reihe. Der bittet um eine Pause bis 16:45 Uhr. Richter Götzl genehmigt dies.

Andreas Temme ist durch die Fragen von RA Bliwier merklich in die Enge getrieben worden. Sein Verhalten während der Pause ist deutlich nervöser als bei allen anderen Vernehmungen.

Die Pause endet um 16:50 Uhr. RA Kienzle beginnt mit seiner Befragung: „Zu Ihrer Dienstlichen Erklärung vom 9. Mai 2006: Können Sie mir da die näheren Umstände schildern, wie es dazu kam?“

Temme: „Jedenfalls hab ich keine Erinnerungen an Telefonate diesbezüglich.“

Kienzle: „Was haben Sie aus der Presse von Telefonaten in Erinnerung?“

Temme: „So dicht wie möglich an der Wahrheit bleiben.“

Kienzle: „Haben Sie das auch in Verbindung mit dem Verfassungsschutz gesagt?“

Temme: „Keine Erinnerung. Ist aber möglich, dass so ein Satz gefallen ist, was für mich aber keine Bedeutung hatte. Ich wollte nicht so nah wie möglich an der Wahrheit bleiben, sondern die Wahrheit sagen.“

Kienzle macht einen Vorhalt aus dem TKÜ-Protokoll vom 9. Mai 2006: ‚ … so nah wie möglich an der Wahrheit bleiben …‘ „Erinnerungen dazu?“

Temme: „Nein. Gab noch ein Interview mit KHK W. …“

Kienzle mit einem weiteren Vorhalt: ‚H. stellt fest, Temme wisse was vom Mord …‘ „Erinnerungen?“

Temme: „Nein.“

Zschäpe spricht! (beinahe)

Unvermittelt wendet sich Götzl der Hauptangeklagte Beate Zschäpe zu und spricht sie direkt an: „Bauen sie ab, Frau Zschäpe? Da Sie öfters die Augen schließen, muss ich Sie dies fragen.“

Zschäpe erwidert Götzl im direkten Gespräch. Leider ohne Mikrofon, deshalb muss die Öffentlichkeit weiter auf den ersten Satz der Hauptangeklagten im NSU-Prozess warten.

Götzl: (väterlich, beinahe fürsorglich)  „Wir werden heute nicht mehr allzu lange machen.“

Kienzle gibt sich mit der chronischen Gedächtnisschwäche des Andreas Temme nicht zufrieden und hakt – sichtlich unbeeindruckt ob der Sorgen Götzls zu Zschäpes Befindlichkeiten – nach.

Temme: „Wenn H. meint: ’nah an der Wahrheit‘, dann schreibe ich die Wahrheit.“

Kienzle: „Ganz konkret: Woran erinnern Sie sich beim Abfassen der Dienstlichen Erklärung?“

Temme: „Ich habe mich beim Abfassen an die Wahrheit gehalten.“

Kienzle: „Und die Tatrekonstruktion? Der Besuch mit der Polizei im Internetcafe?“

Temme: „Das waren etwa 4 bis 6 Polizisten. Denke es wurde auch ein Video davon gemacht.“

Kienzle: „Denke es wurde ein Video ..?“

Temme: „Ich habe einen Polizisten mit Videokamera gesehen. Ich weiß nicht, was er damit gemacht hat.“

Kienzle: „Und das Interview mit dem Fernsehen?“

Temme: „Konkreter, bitte?“

Kienzle: „Sagen Sie spontan was dazu!“

Temme: „Das Nachrichtenmagazin ist auf uns zu gekommen. Es gab eine gewisse Zeit schriftlichen Kontakt. Wir haben mit dem Nachrichtenmagazin besprochen, was die sich genau vorstellen. Wir hatten bis dahin keine guten Erfahrungen mit den Medien gemacht. Es gab dann Film- und Tonaufnahmen.“

Kienzle: „Das sind dazu Ihre Erinnerungen ..?“

Temme: „Ging über 2 Tage …“

Kienzle: „Von Anfang an. Ab ‚kamen auf uns zu‘, bitte.“

Temme: „Meine Familie …“

Kienzle: „Ab ’schriftlichen Kontakt‘ …“

Temme: (laut, aggressiv, empört) „Darf ich? Darf ich fragen, was das hier mit dem Fall zu tun hat?

Kienzle: „Vielleicht wegen der Aussagegenehmigung?“

Temme: „Es ging nur darum, was mit uns passiert ist. Deswegen dazu keine Genehmigung nötig. Im Interview hat es auch eine Frage zur Quelle gegeben, die hier auch schon vernommen wurde. Ich habe dazu aber im Interview nichts gesagt. Ich hab von vornherein klargestellt, dass es keinen dienstlichen Bezug geben wird.“

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Link zum Video >> Panorama  Nr.755 vom 05.07.2012 „Nazi-Mord: Warum ein Verfassungsschützer am Tatort war“ (Minute 07:40 bis 08:15) 

Transkript:

OFF: Andreas T. ist kein Nazi. Aber der Zufall will, dass alles mit allem zusammen zu passen scheint. Kurz bevor er sich am Tag des Mordes auf den Weg ins Internetcafé macht, telefoniert er ausgerechnet mit seinem V-Mann aus der Nazi-Szene. Ist das nicht die Verbindung zum Terror-Trio? Oder Zufall?

O-Ton Andreas T.: Es ist ja so, dass ich über meine dienstlichen Dinge nichts sagen kann, auch wenn mir das sehr helfen würde in meiner Situation. Aber es – ich habe keine Verbindungen nach Thüringen. Es gibt gar nichts, was mich mit dieser Sache verbinden würde.“ 

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Kienzle: „Sehen Sie! Hier erinnern Sie sich sehr gut an die Quelle. Was war der Hintergrund?

Temme: „Ich hab mit KHK W. meine Kalender angeguckt …“

Kienzle: „Sie meinten das ’12-Minuten-Telefonat‘ mit der Quelle?

Temme: „Vielleicht. Eben das, wo er sein Geld von mir haben wollte.“

Kienzle: „Wie regelmäßig haben Sie das Internetcafe in Kassel besucht?“

Götzl interveniert scharf: „Das wurde schon gefragt. Und zwar von mir!“

Kienzle: (genervt) „Dann bitte ich um eine kurze Unterbrechung!“

Götzl: (laut, scharf) „Sehen Sie, wir haben Herrn Temme schon vorher vernommen. Bereiten Sie sich bitte besser vor!“

Kienzle: „Herr Vorsitzender: Sie haben Herrn Temme drei Tage befragt und wollen mir jetzt keinen …“

Götzl unterbricht RA Kienzle und beendet den heutigen Verhandlungstag plötzlich, unerwartet und ohne erkennbare Notwendigkeit um 17:10 Uhr. Auch die vorherige Vernehmung am 63. Prozesstag, den 3. Dezember 2013 wurde von Götzl derart abrupt abgebrochen. Ein Verhalten, das der Vorsitzende Richter Götzl bisher ausschließlich bei den Vernehmungen des Ex-Verfassungsschützers und Ex-V-Mann-Führers Andreas Temme gezeigt hat.

Götzl gib Temme zum Abschied noch den Rat, sich über die Entbindung der Schweigepflicht seines Rechtsanwalts Gedanken zu machen.

RA Bliwier findet gerade noch die Zeit anzumerken, dass es sich empfehle, auch Herrn Irrgang, Herrn F. und Frau E. vorzuladen.

Andreas Temme wird nach bisherigem Kenntnisstand am 12. März 2014 wieder vorgeladen. Herr Irrgang, Herr F. und Frau E. werden am 11. und 12. März 2013 aussagen.

Mit ausdrücklichem Dank an Christiane und Stefan für die Unterstützung!

NSU-Prozess: Staatlich geförderte Lügen?

Der vom Landesamt für Verfassungsschutz bestellte „Zeugenbeistand“ für den ehemaligen V-Mann Benjamin G. Rechtsanwalt Volker Hoffmann hat am 64. Prozesstag im NSU-Prozess offenbar unwahr ausgesagt. Diesen Verdacht legt zumindest eine Meldung der Frankfurter Rundschau vom 06.12.13 nahe. Demnach hatte laut Frankfurter Rundschau ein Sprecher des hessischen Verfassungsschutzes bestätigt, dass RA Hoffmann vom hessischen Verfassungsschutz nicht nur für die Vernehmung von Benjamin G. am 04.12.13 vor dem OLG München bestellt und bezahlt wurde, sondern auch für eine Vernehmung von G. durch das BKA im Jahr 2012.

Der hessische Verfassungsschutz hat bestätigt, dass er beim Rechtsterrorismus-Verfahren in München den Anwalt für einen früheren Zuträger aus der rechtsextremen Szene bezahlt hat. Auch bei der Vernehmung durch das Bundeskriminalamt im Jahr 2012 habe die Behörde den Rechtsanwalt Volker Hoffmann für den früheren Rechtsextremisten Benjamin G. entlohnt, sagte ein Sprecher des Verfassungsschutzes der Frankfurter Rundschau am Donnerstag.

Quelle: Frankfurter Rundschau vom 06.12.13

Genau diese Vernehmung vom 26.04.12 war unter anderem ein Thema im NSU-Prozess am 04.12.13. Auf die Frage von Nebenklageanwalt Bliwier, ob G. sich an diese Vernehmung erinnere, antwortet dieser nach mehreren Nachfragen mit „nein“. Auch RA Hoffmann hat laut meiner Mitschrift der Vernehmung keine Erinnerung mehr an die Befragung durch das BKA: Schenkt man der Meldung der Frankfurter Rundschau glauben, dann hat RA Hoffmann eindeutig vor dem OLG München gelogen.

Hier die entsprechende Passage der Verhandlung am 04.12.13:

Bliwier macht einen weiteren Vorhalt aus dem Vernehmungsprotokoll des BKA vom 26.04.2012: „Sie hatten damals folgendes ausgesagt: ‚Danach hatte ich bis zum 23.04.2012 mit dem LfV überhaupt keinen Kontakt mehr. An diesem Tag bin ich von zwei Mitarbeitern aufgesucht worden, die mich auf die heute stattfindende Vernehmung ansprachen.‘ Haben Sie das verstanden?“

– Stille –

Richter Götzl erklärt in einfachen Worten die Frage nochmals.

– Stille –

Bliwier: „Herr G., hat Ihr Zeugenbeistand die Vernehmung vom 26.04.2012 in seinen Akten?“

– Stille –

Bliwier: „Kennen Sie diese Vernehmung?“

G.: „Ich hab hier keine Zettel.“

Bliwier: „Ob Sie die Vernehmung überhaupt kennen…“

Hoffmann: „Wir haben keinerlei Protokolle bekommen.“

Bliwier: „Nochmal: ‚Danach hatte ich bis zum 23.04.2012 mit dem LfV überhaupt keinen Kontakt mehr. An diesem Tag bin ich von zwei Mitarbeitern aufgesucht worden, die mich auf die heute stattfindende Vernehmung ansprachen.‘ Erinnern Sie sich?“

G.: „Nein.“

Zum vollständigen Artikel >>

NSU-Prozess Tag 64: Staatlich gedeckte Kriminalität und Aussageverweigerung.

Am 64. Verhandlungstag im NSU-Prozess steht die Vernehmung eines Informanten des ehemaligen Verfassungsschützers Andreas Temme an. Benjamin G. stand bis 2007 als Informationsquelle aus der rechten Szene unter der Führung von Andreas Temme im Dienste des hessischen Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV). Die Aussage von G., der bis vor Kurzem der Öffentlichkeit allenfalls als ominöse „Quelle 389“ bekannt war, könnte sich für den NSU-Prozess als Meilenstein erweisen. Benjamin G. könnte allen Verschwörungstheorien, die sich um seinen EX-Chef Temme ranken, den Nährboden entziehen, oder aber auch bestätigen. Den Hoffnungen, dass G. neue Erkenntnisse zur Verwicklung von Andreas Temme in den Mord an Halit Yozgat liefert, steht jedoch sein zwielichtiger Zeugenbeistand RA Volker Hoffmann entgegen. Nach offizieller Lesart hat G. sein Recht als Zeuge wahrgenommen und sich zur fachkundigen Unterstützung für seine Vernehmung einen Anwalt engagiert. Nach fast zweitägiger Vernehmung erscheint die Sachlage aber völlig anders: Der Verfassungsschutz Hessen hat RA Hoffmann für Benjamin G. engagiert und bezahlt. Aber nicht als Zeugenbeistand, der seinem Mandanten beisteht, sondern als Aufpasser, der dafür zu sorgen hat, dass G. die hessischen Verfassungsschützer nicht in peinliche Situationen bringt. Dass Hoffmann für den hessischen Verfassungsschutz arbeitet, stellte sich im Rahmen des 64. Prozesstages im NSU-Prozess nach einer zähen Verhandlung spät, viel zu spät heraus. Ein vom Verfassungsschutz bezahlter Rechtsbeistand, der einen ehemaligen Informanten des Verfassungsschutzes bei dessen Vernehmung vertritt, mag nicht ungewöhnlich sein. Interessanter ist es schon, wenn Hoffmanns Mandant Benjamin G. seinen ehemaligen V-Mann-Führer und damit den Verfassungsschutz selbst erheblich belasten könnte. Ein bedenklicher Interessenskonflikt. Deshalb muss die Frage erlaubt sein: Wessen Interessen hat RA Hoffmann zu wahren? Die seines Mandanten Benjamin G.? Oder doch die Interessen des V-Mann-Führers Andreas Temme? Oder ausschließlich die Interessen des Verfassungsschutzes?

RA Hoffmann ist nicht „irgendein“ Anwalt.

RA Volker Hoffmann fungierte im Dunstkreis des Schreiber-Prozesses als Anwalt von Holger Pfahls. Vor seiner Flucht und anschließender Verhaftung und Verurteilung wegen Betrugs, Vorteilsannahme, Steuerhinterziehung und Bankrotts war Holger Pfahls von 1985 bis 1987 Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz und bis 1992 Staatssekretär im Verteidigungsministerium.

Im Prozess gegen Pfahls wurde RA Hoffmann zu acht Monaten Haft auf Bewährung und einer Geldbuße von 100 000 Euro verurteilt, wegen Beihilfe zum Bankrott. Laut Staatsanwaltschaft ist das Urteil rechtskräftig. Unter anderem lies RA Hoffmann Pfahls zur Tarnung in seiner Kanzlei „arbeiten“.

„Am 12. August 2005 verurteilte das Landgericht Augsburg Pfahls wegen Vorteilsannahme und Steuerhinterziehung zu zwei Jahren und drei Monaten. Als Verteidiger immer fest an Pfahls Seite: der Anwalt Volker Hoffmann. Spätestens nach einem Urteil des Amtsgerichts Augsburg vom Januar 2013 ist amtlich, dass Hoffmann Pfahls geholfen hat, Geld vor Gläubigern zu verstecken. […] Pfahls wurde nach seiner Verurteilung 2005 schon im Herbst desselben Jahres freigelassen. Danach arbeitete er vier Jahre in Hoffmanns Kanzlei – so hatte zumindest der Anwalt stets erklärt. Offensichtlich war dies aber nur Tarnung: Ein Bauunternehmer aus Bayern hatte mit Hoffmanns Kanzlei einen fingierten Beratervertrag geschlossen, zahlte dafür auch Honorar, das Pfahls bekam – es war allerdings Pfahls’ eigenes Geld aus zwei Millionen Euro, die er bei einer Briefkastenfirma mit Konto in Luxemburg gebunkert hatte.“

Quelle: Allgemeine Zeitung – Rhein Main Presse v. 25.05.2013

RA Hoffmann hat deswegen einige lukrative Aufträge und Mandanten verloren. Jetzt ist er offenbar vorwiegend für den Verfassungsschutz tätig. Der Grund dafür könnte vielleicht sein, dass er dem ehemaligen Chef des Verfassungsschutzes Holger Pfahls in seiner Kanzlei „Asyl“ gewährt hat. Man hilft sich eben unter ehemaligen Kameraden.

Eine wirklich bemerkenswerte, bedenkliche Konstellation.

Bedenklich ist nicht nur diese konfuse Gemengelage. Bedenklich ist auch, dass ein Rechtsanwalt über mehrere Stunden vor den Augen von zig Anwälten unerkannt als Handlanger des Verfassungsschutzes agiert und sich als „Zeugenbeistand“ ausgibt. Dass die Verfassungsschützer in Hessen RA Hoffmann ganz offiziell schriftlich beim OLG München anmeldeten und dass dies keiner der Prozessbeteiligten wusste, ist ebenfalls bedenklich. Das betreffende Schreiben LfV Hessen wurde im Verlauf der Verhandlung am späten Nachmittag von einer Anwältin der Nebenklage allem Anschein nach durch Zufall entdeckt. Diese Entdeckung führte zum Abbruch des 64. Prozesstages. Dass Hoffmann ganz offensichtlich von der Thematik – freundlich formuliert – wenig bis gar keine Ahnung hatte ist vielleicht für den Verfassungsschutz bedenklich, sonst aber eher interessant.

Die Vergangenheit Hoffmanns, seine halbseidenen Kontakte zur ehemaligen Spitze des Bundesamtes für Verfassungsschutz und seine rechtskräftige Verurteilung wegen Beihilfe zum Bankrott scheint die deutsche Presse nicht einmal ansatzweise zu interessieren. Das ist ebenfalls bedenklich. Lediglich der von mir hoch geschätzte Journalist Franz Feyder thematisiert dies in den Stuttgarter Nachrichten vom 06.12.13.

So kam es zur Enttarnung Nr. 1 eines Geheimdienstlers während der Vernehmung von Benjamin G.

Zu seiner Vernehmung erscheint Benjamin G. mit dem Rechtsanwalt Volker Hoffmann als „Zeugenbeistand“. Gleich zu Beginn der Vernehmung zeigt sich RA Hoffmann als ein um seinen Schützling sehr besorgten Beistand. So lässt er G. die Beantwortung seiner Adresse auf seine Veranlassung hin verweigern. „Es besteht eine gewisse Gefährdungslage“, so RA Hoffmann. Richter Götzl lässt den Einwand zu, als ladungsfähige Anschrift wird die Adresse von Hoffmanns Kanzlei protokolliert. Die von Götzl verlesene Aussagegenehmigung des LfV Hessen erlaubt G. eine Aussage mit gewichtigen Einschränkungen. So erlaubt der hessische Verfassungsschutz nur die Beantwortung von Fragen, die direkt mit dem Verhältnis zu Andreas Temme zu tun haben. Hoffmann erweist sich im Laufe der Verhandlung als diensteifriger Aufpasser, um mögliche Verstöße gegen die Einschränkungen der Aussagegenehmigung gleich im Keim zu ersticken. Zu Beginn der Vernehmung erscheint Hoffmann jedoch etwas übermotiviert zu sein: Immer wieder steht er G. bei der Vernehmung hilfreich und wortreich zur Seite. Nebenklageanwalt Erdal kritisiert dieses Verhalten scharf, nach einem kurzen Wortgefecht zwischen Richter Götzl, RA Hoffmann und RA Erdal hält sich der „Zeugenbeistand“ dann doch etwas zurück.

Im weiteren Verlauf der Vernehmung macht sich RA Hoffmann zusehends verdächtig, eventuell nicht nur die Interessen seines Mandanten Benjamin G. zu vertreten.

Runde 1

Runde 1 der ersten Enttarnung eines Geheimdienstlers im Verlauf der Vernehmung des Zeugen Benjamin G. wird kurz nach 14:00 Uhr durch eine simple Frage von Nebenklageanwalt Bliwier eingeläutet: „Sind Sie vom Verfassungsschutz einmal befragt worden?“

G.: „Vom Verfassungsschutz direkt, oder was?“

Bliwier: „Ja.“

G.: „Nein. Nur von der Polizei.“

RA Bliwier macht in seiner Befragung einen kurzen Themenwechsel, um dann mit einem Vorhalt seine Frage zu präzisieren. Da die Bundesanwaltschaft seit Wochen die Beiziehung der Ermittlungsakten zu Andreas Temme verweigert schließt sich eine Zwangspause von 15 Minuten an, um die Fundstelle für alle Prozessbeteiligten zu kopieren. Nach der Pause stellt Bliwier die gleiche Frage, nur etwas präziser formuliert: „Gab es beim Verfassungsschutz Befragungen Ihrer Person zu Temme?“

Die überraschende Antwort von G. kommt prompt, kurz und knapp: „Ja.“

Bliwier: „Ach? Jetzt haben Sie also doch eine Erinnerung?“

G.: „Ich hatte ja Zeit, draußen zu überlegen.“

Bliwier will durch seinen Vorhalt herausfinden, ob Benjamin G. kurz vor einer Vernehmung durch die Polizei im April 2012 Kontakt mit dem hessischen Verfassungsschutz hatte. Der sich anschließende Frage und Antwort Marathon lässt Prozessbeobachter im Zweifel, ob G. wirklich zu einfach strukturiert ist, um Bliwiers Fragen zu beantworten, oder ob ein begnadeter Schauspieler am Zeugentisch sitzt. Hoffmann hält so lange still, bis Bliwier näher wissen will, ob G. genauere Erinnerungen an die Verfassungsschützer hat, die ihn befragt hatten.

„Die Aussagegenehmigung lässt die Beantwortung dieser Frage nicht zu“, fährt Hoffmann dazwischen.

Bliwier kontert sofort: “ Ich halte die Frage für zulässig, der Zeuge soll selbst darüber entscheiden. Sonst halte ich ein Ordnungsmittel gegen ihn für gerechtfertigt.“

Diese für Bliwier ungewöhnliche Schärfe ruft Richter Götzl auf den Plan: „Ein Ordnungsmittel ist hier nicht der richtige Weg.“

Bliwier: Ich bin der Auffassung, dass die Aussagegenehmigung die Beantwortung dieser Frage zulässt. Ich finde es erstaunlich, dass RA Hoffmann hier interveniert. Ich bitte darum, diesen Vorgang zu protokollieren.“

Inzwischen findet ein engagierter Gedankenaustausch zwischen RA Hoffmann und Benjamin G. am Zeugentisch statt. Wer hier wem seine Meinung aufzwingt, ist selbst von der Besuchertribüne leicht zu erkennen.

Nach 20 Minuten Verhandlungspause verkündet RA Hoffmann auf Nachfrage von Richter Götzl das Ergebnis seiner Beratungen mit seinem Mandanten: „Wir haben uns beraten. Wir möchten vor einer Entscheidung die Frage noch mal hören.“

Bliwier wiederholt und präzisiert seine Frage noch einmal: „… durch wen vom Verfassungsschutz befragt.“

Hoffmann: „Das habe ich befürchtet. Die Aussagegenehmigung lässt eine Beantwortung nicht zu.“

Nach einem kurzen, aber heftigen verbalen Scharmützel meldet sich Nebenklageanwalt Scharmer zu Wort: „Wer ist hier eigentlich der Zeugenbeistand? Der Rechtsanwalt oder der Verfassungsschutz? Ich beantrage den Zeugenbeistand auszuschließen, weil er nicht nur für den Mandanten, sondern auch für den Verfassungsschutz spricht. Für wen spricht RA Hoffmann? Herr Hoffmann, können Sie das beantworten?“

Damit hat RA Scharmer das Signal zur 2. Runde gegeben. Der Verdacht, dass Hoffmann für den Verfassungsschutz Hessen agiert, steht im Raum.

Anstatt zu antworten berät sich Hoffmann abermals mit Benjamin G. am Zeugentisch.

Bliwier: „Ich finde es schon erstaunlich, dass man sich da beraten muss. Aber ich verlasse mal diesen Punkt, damit wir weiter kommen.“

Bliwier wendet sich einem anderen Thema zu. Benjamin G. zeigt sich nun noch begriffsstutziger als jemals zuvor. Ein zähes hin- und her, dass durchaus tragikomische Elemente enthält, schließt sich an.

Hoffmann versucht die Notbremse zu ziehen: „Ich wollte nur anmerken, dass der Zeuge seit 04:30 Uhr unterwegs ist und dadurch jetzt ein beschränktes Aufnahmevermögen hat.“ Im Saal macht sich daraufhin eine gewisse Heiterkeit breit.

Bliwier: „Na dann sagen Sie das doch einfach.“

Wieder kurzes Wortgefecht, wieder versucht Götzl zu vermitteln. Diesmal mit Erfolg.

„Ist jemand vom Landesamt für Verfassungsschutz Hessen an Sie herangetreten, bevor eine Vernehmung bei der Polizei stattgefunden hat?“ Mit dieser Frage versucht Bliwier einen Überraschungsangriff, der aber sofort von Hoffmann pariert wird: „Aussagegenehmigung!“

Bliwier: „Herr Vorsitzender! Ich beantrage den Ausschluss des Zeugenbeistands! Nochmals: Ist jemand vom Verfassungsschutz vor dem 26.4.2012 an Sie herangetreten?“

– Stille –

Götzl (zu Benjamin G.): „Wissen Sie eigentlich, um welche Vernehmung es jetzt geht?“

G.: „Nein. Ich blicke gar nicht mehr durch.“

Bliwier macht einen weiteren Vorhalt aus dem Vernehmungsprotokoll des BKA vom 26.04.2012: „Sie hatten damals folgendes ausgesagt: ‚Danach hatte ich bis zum 23.04.2012 mit dem LfV überhaupt keinen Kontakt mehr. An diesem Tag bin ich von zwei Mitarbeitern aufgesucht worden, die mich auf die heute stattfindende Vernehmung ansprachen.‘ Haben Sie das verstanden?“

– Stille –

Richter Götzl erklärt in einfachen Worten die Frage nochmals.

– Stille –

Bliwier: „Herr G., hat Ihr Zeugenbeistand die Vernehmung vom 26.04.2012 in seinen Akten?“

– Stille –

Bliwier: „Kennen Sie diese Vernehmung?“

G.: „Ich hab hier keine Zettel.“

Bliwier: „Ob Sie die Vernehmung überhaupt kennen…“

Hoffmann: „Wir haben keinerlei Protokolle bekommen.“

Bliwier: „Nochmal: ‚Danach hatte ich bis zum 23.04.2012 mit dem LfV überhaupt keinen Kontakt mehr. An diesem Tag bin ich von zwei Mitarbeitern aufgesucht worden, die mich auf die heute stattfindende Vernehmung ansprachen.‘ Erinnern Sie sich?“

G.: „Nein.“

Bliwier: „Brauchen Sie wieder eine Pause?“

G.: „Nein, danke.“

Richter Götzl platzt nun endgültig der Kragen: „Also, ich muss schon mal sagen, es geht hier nicht darum, möglichst schnell wieder nach Hause zu kommen. Wenn Sie eine Pause brauchen, dann sagen Sie das!“ Anschließend schickt Götzl RA Hoffmann und Benjamin G. mit diesen Worten vor die Tür: „Gehen Sie mal raus. Es geht hier um organisatorische Sachen.“

Kaum haben die beiden Saal verlassen meldet sich RA Bliwier zu Wort: „Ich will wissen, ob hier irgendeine Einflussnahme seitens des Landesamtes für Verfassungsschutz Hessen stattfindet.“

RA Scharmer: „Ich würde wegen des Zeugenbeistandes doch mal mit § 68b StPO vorgehen. Ich habe nicht mal eine Vollmacht gesehen.“

Während der anschließenden längeren, hitzigen Diskussion mit mehreren Anwälten der Nebenklage und Verteidigung schlägt sich interessanterweise ausgerechnet die Zschäpe-Verteidigung in Person von RA Heer auf die Seite von RA Hoffmann. Die Debatte wird durch einen trockener Einwurf einer Anwältin der Nebenklage prompt beendet: „Ich verstehe die ganze Aufregung hier nicht. Es liegt hier ein Schreiben des LfV Hessen vor, das besagt, dass RA Hoffmann vom Verfassungsschutz Hessen bestellt und bezahlt wird.“

Enttarnt und K.O. in der 2. Runde.

Richter Götzl unterbricht um 15:25 Uhr die Verhandlung für eine Beratungspause. Direkt im Anschluss erklärt Götzl um 15:50 Uhr den heutigen Verhandlungstag für beendet und lädt Benjamin G. nebst Zeugenbeistand für morgen 09:30 Uhr erneut vor.